Ein blatternarbiger riesenhafter Kerl tauchte grinsend vor ihm auf. Auf dem Schädel trug er einen wollenen grünen Unterrock, so jedenfalls sah es aus, und in seiner rechten Faust blitzte ein schwerer Säbel, den er wie ein Messer handhabte. In der anderen Faust lag eine Pistole, und diese Faust mit der Pistole zuckte jetzt vor. Ein donnernder Schuß löste sich, eine Pulverwolke stob nach einem wilden Blitz auf, und Roger hörte, wie es dicht an seinem Schädel vorbeipfiff. Dann ließ der Riese die leergeschossene Pistole fallen und hieb mit dem Säbel zu, als wollte er das Deck spalten.
Blitzschnell sprang Roger zur Seite. Er hörte den Todesschrei eines anderen Mannes und wußte, daß es James gewesen war, der sein Leben unter den entsetzlichen Hieben der Piraten aushauchte.
Das verlieh ihm noch einmal Riesenkräfte. Der schwere Säbel donnerte dicht vor ihm in die Planken. Holzsplitter flogen zur Seite. Der Pirat zerrte an seinem mörderischen Instrument, und diesen Moment nutzte Roger, um ihm mit aller Kraft den Schiffshauer ins Genick zu schlagen.
Ein Holzprügel traf ihn ins Kreuz, und er fuhr ächzend herum. Sekundenlang war er wie gelähmt, dann ließ die Starre nach. Er rammte seinem Gegner den Schädel in den Bauch, hob den Kerl hoch und beförderte ihn mit einem wilden kraftvollen Schlag außenbords, zwischen „Arethusa“ und die Feluke, die jetzt auf der Backbordseite vertäut war. Ein entsetzlich lauter Schrei drang aus dem Wasser, als der Kerl zwischen die Schiffswände geriet.
Roger zog sich weiter zurück, kämpfend wie ein wildes Tier, schreiend vor Wut wie ein gereizter Löwe. Er schlug mit allem um sich, was er zu fassen kriegte.
Er stolperte über einen toten Kameraden, fiel der Länge nach an Deck und blieb sekundenlang reglos liegen.
Da sah er das Entsetzliche: Ein grausam aussehender Kerl stand ein paar Yards hinter Archibald Cribbs, der immer noch unversehrt zwischen der brüllenden Piratenhorde herumkrebste. Archie rief lauthals Beschwörungen, hob immer wieder die Bibel hoch und forderte die Leute auf, nicht mehr zu kämpfen, sondern Freundschaft zu schließen.
Ein paar Lidschläge lang empfand Roger einen unbändigen Zorn auf den einfältigen Trottel. Ja, er haßte ihn sogar, weil er mit seiner dämlichen These von seinem „Liebet einander“ kläglich versagt und damit das Leben der gesamten Mannschaft aufs Spiel gesetzt hatte.
Dann aber erlosch dieser Haß so schnell, wie er aufgetaucht war. Gegen soviel Dummheit war kein Kraut gewachsen.
Er bemerkte nur den geiergesichtigen brutalen Kerl mit dem grausamen Zug um die Lippen und sah, wie dieser Kerl jetzt grinsend einen scharfgeschliffenen arabischen Krummdolch aus dem Gürtel zog. Er packte ihn an der Spitze und hob die rechte Hand zum heimtückischen Wurf.
„Cribbs!“ schrie Roger. „Hinter dir, paß auf!“
Mit einem Satz war er auf den Beinen, doch Archibald Cribbs war nicht mehr zu helfen. Der arabische Krummdolch bohrte sich Cribbs in den Rücken. Der Master stand ein paar Lidschläge lang ungläubig und wie erstarrt da, die Bibel umklammernd und mit schreckgeweiteten Augen.
Dann knickte er in den Knien ein, riß den Mund auf und wollte etwas sagen, doch kein Ton drang über seine Lippen. Sein Gesicht wurde fahl, dann kalkweiß, und er schnappte nach Luft. Dann fiel er ganz langsam in sich zusammen, seine Knie stießen auf die Planken, der Oberkörper kippte nach vorn. Auf dem Gesicht blieb Archibald Cribbs reglos liegen.
Roger sprang auf den Kerl zu, der das Messer geworfen hatte. Es mußte der Anführer dieser blutrünstigen Halunken sein, doch noch bevor er ihn erreichte, wandte der Geiergesichtige sich um und sah ihn höhnisch an. Dann hob er blitzschnell eine Pistole, steckte sie aber gleich darauf wieder mit einem boshaften Grinsen in das Bandelier zurück.
