Ihm wurde schlecht. Nicht so sehr vor dem Anblick eines halbtoten Mannes – die hatte er in vielen Seegefechten schon mehr als einmal gesehen. Nein, die brutale Gewalt, die an Bord der „San Antonio“ herrschte, bewirkte die Übelkeit, die ihn befiel.
Gewalt erzeugte Gegengewalt, und mit brutalen Schlägen wurde die Leistung eines Rudersklaven eher gemindert als gesteigert.
Jesus Valencia ahnte, daß der Kapitän das wußte. Wenn er dennoch duldete, daß seine Aufseher ihre Peitschen mit aller Brutalität einsetzten, und er es ihnen sogar befahl, dann blieb nur ein Schluß übrig: Juan de Faleior war ein Mann, der sich an den Qualen anderer weidete, der andere quälen mußte, um sich von Tag zu Tag neu seiner Macht bewußt zu werden.
Jesus Valencia starrte auf den schmalen Rücken des kleinen Kapitäns, der die „San Antonio“ in eine Hölle verwandelt hatte. Eine kurze Bewegung zum Gürtel, mit der er seine Pistole herausziehen würde, ein Krümmen des Zeige-fingers – und die Welt wäre von einem üblen Menschenschinder befreit.
Er schüttelte den Kopf. Er würde es nie fertigbringen, einen Menschen kaltblütig zu ermorden.
„Sein Rückgrat ist gebrochen“, hörte er die kalte Stimme des Kapitäns. „Gebt dem Mann eine Kugel, damit er nicht mehr leidet.“
Es war still an Bord. Nur der auffrischende Wind, der das Meer zu kräuseln begann, sägte jaulend an den Wanten.
Carlos Mendez, der Zweite Offizier, durchbrach das entsetzte Schweigen.
„Señor Capitán, wir sollten Segel setzen“, sagte er. „Der Wind frischt immer mehr auf, und die Ruderer brauchen unbedingt eine Erholungspause.“
Mendez sah sofort, daß die letzten Worte zuviel waren.
„Es wird weitergerudert, bis ich den Befehl gebe, die Riemen einzuholen!“ brüllte de Faleiro. Mit einem Wink rief er den Zuchtmeister heran und befahl ihm, den tödlich verwundeten Aufseher von seinen Qualen zu erlösen.
Der Zuchtmeister, sonst brutal wie der Kapitän, wurde ein wenig blaß um die Nase, aber er führte den Befehl aus, ohne lange zu zögern. Als das Echo des Schusses über der „San Antonio“ verhallt war, schien sich Juan de Faleiro wieder wohler zu fühlen. Er starrte den Rudersklaven an, den zwei Aufseher zwischen sich wie in einem Schraubstock hatten.
Der Mann hatte seinen Widerstand aufgegeben. Er wußte daß er ein todgeweihter Mann war, aber der Tod hatte für jemanden, der an Bord der „San Antonio“ Sklavendienste zu verrichten hatte, seinen Schrecken verloren.
„Hängt den Mann an die Rahnock!“ befahl Juan de Faleiro kalt. „Señor Valencia, Sie übernehmen die Hinrichtung. Sobald er baumelt, werden Segel gesetzt!“
Die Trommel wurde wieder geschlagen. Die langen Riemen tauchten ins Wasser und schoben das schlanke Schiff durch die unruhiger werdende See.
Jesus Valencia sah das hämische Grinsen des Kapitäns, und er wußte, daß er sich diesmal seinem Befehl nicht widersetzen konnte. Der Rudersträfling hatte den Kapitän angegriffen, und darauf gab es auf See nur eine Strafe: den Tod.
Mit leiser Stimme befahl Valencia den Aufsehern, die Leiche des von Juan de Faleiro erschossenen Ruderers über Bord zu schaffen und die Hinrichtung so schnell wie möglich vorzubereiten. Dann ging er über den Laufgang hinüber zur vorderen Plattform, wo Teniente Ribera, der Befehlshaber über die Seesoldaten, unbeweglich stand und ihm entgegenblickte.
Ribera schien zu spüren, was in Valencia vorging.
„Tut mir leid, Valencia“, sagte er leise, „aber ich konnte es nicht verhindern. Auf diesem Schiff sitzen die wahren Verbrecher nicht auf den Ruderbänken, sondern befinden sich auf dem Laufgang. Es ist ein Wunder, daß nicht schon längst etwas Derartiges geschehen ist. Die Leute werden bis aufs Blut gepeinigt, obwohl keine Veranlassung dazu besteht. Ich glaube, der Tote, den sie da gerade über Bord werfen, hat einen der Aufseher nur mal herausfordernd angeschaut. Der Aufseher hat ihn so lange gepeitscht, bis es ihm zuviel wurde und er plötzlich die Kette hochschwang und zuschlug. Er mußte das Glied schon irgendwann vorher gesprengt haben.“
Jesus Valencia nickte. So ähnlich hatte er sich die ganze Sache ebenfalls gedacht.
