Der türkische Sultan Murad III. hatte ihn als Beylerbey eingesetzt, und so konnte Uluch Ali uneingeschränkt sein Reich aufbauen und so grausam herrschen, wie es ihm beliebte.
Der letzte üble Piratenknochen war Chaireddin gewesen, aber Ali stand ihm längst in nichts mehr nach. Er hatte erfahren, daß ein paar Christenhunde, englische Christenhunde, die er ganz besonders haßte, ein Wrack ausgeplündert hatten, das von seinen Leuten versenkt worden war. Ein Teil der Beute, ein paar mit Gold, Perlen und Edelsteinen gefüllte Truhen, befand sich an Bord der Sambuke, die er seit Tagen verfolgen ließ.
Sein Haß auf die Engländer hatte ebenfalls einen einfachen Grund: Ein Engländer war es gewesen, Philip Hasard Killigrew nämlich, der Uluch Ali vor Jahren in einem Säbelduell fast zerfetzt hatte. Niemand an Bord der „Isabella“ hatte geglaubt, daß Uluch Ali das überlebt hätte, aber er hatte, wenn auch zerhackstückt und fast tot.
Diese seine schmählichste Niederlage saß ihm auch heute noch in den Knochen, und er würde sie nie vergessen.
Jetzt also waren die drei Feluken dabei, die See nach der geflüchteten Sambuke abzusuchen – bisher vergeblich. Und nun entdeckten sie die englische Karavelle.
Muley Salah wußte, daß sein Kopf in den Sand rollen würde, wenn er die verhaßten Engländer nicht aufbrachte. Ali würde ihn erst auspeitschen, dann foltern und schließlich köpfen lassen. Er hatte nur noch diese eine Chance, die Sambuke zu finden, mochte es auch noch Tage dauern.
Dann sah er die englische Flagge und grinste zufrieden. Über sein narbiges grausames Geiergesicht legte sich ein Zug teuflischer Freude.
Nun, dachte er, Ali war auf Engländer scharf, ganz besonders natürlich auf die, die seit Tagen suchten und lebend nach Bengasi bringen sollten. Aber dieser Engländer dort war auch nicht zu verachten. Er war sozusagen eine Art Trostpflästerchen, ein Happen, den Uluch Ali als zweites Frühstück verschlang.
So ein Trostpflästerchen stimmte froh und gnädig und bedeutete für Muley Salah ein klein wenig Aufschub. Sein Ansehen bei Uluch Ali würde das auch wieder etwas aufpolieren, und so rieb er sich die Hände.
„Kurs auf den Christenhund!“, befahl er dem Rudergänger. Dann winkte er herrisch einen anderen Mann zu sich heran.
„Gib den anderen ein Zeichen, daß wir den Kurs ändern. Wir halten auf den Giaur zu und nehmen ihn ein bißchen auseinander. Signale sind ja für solche Fälle vereinbart worden.“
Der Mann nickte heftig. Sprechen konnte er nicht, nur unverständlich lallen und eine Art Grunzen von sich geben. Er hatte einmal einen Befehl nicht richtig ausgeführt und Verluste erlitten. Dafür, daß er so kläglich versagt hatte, hatte Muley Salah ihn noch großmütigerweise mit einem Goldstück belohnt. Dieses Goldstück hatte er ihm in den Mund geschoben. Mit einer Zange allerdings, denn Muley Salah konnte glühende Goldstükke nicht anfassen. Seither sprach der Kerl nicht mehr, war ihm aber mehr als treu ergeben.
So ein glühendes Goldstück würde er sich selbst auch bald einhandeln, dachte er, wenn er die verdammte Sambuke nicht endlich fand. Und Uluch Ali würde es ihm ebenfalls mit einer Zange servieren, denn auch er mochte glühende Goldstücke nicht anfassen.
Er blickte zu den beiden anderen Feluken hinüber, die jetzt aufschlossen und dichter heransegelten. Auf jeder befanden sich fünfzehn Schnapphähne der allerübelsten Sorte. Das waren fünfundvierzig sturm- und kampferprobte Halunken, die den Scheitan am Schwanz zogen. Mit denen würde er die englische Karavelle knacken, kein Zweifel. Die Kerle auf seinem eigenen Schiff brannten schon darauf und wetzten die Messer, obwohl sie noch gar nicht genau wußten, was anlag. Sie rochen es wie Hunde, sie witterten es förmlich, und sie lauerten wie die Aasgeier auf Beute.
Salah griff nach dem in Elfenbein und Messing eingelegten Spektiv und setzte es ans rechte Auge. Es war ein gutes Spektiv, ein spanisches Beutestück, und es ließ die Karavelle fast sprunghaft näher heranrücken.
