„Die hat ihm ins Auge gestochen“, sagte Hasard. „Aber stell dir diesen Schnösel nur auf unserem Achterdeck vor, wie er einen falschen Befehl nach dem anderen gibt. Das wäre doch ein Jammer, das würde ihm die Lady nie verzeihen.“
„Ganz sicher nicht.“
Die Entfernung schrumpfte weiter zusammen. Neben den Geschützen lauerten die Soldaten auf ihren Befehl zum Feuern. Eine der Galeonen schor ein wenig aus und ging höher an den Wind.
Hasard blieb auf dem Kurs. Für die kleine Galeone war es schlecht, ihr Ziel zu erfassen, denn dazu war die See zu ruppig, und sie legte sich immer wieder hart über.
„Es würde mir Freude bereiten“, meinte Dan, „diesen eingebildeten Kerlen einen eisernen Gruß hinüberzuwinken. Einen der Fünfundzwanzig-Pfünder, der gerade mal so den Mast aus den Planken rupft. Aber das ist wohl nicht drin, Sir?“
„Nein, wir begnügen uns damit, die Kerle ein wenig zum Narren zu halten, das erzeugt beim Marquess sicher den gleichen Effekt und wird ihn in noch größere Wut versetzen.“
Jetzt waren sie fast auf gleicher Höhe mit dem Schiff des Marquess. Die Entfernung betrug geschätzt gut zwei Kabellängen auf der Luvposition, die Hasard nach Möglichkeit immer beibehielt, um dem Gegner überlegen zu sein.
Drüben blitzte es auf, genau wie Hasard das erwartete. Aus der zweiten Stückpforte zuckte ein orangefarbener Blitz, dann aus der dritten und vierten.
Mit den gleichen Verzögerungen gingen die Eisenkugeln auf die Reise. Die erste kleine Fontäne stieg geschätzt sechzig Yards vor ihnen aus der See. Die Dünung riß sie auseinander und verschluckte sie.
Die zweite lag weiter zurück, die dritte wieder auf der gleichen Höhe wie die erste, nur die letzte Fontäne entstand in einer Entfernung von knapp vierzig Yards.
„Sehr gut“, höhnte Carberry von der Kuhl aus und winkte dem Marquess einen freundlichen Gruß mit beiden Händen zu. „Wenn du Rübenschwein so dein Pulver verschießt, wirst du bald mit leeren Händen nach Plymouth zurückkehren.“
„Er kann tatsächlich nicht weiter feuern“, sagte Ferris Tucker. „Er hat so hart unterlegt, daß er die Möwen aus den Wolken schießt: Na, Hauptsache, er: ärgert sich kräftig.“
Das tat der Marquess mit Sicherheit. Er schien sich grün und blau zu ärgern, aber er mußte seine Wut loswerden, und das konnte er wohl nur, wenn er aus allen Rohren feuerte, in der falschen Hoffnung, vielleicht doch noch einen Treffer zu erzielen.
Die Begegnung mit der zweiten Galeone erfolgte. Hasard griff wieder nach dem Spektiv und blickte hindurch.
Diesmal blitzte es dreimal auf, dreimal gleichzeitig. Mehr hatte das Schiffchen auf einer Seite nicht zu bieten. Drei lumpige Stücke mit vermutlich je sechs Pfund.
Drei Fontänen entstanden wieder im Wasser. Kleine, mickrige Dinger, die nur ein wenig das Wasser ankratzten, Nadeln, die in die See pieksten.
Die dritte Breitseite. Hasard lachte nur.
„Die weißen Streifen bedeuten wirklich die Feuereröffnung“, sagte er, immer noch lachend. „Ich möchte wissen, was die einzelnen Kapitäne wohl über ihren Marquess denken. Jeder normale Mensch muß ihn doch für einen Trottel halten.“
„Auch sein Logbuch dürfte interessant sein“, meinte Dan. „Wer weiß, was er da wohl reinschreibt. Er muß das doch begründen.“
Sie schenkten dem Feuer schon gar keine Beachtung mehr und blickten nur einmal kurz auf, als wieder Donner über die See rollte und lange Flammenzungen aus der Bordwand der letzten Galeone zuckten.
Die Wirkung war wieder gleich null. Viel zu kurz lagen die Schüsse.
Shane zeigte mit dem Daumen höhnisch hinter dem weitersegelnden Geschwader her.
„Nicht mehr lange, und die werden Krach mit den Fischern kriegen. Die knallen ja noch die letzten Seehechte und Heringe ab.“
„Bleiben wir auf Kurs, Sir?“ erkundigte sich Pete Ballie.
