Das Gesicht des Bootsmanns hatte sich schon seit einer Weile verfinstert. Es war mißtrauisch und drohend geworden, sein Blick fiel immer wieder auf die Belegnägel an der Nagelbank – Hartholzknüppel, mit denen man kräftig zuschlagen konnte.
Er war schon drauf und dran, einfach die Kanonen zu laden und die Stückpforten hochreißen zu lassen, aber das wäre Meuterei gewesen. Es war außerdem fraglich ob die anderen dem Befehl gefolgt wären. Und wehe, die Kerle hätten dann tatsächlich nicht angegriffen! Das hätte auch den friedliebenden Archie nicht von einem strafenden Bordgericht abgehalten.
Eine vertrackte Situation. Jetzt war es natürlich auch zu spät, um noch etwas zu unternehmen.
„Piraten sind das“, sagte der Bootsmann auf Rogers Frage. „Saukerle von der übelsten und blutrünstigsten Sorte. Die nehmen uns auseinander, daß es nur so raucht. Wenn es soweit ist, Roger, dann sieh zu, daß du über Bord springen kannst, denn gleich wird es hier von mindestens vierzig üblen Kerlen nur so wimmeln. Schnapp dir einen Belegnagel oder nimm eine Spake.“
Roger nickte. Er hatte sich schon lange so gestellt, daß er irgendeinen Prügel blitzschnell hervorreißen konnte, wenn es soweit war. Aber er wußte auch, daß es ein völlig aussichtsloser Kampf werden würde. Sein Leben wollte er jedoch so teuer wie nur möglich verkaufen.
Er tastete nach seinem Entermesser im Gürtel und nickte grimmig.
Mittlerweile hatten sich auch die meisten anderen auf der Kuhl versammelt und harrten besorgt der Dinge, die da aufkreuzten.
Archibald Cribbs stand immer noch in liebenswerter Einfalt auf dem Achterdeck, die Bibel umkrampft, leicht lächelnd und ebenfalls der Dinge harrend, allerdings auf seine fromme Weise und nicht im mindesten besorgt über den Aufmarsch und die Manöver der drei Feluken.
„Wie sollen wir uns verhalten?“ fragte auch der Moses, ein dürres, kleines Bürschchen aus England, aber immer mit Feuereifer bei der Sache, auch wenn es ums heimliche Saufen ging.
„Es gibt nur eine Möglichkeit“, sagte der Bootsmann. „Draufhauen und wehren mit allen Kräften, oder sie stechen uns ab. Wehrt euch mit allem, was ihr in die Hände kriegt.“
„Aber Archie sagte doch …“
„Archie kann mich mal“, sagte der Bootsmann. „Aber ich werde mich bei ihm später auf allen vieren an Deck liegend entschuldigen, wenn die Kerle friedlich wieder abziehen.“
„Verteilt euch unauffällig!“ riet Roger. „Dann müssen sie sich selbst ebenfalls verteilen. Wir müssen es jeder mit mindestens drei Kerlen aufnehmen, sonst sind wir erledigt.“
Cribbs war diese heimliche Verschwörung auf der Kuhl nicht entgangen. Er sah die Männer zusammenstehen und palavern und bemerkte auch, daß einige sich unauffällig bewaffneten und verdächtig nahe bei den Nagelbänken oder am Spill standen.
Der Bootsmann hatte sein Entermesser in der Faust und stocherte damit an seinen Fingernägeln herum.
„Fürchtet euch nicht!“ rief Archibald. „Wir kommen als Freunde und nicht als Gegner.
„Wir schon“, brummte Rogers, „nur die anderen wissen das noch nicht.“
Die zweite Feluke ging über Stag, gleich darauf auch die dritte, und nun segelten sie in fast spitzem Winkel auf die „Arethusa“ zu. Es ließ sich leicht errechnen, daß sie schon bald auf gleicher Höhe sein würden.
Auch die Gesichter der Kerle waren jetzt deutlicher zu erkennen. Es waren dreckige; grinsende Visagen, sich ganz ihrer Überlegenheit bewußt. Verschlagene blutrünstige Halunken taten so, als könnten sie kein Wässerchen trüben. Zerschlagene Visagen, manche fusselbärtig, andere zernarbt und häßlich, voller Heimtücke und Hinterlist.
Und noch etwas sahen die Männer der „Arethusa“: Lange Taue hingen bereit zum Hinüberschwingen, und einige der blutrünstigen Schnapphähne standen klar, Entermesser und Pistolen im Gürtel oder Bandelier. Sie warteten nur noch auf den günstigsten Augenblick.