„Er ist der Kapitän“, erwiderte er nur.
Ribera nickte grimmig.
„Zum Glück hat er mir und meinen Männern nichts zu befehlen“, sagte er. „Wahrscheinlich wird er in Spanien einen Bericht über mich schreiben, aber er kann sich darauf verlassen, daß mein Bericht auch an die richtigen Stellen gelangt.“
Jesus Valencia war versucht, Ribera ins Vertrauen zu ziehen, aber er unterließ es. Konnte er dem Teniente trauen? Er wußte es nicht. Alles, was er gegen Juan de Faleiro plante, mußte für die anderen wie Meuterei aussehen. Und schließlich war es das auch. Nach seinen Beweggründen würde niemand fragen, wenn er versuchte, de Faleiro die Befehlsgewalt über die „San Antonio“ zu entreißen. Das war sowieso nur möglich, wenn er den Kapitän tötete.
Jesus Valencia schüttelte den Kopf. Er steckte in einer ausweglosen Klemme. Ihm blieb nichts anderes übrig, als den Mund zu halten und den Verbrechen des Kapitäns stillschweigend zuzusehen. Es sei denn, er nahm seinen eigenen Tod in Kauf.
Er ging zurück zur achteren Plattform. Der Kapitän hockte wieder in seiner Kammer und brütete wahrscheinlich über dem Kurs, den die französische Galeone genommen hatte. Carlos Mendez, der Zweite Offizier, wich seinem Blick aus. In den Gesichtern des Zuchtmeisters und der Aufseher sah er Schadenfreude und Gehässigkeit.
Die Seeleute hatten die Großrah abgefiert, so daß die eine Nock dicht über der achteren Plattform schwebte. Einer der Aufseher hatte eine Schlinge geknüpft und legte sie dem Rudersklaven um den Hals. Der Mann wehrte sich nicht. Er stand apathisch da und hatte sich in sein Schicksal ergeben.
Ein Schrei des Zornes und der Entrüstung stieg aus den Kehlen der Ruderer, als die Rah mit dem Delinquenten hochschwang. Sie brüllten sich heiser, bis sich ihr Leidensgenosse nicht mehr rührte und nur noch vom Wind hin und her bewegt wurde.
Jesus Valencia hatte mit bleichem Gesicht zugeschaut. Das Grinsen in den Gesichtern der Aufseher hatte wieder Übelkeit in ihm ausgelöst, doch er behielt sich in der Gewalt. Er wollte vor den anderen keine Schwäche zeigen und sich noch ihrem Spott aussetzen.
Als der Mann sich nicht mehr rührte, befahl er, ihn herunterzuholen und dem Meer zu übergeben. Er übertrug dem Zweiten Offizier, die Segel setzen zu lassen und beobachtete mit steinernem Gesicht, wie die Riemen eingeholt wurden und die Rudersklaven zu Tode erschöpft auf ihren Duchten zusammenbrachen.
Kapitän Pierre Delamotte war im Gegensatz zu seiner Crew mit den acht Engländern, die der Zufall in Damiette an Bord seines Schiffes „Mercure“ geweht hatte, höchst zufrieden. Er hatte schon bald erkannt, daß die Kerle mehr vom Segeln und der Schiffahrt verstanden als er selbst. Überall, wo einer von den Teufelskerlen dabei war, klappte es. Segelmanöver wurden bereits ausgeführt, bevor er den Befehl dazu gegeben hatte, und das in einer akkuraten Manier, wie er es in seiner langen Laufbahn noch nie erlebt hatte.
Diese Männer schienen Neptuns Söhne zu sein, und manchmal wunderte sich Pierre Delamotte, daß sie nicht alle Flossen statt Beine hatten.
Natürlich war dem Kapitän nicht entgangen, daß sich der Neid auf die Neuen innerhalb seiner Mannschaft ausbreitete. Es war sicher kein schönes Gefühl, mit ansehen zu müssen, daß plötzlich ein paar Leute ohne viel Trara das Kommando an Bord ihres Schiffes übernahmen – noch dazu Engländer, die noch auf den Bäumen gehockt hatten, als die Bretonen schon zur See gefahren waren.
Pierre Delamotte gönnte es seiner Crew. Vor allem dem Bootsmann und dem Decksältesten Marteau, der meinte, weil er mit bloßer Faust einen Holzpflock einschlagen konnte, sei er der geborene Schiffsführer.
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