„Ja. Morgen früh laufen wir aus. Ich weiß, daß du glücklich darüber bist. Deshalb wirst du uns natürlich nur von deinem besten Wein auftischen. Und wehe dir, wenn das Bier keine Schaumkrone hat und nicht kühl genug ist.“
„Selbstverständlich erhalten Sie bei mir nur erstklassige Getränke, Sir“, beeilte sich Plymson zu versichern. „Also bitte, nehmen Sie doch Platz. Ich werde Sie selbst bedienen, der grobe Johann ist nicht da.“
„Der ist sowieso nie da“, brummte Big Old Shane. „Wir können auch auf dich verzichten und uns selbst bedienen, wir kennen uns ja aus.“
Plymson vollführte eine wedelnde Handbewegung. „O nein, nein. Es ist mir eine Ehre, Ihnen zu Diensten zu sein, Gentlemen.“
„Wie freundlich der heute abend ist“, wunderte sich der Profos. Verdutzt schaute er den Dicken über die Theke hinweg an. „So kennt man ihn sonst gar nicht. Ist heute was Besonderes?“ Plötzlich schien er Plymson mit seinem Blick festnageln zu wollen. „Hast du etwa Geburtstag oder so, Kerl?“
„Ich? Nein.“
„Aber irgendwann mußt du Geburtstag haben. Wann? Na?“
„Es ist mir – entfallen“, stöhnte Plymson, und unter der Perücke wurde es ihm entsetzlich heiß zumute.
„Laß ihn in Ruhe, Ed“, sagte der Seewolf. „Wir wollen anständig sein und seine Einrichtung heil lassen. Los, setzt euch. Alles, was getrunken wird, geht auf meine Kosten!“
„Nicht ganz“, brummte Carberry und beugte sich zu Plymson hinüber, um ihn so freundlich wie ein hungriger Hai zu mustern. „Du hast einen Grund zum Feiern, Plymmie! Du bist uns nämlich bald los. Also? Wie ist das mit der ersten Runde?“
„Die – geht natürlich auf Kosten des Hauses“, ächzte Plymson.
„He, ho!“ rief der Profos. „Plymmie gibt einen für uns aus, ist das nichts?“
„Hurra!“ schrien die Männer und ließen sich an den Tischen nieder. „Hoch soll er leben!“
Allem Anschein nach versprach es ein sehr gemütlicher Abend zu werden.
Zur selben Stunde kämpfte sich unweit der Ostfriesischen Inseln eine holländische Galeone durch den Sturm. Ihr Name lautete „Eendracht“, ihr Heimathafen war Den Haag. Vor vier Tagen noch hatte sie in Hamburg gelegen und Ladung an Bord genommen, jetzt befand sie sich auf der Rückreise. Doch die Fahrt stand unter einem schlechten Stern. Immer weiter drückte der fauchende und heulende Nordwind das Schiff nach Legerwall.
Kapitän Winschoten tat alles, um den Kurs zu halten. Er stand selbst auf dem von Brechern überrollten Achterdeck und bediente den Kolderstock. Doch die schwere See, der Sturm und der Nebel, der sich herabgesenkt hatte, waren einmütig gegen ihn. Statt nach Westen zu laufen, geriet die „Eendracht“ immer weiter nach Südwesten, schließlich nach Süden, und bald war sie nicht mehr weit von Norderney und Baltrum entfernt.
„Wir schaffen es nicht!“ schrie Winschoten im Tosen der Urgewalten seinem Bootsmann van de Pool zu. „Wir laufen gleich irgendwo auf, wenn nicht ein Wunder geschieht!“
„Können wir nicht eine der Inseln ansteuern?“ brüllte van de Pool zurück.
„Ja! Aber wo sollen wir in diesem Teufelswetter verholen? Man kann kaum die Hand vor Augen sehen!“
„Wir müssen nach einer Bucht Ausschau halten!“ schrie der Bootsmann. „Mit etwas Glück gelingt es uns, irgendwo vor Anker zu gehen!“
Das Glück hat uns verlassen, dachte Winschoten, wir sind dazu verdammt, ihn abzureiten und finden keinen Zufluchtsort, an dem wir sein Abklingen abwarten können. Zur Hölle mit der Seefahrt!
Wieder lief ein Brecher gegen die „Eendracht“ an und übergoß ihre Decks mit Salzwasser, Schaum und Gischt. Die Männer schrien, klammerten sich an den Haltetauen fest und schickten Stoßgebete zum Himmel. Schwer krängte das Schiff nach Backbord. Fast schien es, als müsse es nun querschlagen und würde sich nie wieder aufrichten. Der Wind peitschte auf die Galeone ein, zerrte und rüttelte an ihrer Takelage, die Masten und Rahen knarrten und knackten.