Roger fuhr herum. Ein Schlag traf seine Schulter und schleuderte ihn zur Seite, ein zweiter Hieb landete in seinem Magen, und als er sich zusammenkrümmte, konnte er gerade noch einem tödlichen Hieb mit einer Axt entgehen, die über seinen Schädel sauste.
Mit wilden Sprüngen erreichte er im Zickzack das Achterdeck. Er war der einzige Überlebende, wenn er sich nicht täuschte, doch auf dem Achterdeck erwischten sie ihn ebenfalls gleich darauf.
Sieben oder acht waren es, die auf ihn eindrangen und ihm den Weg abschnitten.
Einen schlug er noch aus den Stiefeln, dann explodierte etwas in seinem Schädel. Rote Sterne zogen feurige Kreise vor seinen Augen. Sein nächster Schlag ging hoffnungslos ins Leere, und er spürte, daß ihm wieder jemand etwas über den Schädel schlug.
Seine Knie gaben nach, er klammerte sich am Handlauf des Schanzkleides fest, aber da war wieder die Meute, die ihn hetzte und auf ihn einprügelte, bis er fast das Bewußtsein verlor.
In einer letzten gewaltigen Anstrengung gelang es ihm noch, auf den Handlauf des Schanzkleides zu gelangen. Von dort hieb er taumelnd noch einmal um sich.
Dann war auch seine Zeit abgelaufen. Zwei harte Schläge trafen ihn, er verlor den Halt, versuchte noch einmal, in eine dieser üblen Visagen zu treten, und spürte, daß er kippte. Laut aufklatschend fiel er ins Meer und ging sofort unter.
Das war sein Glück, denn so wurde er nicht zwischen den Bordwänden zerrieben, sondern tauchte unter ihnen hindurch.
„Aufhören!“ befahl Muley Salah. „Aufhören! Plündert das Schiff, bohrt es an und versenkt es.“
Das brauchte er seinen Kerlen nicht zweimal zu sagen. Die ersten waren schon unter Deck verschwunden, als die anderen oben noch kämpften. Sie schleppten alles herbei, was sich irgendwie noch verwerten ließ.
„Salih“, sagte Muley Salah zu dem Türken, der grinsend an Deck stand. „Such die Überlebenden und Verwundeten zusammen. Binde die verfluchten Giaurs zusammen und bring sie mir. Und bring mir diesen verdammten blonden Christenhund mit dem Mut eines Löwen. Ich will ihn hier und sofort an Deck enthaupten.“
„Sofort, Muley. Ich fürchte nur, es wird nicht viele Überlebende geben, und der Blonde ist über Bord gefallen. Mechmed hat ihn erschlagen.“
„Sieh trotzdem nach!“
„Ja, Herr.“
Inzwischen hatten einige der Piraten bereits die Segel der Karavelle mit Säbeln und Messern aufgeschlitzt, so hingen jetzt nur noch lange streifige Lappen von den Rahen. Die „Arethusa“ hatte keinen Vortrieb mehr und schob sich nur noch ganz behäbig durch das blaue Wasser, außerdem noch gebremst von den drei Feluken, die wie Ketten an ihr hingen.
Während in den unteren Räumen einige Kerle dabei waren, Löcher in die Planken zu schlagen, damit die Karavelle schneller absoff, erschien der Türke Salih wieder.
„Es gibt keine Überlebenden, Muley Salah“, sagte er. „Keinen einzigen. Die Christenhunde sind alle zum Scheitan gefahren. Die wenigen Verwundeten sind jetzt ebenfalls tot.“
Salah stieß einen ellenlangen Fluch aus.
„Verdammt!“ schrie er zornig. „Ich hätte ein paar von ihnen gar zu gern Uluch Ali gebracht. Hast du auch im Wasser nachgesehen? Etliche sind doch über Bord gegangen.“
„Im Wasser treiben nur noch Tote.“
Es war nicht mehr zu ändern, überlegte Muley Salah. Daran hätten sie eben früher denken müssen. Jetzt war es zu spät, denn seine Leute hatten wie die Teufel unter der Mannschaft gewütet.
„Das Schiff sinkt gleich“, sagte Salih zu seinem Herrn.
„Gut, dann zurück auf die Feluken. Beeilt euch!“
Das Gurgeln und Rauschen in den unteren Räumen war jetzt deutlich zu hören. Ein Wasserschwall nach dem anderen brach herein und ergoß sich mit lautem Brausen in die Räume. Die Karavelle legte sich schon leicht zur Seite, in ihrem Rumpf knackte es bedrohlich.
Ausgeplündert war sie ebenfalls. Die Kerle hatten kaum etwas an Bord gelassen. Noch jetzt rannten einige von ihnen hin und her, warfen das erbeutete Zeug auf die Feluken und kehrten noch ein letztes Mal zurück.
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