In seinen Augen stand Verzweiflung, als er den Kopf hob und sagte: „Ich kann Ihren Befehl nicht ausführen, Señor Capitán. Mein christlicher Glaube verbietet es mir.“
Das Gesicht des Capitáns verzerrte sich. Das Grinsen verschwand, und Jesus Valencia wußte, daß er genau die richtigen Worte gefunden hatte, die ihn noch einmal aus diesem Verhängnis befreiten. Juan de Faleiro konnte ihn nicht der Meuterei bezichtigen, wenn er sich auf seinen Glauben berief. Zu viele Männer würden später die Worte bezeugen können, die Jesus Valencia gesprochen hatte. Und wenn de Faleiro auch vor dem Marinegericht recht erhalten würde, wenn er seinen Ersten Offizier wegen Meuterei bestrafte, so würde er der Inquisition wahrscheinlich nicht entgehen.
Wütend wandte sich Juan de Faleiro von ihm ab und brüllte seine Aufseher an, seinen Befehl in die Tat umzusetzen.
Sie zögerten nicht eine Sekunde. Mit wenigen Handgriffen waren die Ketten der Bewußtlosen gelöst. Ein leises Murren ging durch die Reihen der Rudersträflinge, aber ein paar brutale Peitschenhiebe brachte die Männer sofort zum Schweigen.
Die vier bewußtlosen Ruderer wurden über die Ducht auf den Laufgang über der Apostis gezerrt, wo die Seesoldaten zur Seite wichen. Wie Säcke wurden die Männer ins Meer geschleudert.
Jesus Valencia hatte die Hände zu Fäusten geballt. Er nannte sich im stillen einen Feigling, daß er den Mord an den Sträflingen ohne Widerspruch zuließ, aber er wußte auch, daß es seinen eigenen Tod bedeutete, wernn er gegen den Kapitän vorging.
Juan de Faleiro wartete ab, bis auch der letzte für ihn unbrauchbare Sträfling ins Wasser geklatscht war, dann drehte er sich um und winkte den Teniente vom Vorderkastell zu sich.
Ribera näherte sich mißtrauisch dem Kapitän. Er hatte bisher wenig Reibungspunkte mit ihm gehabt, weil sie noch nicht in ein Gefecht mit anderen Schiffen verwickelt worden waren, seit er seinen Dienst auf dieser Galeasse angetreten hatte, aber ihm war nicht verborgen geblieben, daß jeder auf diesem Schiff, mit Ausnahme der Aufseher, Juan de Faleiro aufs Blut haßte.
„Uns fehlen vier Ruderer, Teniente“, sagte der Kapitän kalt. „Suchen Sie vier Ihrer Soldaten aus, die ihre Aufgabe übernehmen. Wir brauchen im Moment jeden Mann, wenn wir die französische Galeone noch einholen wollen.“
„Was haben Sie gesagt, Señor Capitán?“ Der Teniente glaubte, nicht richtig gehört zu haben. „Meine Männer sollen auf die Ruderbänke?“
„Ihre Ohren sind noch gut, Teniente“, erwiderte de Faleiro gallig. Offensichtlich hielt er den Teniente für schwer von Begriff.
„Von meinen Männern wird keiner auf einer Ruderbank sitzen“, sagte der Teniente fest.
Der Kapitän schluckte ein paarmal. Sein Gesicht lief wieder dunkelrot an. Mit einer heftigen Bewegung rückte er seine Perücke zurecht, die ihm über die Augen zu rutschen drohte. Er riß einem seiner Aufseher die Peitsche aus der Hand, aber bevor er den Arm zum Schlag erheben konnte, hielt der Teniente eine Pistole in der Hand, deren Lauf genau auf de Faleiros Bauch gerichtet war.
Rundum auf dem äußeren Laufgang war plötzlich Bewegung. Jesus Valencia sah, wie die Seesoldaten ihre Musketen leicht angehoben hatten.
„Niemand zwingt einen meiner Männer Sklavendienste zu verrichten“, wiederholte der Teniente unerschrocken. „Sie wissen, Señor Capitán, daß Sie damit Ihre Kompetenzen überschreiten. Für meine Männer ist niemand anderer als ich verantwortlich. Wenn Sie jemanden zum Rudern brauchen, dann nehmen Sie welche von Ihren Leuten.“
Bevor Juan de Faleiro sich wieder fing, sagte Jesus Valencia schnell: „Wir können mit zwei Riemen weniger rudern, Señor Capitán. Unsere Geschwindigkeit wird dadurch nicht wesentlich geringer.“
„Ich befehle hier!“ brüllte de Faleiro. „Profos! Vier Mann auf die Duchten! Und sorgen Sie dafür, daß die alte Geschwindigkeit beibehalten wird, sonst lernt ihr mich alle kennen!“ Seine Stimme überschlug sich fast. Abrupt drehte er sich um und verschwand wieder durch das Schott in seine Kammer unter der achteren Plattform. Es sah fast so aus, als ergreife er die Flucht.
