Mit einem Ruck drehte sich der Lieutenant zu den Zechern um und sagte: „Gehen Sie! Es wird nicht mehr getrunken. Soll ich das Lokal räumen lassen?“
„O nein, natürlich nicht“, beeilte sich Plymson zu sagen. „Meine Gäste zahlen sogleich die Zeche und kehren an Bord ihrer Schiffe zurück, nicht wahr?“ Der Blick, den er Hasard zuwarf, war flehend.
Thorfin Njal hatte sich von seinem Stuhl erhoben.
„Bei Geri und Freki, den Wölfen Odins“, brummte er. „Jetzt, da es gerade richtig gemütlich wird, will man uns rausschmeißen? Das soll wohl ein mieser Witz sein?“
„Thorfin“, sagte Hasard ruhig. „Feure bloß keine Breitseite ab, es lohnt sich nämlich nicht.“
„Ich will nur ein Wörtchen zu dem Mann dort sagen“, erklärte der Wikinger. Er trat mit drei langen Schritten auf den Lieutenant zu und tippte diesem mit seinem großen Zeigefinger so derb gegen die Brust, daß er unwillkürlich ein Stück zurückwich. „Meinen Feierabend“, sagte Thorfin unwirsch, „lasse ich mir von keinem vorschreiben. Und schon gar nicht von einem aufgeblasenen Kerl wie dir.“
Die Seewölfe und die Männer des Schwarzen Seglers hielten die Luft an. Plymsons Blick wurde flackernd, er suchte nach einem Loch, durch das er sich verkriechen konnte. Die Männer der Stadtgarde legten die Hände an die Griffe ihrer Waffen. Die Luft schien von einem Moment auf den anderen vor Spannung zu knistern.
Der Lieutenant sah den wilden, bärtigen Mann mit dem Kupferhelm auf dem Haupt wie ein Wesen aus einer fremden Welt an. Noch nie hatte er einen Menschen vor sich gehabt, der derart eigentümlich gekleidet war. Und er konnte sich weder seine Herkunft noch seine tolldreiste Art aufzutreten erklären.
Daß dieser Thorfin Njal der Kapitän des Viermasters war, davon wußte der Lieutenant auch nichts, denn die Belange des Hafens interessierten ihn nicht sonderlich, da dieser sonst nicht zu seinem unmittelbaren Dienstbereich gehörte. Nur in dieser Nacht war er als Ablösung für einen seiner Offizierskollegen tätig, und der Zufall wollte es, daß er ausgerechnet in der „Bloody Mary“ auf diese Meute von verwegenen Männern gestoßen war.
„Ich höre immer dann mit dem Saufen auf, wenn es mir paßt“, verkündete der Wikinger und sah den Lieutenant drohend an. „Außerdem ist das hier nicht üblich, um zwölf auf den Zapfen zu hauen.“
Der ist verrückt, dachte der Lieutenant, total übergeschnappt. Dennoch war er nicht bereit, dem Wikinger nachzugeben.
„Was üblich ist, bestimme ich“, sagte er zornig. „Treten Sie zur Seite, Sie ungehobelter Klotz.“
„Ungehobelter Klotz?“ echote der Stör, der bei Eike, Arne, Olig und drei anderen Männern von „Eiliger Drache“ an einem der Tische hockte. „Das hat aber noch keiner zu unserem Kapitän gesagt.“
Thorfin Njal wandte den Kopf und blickte ihn ärgerlich an. „Stör, du Plattfisch, was fällt dir denn ein? Wenn du schon was nachplapperst, dann aber nur das, was ich sage, verstanden?“
„Verstanden“, antwortete der Stör, aber er war doch verwirrt. Sonst pflegte Thorfin ihm immer in den Allerwertesten zu treten, wenn er seine letzten Worte nachsprach.
„Verlassen Sie augenblicklich das Lokal!“ fuhr der Lieutenant den Wikinger an. „Verschwinden Sie! Nehmen Sie Ihre Leute mit!“
„Ich wünschte, Hugin und Munin würden dir die Augen auspicken“, sagte Thorfin, der jetzt langsam vor Wut zu kochen begann.