Die andere Feluke segelte jetzt von Backbord auf. Man würde sie also von zwei Seiten gleichzeitig angreifen. Das wußte jeder, das stand absolut fest, nur Archibald wollte es nicht wahrhaben.
Die erste Feluke war heran und hielt auf die Bordwand der „Arethusa“ von Backbord zu. Gleichzeitig segelte auch die andere heran, während die dritte noch ein wenig Vorhalt hatte.
Cribbs blickte nach Steuerbord, dann nach Backbord, und hob beschwörend die Arme mit der Bibel zum Himmel hoch. Dann rief er etwas, aber niemand verstand ihn, denn jetzt brandete von den Feluken unbeschreiblich lautes Gebrüll herüber. Entersäbel wurden geschwungen und blitzten im Licht der Sonne. Zwei Draggen flogen herüber und verkrallten sich im Schanzkleid der Karavelle. Von der anderen Seite flogen ebenfalls Draggen. Zwei wüst aussehende Kerle schwangen sich an langen Tauen an Deck der „Arethusa“.
Einen erwischte der Bootsmann noch in der Luft. Er hatte sich mit einer Handspake bewaffnet, und die schlug er dem enternden Piraten mit aller Kraft über den Schädel. Ein gurgelnder Schrei, und der Kerl streckte sich der Länge nach auf den Planken aus.
Dann waren es vier, acht, zwölf Kerle, die sich mit wildem Gebrüll an Bord schwangen. Gleich darauf tauchten zwei Dutzend auf. Geschickt und schnell, erfahren aus zahlreichen Gefechten, stürmten sie das Deck und schlugen hart und gnadenlos zu.
Archibald sah das voller Entsetzen. Er stand immer noch auf dem Achterdeck und starrte auf die wimmelnde Meute. Und er blickte ungläubig auf das erste Blut, das da an Deck floß.
Dann verließ er das Achterdeck mit schnellen Schritten und schrie mit heller, sich überschlagender Stimme in das Gewimmel: „Hört auf, hört auf! Tötet euch nicht gegenseitig. Liebet einander, hört auf, zu kämpfen!“
Roger und der Bootsmann wehrten sich verzweifelt, denn mehrere Kerle drangen mit Äxten und langen Schiffshauern gleichzeitig auf sie ein. Dem Bootsmann gelang es, einen weiteren Kerl auf die Planken zu schicken. Dabei wurde er von einem Messer an der Schulter getroffen.
Roger zog sich weiter zurück. Dabei sah er aus den Augenwinkeln, daß jetzt auch von der dritten Feluke Kerle herübersprangen und in das Gemetzel eingriffen. Ein Pistolenschuß krachte. Der Schiffsjunge warf die Arme hoch und kippte lautlos auf die Kuhlgräting. In seiner Brust war ein dunkler Fleck, der sich rasch vergrößerte.
Roger unterlief einen der Kerle, hieb ihm den Belegnagel über den Schädel, drehte sich um und wandte sich dem nächsten Angreifer zu. Er zog sein Entermesser, aber ein fürchterlicher Hieb schmetterte es ihm aus den Fingern, und so packte er wieder seinen Belegnagel. Brüllend und laut schreiend stürmte er vor. Es gab für ihn keinen Rückzug mehr, denn hinter ihm lauerten ebenfalls Kerle, und so trat er die Flucht nach vorn an.
Der Bootsmann wurde erschlagen. Fünf Kerle hatten sich auf den wie einen Teufel kämpfenden Mann gestürzt. Als er umfiel steckte in seiner Brust ein langes Messer.
Dem blonden Takelmeister traten Tränen der Wut und Verzweiflung in die Augen, als er sah, wie einer seiner Kameraden nach dem anderen von der Übermacht der Piraten erdrückt wurde.
Sie ließen keinen am Leben, sie streckten einen Mann nach dem anderen erbarmungslos auf die Planken.
Roger sprang wieder nach vorn, den Belegnagel schwingend, brüllend, gereizt wie ein Satan und so voller Wut, daß er mit dem Belegnagel um sich hieb wie mit einer Keule.
Einen Piraten erwischte es voll. Der harte Belegnagel traf dessen Visage, und er ging aufbrüllend in die Knie. Roger hieb nach, entriß dem Kerl den Schiffshauer, packte ihn mit einer Hand und ließ ihn kreisen. Einem weiteren Piraten kostete dieser Schwinger den Kopf.
Roger schlug um sich wie noch nie in seinem Leben. Er wollte so viele Kerle mit hinübernehmen wie nur möglich, denn die letzten Minuten seines Lebens waren angebrochen, damit rechnete er fest. Es gab kein Entkommen mehr, denn die Leute der „Arethusa“ waren nur noch eine armselige Handvoll gegen eine riesige Übermacht.
Читать дальше