Der Profos rief vier Namen auf. Er mußte sie ein paarmal brüllen, bis sich vier Männer bequemten, zu ihm auf den Laufgang zu treten. Sie protestierten lautstark gegen die ungerechte Behandlung, denn schließlich waren sie als Seeleute angeheuert und nicht als Rudersklaven.
Ein paar Maulschellen des Profos’ und Peitschenschläge der Aufseher brachten sie an ihren Platz.
Jesus Valencia preßte die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. An Bord dieses Schiffes herrschte die nackte Gewalt, und er war nicht in der Lage, dem abzuhelfen. Zu groß war die Macht des Kapitäns, der einer persönlichen Rache wegen seinen Auftrag vergessen hatte, und seine Männer zu Tode schindete.
Als das dumpfe Pochen der Trommel wieder den Takt der Riemenschläge diktierte und sich die Galeasse langsam in Bewegung setzte, konnte der Erste Offizier der „San Antonio“ angesichts seiner Ohnmacht kaum die Tränen zurückhalten. Er hatte nie in seinem Leben den Wunsch verspürt, einem anderen Menschen Böses anzutun, doch in diesem Moment wäre er bereit gewesen, Juan de Faleiro zu töten.
„Nimm deine dreckigen Griffel weg!“
Stenmarks Stimme klang schneidend. Er starrte den Giftzwerg wütend an, der sich an sein Lager geschlichen und nach dem breiten Ledergurt getastet hatte, der Stenmark als Kopfkissen gedient hatte.
Der Franzose, der nicht mehr als fünf Fuß maß, verzog sein schmales Gesicht zu einem Grinsen und erwiderte in gebrochenem Englisch: „Zeigt uns, was Ihr in den Gürteln versteckt, Suédois, dann habt Ihr eure Ruhe.“
„Ich kann dir was aufs Maul geben, Franzmann, dann hab’ ich auch meine Ruhe“, sagte Stenmark böse. Er band seinen breiten Ledergürtel, den Will Thorne ihnen allen genäht hatte, wieder um. Er dachte nicht daran, irgend jemandem auf die Nase zu binden, daß der Segelmacher der alten „Isabella“ Perlen, Juwelen und Goldstücke darin vernäht hatte, mit denen er ein halbes Königreich aufkaufen konnte. Der Giftzwerg vor ihm sah aus, als würde er einem Mann schon wegen ein paar Sous die Kehle im Schlaf durchschneiden.
„Du kannst nicht immer auf das Ding aufpassen, Suédois“, sagte der Giftzwerg. „Ich bin von Natur aus neugierig.“
Stenmark konnte sich nicht mehr beherrschen. Er trat einen schnellen Schritt vor, packte den kleinen Mann vorn am Hemd und hob ihn ohne große Mühe hoch.
„Hör mal zu, du halbe Portion!“ stieß er schnaubend hervor. „Du gehst mir langsam auf den Geist. Wenn du noch mal deine langen Griffel nach meinem Gürtel oder einem von meinen Kameraden ausstreckst, dann kannst du mit den Fischen Haschen spielen, verstanden?“ Er ließ den Giftzwerg los, daß dieser auf die Planken stürzte, sein Gleichgewicht verlor und sich auf den Hosenboden setzte.
Doch wie der Blitz war er wieder hoch. Das Grinsen war aus seinem Gesicht verschwunden. Seine kleinen, dunklen Augen blitzten vor Wut.
Stenmark konnte gerade noch ausweichen, als die rechte Hand des Franzosen vorzuckte und die schmale Klinge eines Messers sein Hemd an der Seite aufriß.
Er stieß einen überraschten Schrei aus. Instinktiv packte seine Linke zu und umklammerte das Handgelenk des Giftzwerges so hart, daß diesem nichts anderes übrigblieb, als das Messer loszulassen. Der Teufel mochte wissen, woher der Kerl das Ding so schnell gezaubert hatte.
Als es auf die Planken polterte, klatschte Stenmarks Linke bereits in das schmale Gesicht des Franzosen, der daraufhin ein Gebrüll anstimmte, als würden die Türken das Schiff entern.
Plötzlich waren Stenmark und der Giftzwerg nicht mehr allein im Vordeck. Ein Berg von einem Mann schob sich neben den kleinen Franzosen und baute sich drohend vor Stenmark auf. Ohne den Blick von dem Schweden zu nehmen, fragte er den Kleinen etwas. Der sprudelte ein paar Worte heraus, und Stenmark war überzeugt, daß der überwiegende Teil davon Lügen waren.
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