„Hugin und Munin?“ fragte der Lieutenant verdutzt. „Wer sind denn das?“
„Odins Raben. Aber warum äffst du alles nach wie der Stör?“
Der Lieutenant lief um eine Nuance dunkler im Gesicht an, seine Schläfenadern traten leicht hervor. „Wer in aller Welt ist Odin – und wer der Stör?“
„Odin ist der Herr aller Götter“, erklärte Thorfin Njal und hob würdig den Kopf. „Ein Narr, wer das nicht weiß.“
„Der Stör sitzt dort drüben!“ stieß Nathaniel Plymson fast schluchzend hervor und rang dabei verzweifelt die Hände. „Der lange Kerl mit dem Schnauzbart. Aber, bitte, Gentlemen, können Sie Ihre Diskussionen nicht woanders austragen?“
Der Wikinger hieb mit der Faust auf die Theke, daß die darauf stehenden Humpen ein Stück hochsprangen. „Von dir lasse ich mir auch nichts vorschreiben, Plymson! Ich rede hier, soviel und solange ich will!“
„Sie sind verhaftet!“ schrie der Lieutenant. „Sie haben sich der Ordnungsmacht widersetzt und sie obendrein beleidigt! Sie stehen unter Arrest und folgen mir!“
„Ich bleibe hier!“ brüllte der Wikinger ihm ins Gesicht.
„Nehmt diesen Kerl fest!“ schrie der Lieutenant seinen Begleitern zu.
Angesichts der Überzahl der Männer, die sich jetzt von ihren Stühlen erhoben, zögerten die Soldaten jedoch.
Der Seewolf stand gleichfalls auf und ging zu den Streithähnen hinüber. Er fand, daß das Spielchen schon viel zu lange gedauert hatte, und wollte versuchen, die Angelegenheit zu einer gütlichen Einigung zu führen.
„Lieutenant“, sagte er. „Mein Name ist Philip Hasard Killigrew. Ich bitte Sie, nehmen Sie es meinem Freund Thorfin Njal nicht übel, daß er so rauhbeinig auftritt. Es ist nicht so gemeint.“
„Sie können mir viel erzählen!“ rief der wütende Mann. „Der Kerl wandert für den Rest der Nacht in eine Zelle, das ist sicher!“
„Mies, ganz mies“, brummte Mac Pellew, der beim Kutscher, bei Batuti, Shane und den Zwillingen stand. Er selbst hatte ja üble Erfahrungen mit dem Kerker von Plymouth, und er hätte noch jetzt dort festgesessen, wenn die Seewölfe ihn nicht herausgeholt hätten. „Ich kann’s keinem empfehlen, sich da einbuchten zu lassen“, fügte er murmelnd hinzu. „Schon nach ein paar Stunden würde man am liebsten mit dem Kopf gegen die Wand rennen.“
„Bitte“, sagte Hasard noch einmal. „Verzeihen Sie meinem Freund. Üben Sie Nachsicht, Lieutenant. Ich bürge für Thorfin Njal und für alle anderen, die Sie hier vor sich sehen. Es sind alles anständige, unbescholtene Männer. Wir trinken noch ein Bier, und dann gehen wir, einverstanden?“
„Nein!“ schrie der Lieutenant. „Zum letzten Male: Hauen Sie ab! Dies ist die letzte Aufforderung!“
Hasard trat einen Schritt zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Na, dann fangen Sie mal mit dem großen Aufräumen an, Sir. Wir werden ja sehen, was daraus wird.“ Die barsche, bevormundende Art des Mannes reizte nun auch ihn.
Thorfin Njal hatte ein hartes Grinsen aufgesetzt.
„Wie war das, Kameraden?“ sagte er zu den Soldaten. „Wolltet ihr mich nicht verhaften? Nur zu.“
„Abführen, den Kerl!“ schrie der Lieutenant seinen Männern zu, doch als er sie wieder zaudern sah, schien auch er wankelmütig zu werden. Im übrigen rückten jetzt die Männer der „Isabella IX.“ und des Schwarzen Seglers bedrohlich nahe heran, und auch dieser Umstand steigerte seine Bedenken gegen eine sofortige Aktion erheblich.
Deshalb wählte er drei Soldaten aus und sagte: „Sie bleiben hier und passen auf, daß diese Strolche nicht das Weite suchen. Ich hole Verstärkung.“
„Ja, Sir“, sagten die Soldaten, aber untereinander tauschten sie furchtsame Blicke.
Erbost verließ der Lieutenant mit den beiden anderen Soldaten die „Bloody Mary“ und rammte die Tür hinter sich zu. Die Seewölfe und ihre Freunde vom Schwarzen Segler lachten, dann ließen sie sich wieder an den Tischen nieder.
„Die nächste Runde, Plymmie!“ rief der Seewolf. „Und gib auch den drei Burschen etwas zu trinken, bevor der Tanz richtig losgeht!“ Er wies auf die Soldaten.
Plymson hatte heftig zu keuchen begonnen, er sah seine schöne Einrichtung im Geist schon in tausend Trümmer zerspringen.
„O bitte, geht doch“, jammerte er. „Ich zahle die gesamte Zeche, ich gebe euch den ganzen Abend aus, aber verschwindet bitte.“
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