Der schmale grausame Mund lächelte bösartig. Der schwarze Bartschatten verstärkte das grausame Grinsen noch mehr, die sehnigen Hände verkrampften sich um den Kieker.
Er sah den Bug, der sanft in die See tauchte, und musterte dann die Männer an Deck.
„Zwölf bis fünfzehn höchstens“, murmelte er erstaunt. Dann suchte er nach den Stückpforten und fand auf der einen Seite zwei kleine, die fest verschlossen waren.
Der Blick durch das Spektiv wanderte weiter und verharrte ungläubig auf der Kuhl. Da standen wahrhaftig zwei Stücke kleinen Kalibers, aber sorfältig abgedeckt, damit kein Salzwasser sie bespritzte. Sie waren festgezurrt und umwickelt wie zwei große Würste, und die verfluchten Giaurs würden allein eine halbe Stunde damit beschäftigt sein, sie abzudecken und feuerbereit zu kriegen.
„Das scheint ja ein ganz ahnungsloser Idiot zu sein“, sagte Salah zu einem kleinen schwarzhaarigen Mann, der neben ihm stand und ebenfalls angestrengt mit den bloßen Augen zu der englischen Karavelle spähte.
Der Schwarzhaarige war Türke und sah auch die Einzelheiten ohne Spektiv sehr gut. Jedenfalls erkannte er auf den ersten Blick, daß die Giaurs gar nicht in der Lage waren, sich kräftig zu wehren.
„Domuzun evläflari“, sagte er verächtlich, was soviel bedeutete wie: Kinder von Schweinen, ein überaus verächtlicher Ausdruck.
„Allah sizi kahretsin!“ fügte er hinzu, Allah möge die Kerle zur Hölle schikken.
„Allah?“ fragte Muley Salah höhnisch. „Das tun wir selbst, Salih. Dazu brauchen wir nicht Allahs Hilfe. Wir lassen diesen Christenhund noch ein Weilchen auf Kurs laufen, dann gehen wir hoch an den Wind und über Stag. Er hat den besseren Wind, wir haben die schlechtere Position. Deshalb wenden wir kurz vorher.“
Der Türke nickte erfreut. Viel Beute versprach der Engländer ja nicht, aber sie konnten ihre Wut an ihm auslassen und hatten einen kleinen Erfolg, der Uluch Ali gnädig stimmen würde, das war sicher.
Er konnte ein paar der Gefangenen ebenfalls nach Bengasi zu Uluch Alis Residenz bringen lassen, und der alte Piratenhund konnte sich dann zwischen Frühstück und Mittagessen an den rollenden Köpfen erfreuen.
Noch einmal blickte er durch das Spektiv. Dann sah er in die andere Richtung und nickte zufrieden. Die eine Feluke segelte jetzt zur Backbordseite des Engländers, um ihn von dort in die Zange zu nehmen. Er selbst und die Kerle des anderen Schiffes würden den Giaur von Steuerbord packen. Dann hatte er nicht die geringste Chance, zu entwischen.
Eine knappe Viertelstunde noch segelten sie aufeinander zu, dann ging die erste Feluke über Stag. Die zweite folgte, und als alle beide auf dem richtigen Kurs lagen, gab Muley Salah ebenfalls das Zeichen zum Wenden.
Damit waren die Engländer eingekreist.
Und diese verdammten Christenhunde haben immer noch ihre Stückpforten verschlossen, dachte Muley.
So viel Dummheit auf einem Haufen gab es im ganzen Mittelmeer nicht.
Zumindest, so nahm Roger jedenfalls an, hätte sich Archibald Cribbs Gesicht jetzt erheblich verdüstern müssen, denn nun ging auch dem Dümmsten an Bord auf, daß die drei Feluken ihnen nicht den freundlichen arabischen Gruß entbieten würden.
Aber Cribbs in seiner frommen Einfalt hielt immer noch die Bibel fest umklammert und blickte den heransegelnden Feluken wohlwollend entgegen.
Vielleicht dachte er insgeheim an ein orientalisches Schwätzchen von Bord zu Bord, etwas Neugier und völkerverbindende Verständigung. Für Archibald war die Welt heil und immer in Ordnung, und jene, die sich bekriegten, die hatten sich das selbst zuzuschreiben, denn alle Probleme hätten sich durch eine nette Geste von selbst gelöst.
„Verdammt, der eine Kerl geht über Stag“, sagte Roger zum Bootsmann. „Die beiden anderen werden auch gleich wenden. Kannst du die Kerle an Deck sehen?“
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