Doch noch einmal erhob sich die „Eendracht“ und setzte ihre Irrfahrt stampfend und schlingernd fort. Das Rollen wurde aber immer schlimmer, nichts schien das Schiff und die Mannschaft vor einem furchtbaren Ende bewahren zu können.
Und doch trat das Wunder ein, Winschoten glaubte seinen Augen kaum trauen zu dürfen: Lichter glommen in Nebel und Dunkelheit auf, ein rötlicher Schimmer schien im Süden über den Inseln aufzusteigen. Jemand hatte Erbarmen mit den der See Ausgelieferten, jemand half und wies ihnen den Weg.
Neue Hoffnung erfüllte Winschoten. Er brachte die Galeone direkt vor den Sturmwind und steuerte die kursangebenden Feuer an. Mit immer schnellerer Fahrt eilte die „Eendracht“ dahin. Sie schien selbst etwas von der Rettung zu verspüren, die dort, keine fünf Meilen mehr entfernt, auf sie wartete.
„Durchhalten, Männer!“ feuerte van de Pool die Mannschaft an. „Wir haben es gleich geschafft!“
Winschoten spähte mit verbissener Miene voraus und war jetzt sicher, daß die Leuchtfeuer die Einfahrt einer Bucht oder Passage kennzeichneten. Hätte er in diesem Moment die Gestalten erkannt, die an den Ufern der Inseln auf und ab eilten und ununterbrochen neue Scheite nachlegten, um die Flammen zu unterhalten, hätte er die grinsenden Gesichter, die Schadenfreude in den Mienen der Groot-Jehans und der Lütt-Jehans sehen können –, er hätte schleunigst beigedreht und wäre lieber mit seiner Galeone im Sturm gekentert, statt in die für ihn und andere Unglückliche errichtete Falle zu laufen.
Noch konnten die Jehans die „Eendracht“ nicht sichten, denn längst war die Hecklaterne des Schiffes in Wind und Gischt erloschen, und die Dunkelheit und der Nebel ließen es nicht zu, auch nur schemenhaft die Konturen des Schiffes zu erkennen. Doch die Friesen waren sicher, daß früher oder später ein Opfer erscheinen und auf der Barriere hängenbleiben würde – zu gut waren die Voraussetzungen, zu günstig der Wind, zu groß die Wahrscheinlichkeit, daß in dieser Nacht Kauffahrer und kleine Küstensegler unterwegs waren, um ihre Fracht so schnell wie möglich an den Ort ihrer Bestimmung zu bringen.
„Willem!“ brüllte Lüder Groot-Jehan seinem Schwager im Toben des Sturmes zu. „Bring die Laternen, wir wollen sie jetzt anzünden!“ Er stand nur wenige Schritte von der Brandung entfernt am Hang des Deiches und blickte nach Baltrum hinüber, wo die Lütt-Jehans inzwischen ein paar Lampen entfacht hatten und sie hin und her schwenkten.
Willem erschien mit den Laternen, und gemeinsam setzten sie sie an den lodernden Feuern in Betrieb. Gode, Jan, Uwe, Onno und alle anderen Männer des Dorfes schleppten wieder Holz herbei, damit die Feuer ja nicht erloschen. Zwischendurch wurden Flaschen mit Korn herumgereicht. Die Männer tranken, um sich warmzuhalten, denn die Hitze der Flammen schien sich in der grimmigen Kälte zu verlieren.
Plötzlich wurde von Baltrum ein Lichtsignal gegeben, das nur den Groot-Jehans gelten konnte. Lüder konnte nicht verfolgen, wie Karl, Heino, Pit, Friedhelm, Brüne und deren Helfer drüben aufgeregt zusammenliefen und gestikulierten, aber er begriff, daß sie etwas erspäht hatten.
Und tatsächlich: Wenige Augenblicke später erblickten auch Lüder und seine Kumpane die Umrisse der Galeone, die aus den milchigen Schleiern auftauchten. Einem verirrten, hilflosen Riesentier gleich segelte das Schiff mitten in die Passage hinein, ohne daß die Besatzung auch nur etwas von der Pfahlbarriere ahnte.
Winschoten hielt den Kolderstock mit aller Kraft fest. Es war, als würde das Holz jeden Moment zerbrechen, die Wasser drückten mit Macht gegen das Ruder. Ein tiefes Stöhnen schien sich dem Schiffsrumpf zu entringen, und wieder rollte die „Eendracht“ so ungestüm, daß zwei Mann der Besatzung um ein Haar ihren Halt an den Tauen verloren und von der Kuhl gerissen wurden.
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