„Ein paar Meilen noch, der Marquess braucht schließlich Zeit zum Nachladen, und wir wollen ihm die Freude ja nicht verderben.“
Auf dem Kurs wurde noch etwa zwei Meilen weitergesegelt, bis das Geschwader achteraus wieder kleiner wurde. Durch den Kieker sah Hasard, daß jetzt grüne Signalwimpel im Topp flatterten.
Marquess Henry of Battingham ließ ebenfalls halsen, und so wie er das auszudrücken pflegte, würde er jetzt wohl sagen: „Wir drehen um!“
Die Schande, so hereingelegt und genarrt worden zu sein, schien ihm doch mächtig in den Knochen zu stecken. So begann er ein umständliches Manöver, das ihm gar nichts einbrachte, es sei denn, er wollte wieder nach Plymouth zurückkehren und gab die Verfolgung auf, weil er doch noch einsichtig wurde.
„Und so was vertritt England nun zur See“, meinte Ben kopfschüttelnd, als der Gänsetrott achteraus sich im Krebsgang durch die See bewegte und die Halse einleitete.
„Sicher nimmt er an“, sagte Shane, „daß wir jetzt nach Plymouth zurücksegeln. Dann wird er unten den Hafen sperren und glaubt uns in der Falle.“
„Dann muß er nicht nur ein Blödmann, sondern ein ausgesprochener Idiot sein, Shane. Für so absolut dumm halte ich ihn eigentlich nicht. Er will uns nur hinterher, um zu zeigen, daß er keinesfalls gewillt ist, aufzugeben.“
„Das ist auch möglich. Vielleicht glaubt er, viele Hunde seien des Hasen Tod, und einmal begehen auch wir einen Fehler.“
„Da wird er noch verdammt lange warten müssen.“
Durch die eingeleitete Halse blieb der Verband noch weiter zurück, weil er viel Zeit verlor. Da ertönte aus dem Großmars Philips Stimme, der als Ausguck aufgeentert war.
„Deck!“ meldete er laut. „Ein Strich Steuerbord voraus ein Dreimaster.“
Vater Hasard zeigte verstanden und suchte nach dem Dreimaster, den Dan jetzt auch mit bloßen Augen erkannte. Aber von der Kimm her wurde es wieder trübe und dunkel. Von Nord zog erneut ein Schneeschauer heran, der die Kimm verdüsterte. Das Schneegestöber würde sie in spätestens einer Viertelstunde erreichen.
Kaum gesichtet, entschwand der Dreimaster auf Gegenkurs auch schon wieder ihren Blicken.
„Sollen wir zur Sicherheit ein paar Kanonen ausrennen, Sir?“ fragte der Waffenmeister Al Conroy vom Quarterdeck herauf. Den guten Al Conroy juckte es schon lange, eins dieser kräftigen und mattschimmernden Geschütze auszurennen. Nicht nur ausrennen, er hätte auch zu gern einmal damit ein bißchen geballert, um zu sehen, ob sie auch gut schossen.
Leider nahm der Seewolf ihm diese Hoffnung.
„Notfalls weichen wir aus, Al“, sagte er. „Wir besetzen für den Fall der Fälle nur die Drehbassen.“
„Schade“, sagte Al bedauernd. „Über die Eigenschaften dieser Kanonen wissen wir noch so gut wie nichts, Sir.“
Der „Sir“ grinste und hob die breiten Schultern.
„Ich bin sicher, daß wir das noch herausfinden, Al. Demnächst werden wir mal ein Probeschießen veranstalten. Zufrieden?“
„Zufrieden, Sir.“
Böartig fiel nun der Wind ein. Die ersten Schneeflocken trieben über die See, und der Wind peitschte sie vor sich her, schliff sie zu scharfen Nadeln und jagte sie den Männern in die Gesichter.
Eine dichte Wolke hüllte die „Isabella“ ein. Minutenlang war die Sicht so schlecht, daß man vom Achterdeck aus kaum noch die Back erkennen konnte.
„Zwei Strich Backbord, Pete!“ befahl der Seewolf, denn der Dreimaster voraus lag fast auf ihrem Kurs, und sie konnten sich gegenseitig nicht sehen. Ein Ramming auf der Jungfernfahrt war das letzte, was sie noch brauchen konnten.
„Neuer Kurs liegt an“, sagte Pete ruhig.
Dan O’Flynn starrte in das Schneetreiben voraus. Ben hielt einen Kieker vor dem Auge. Im Großmars versuchte Philip, etwas zu erkennen, und der Ausguck im Fockmast mühte sich ebenfalls verzweifelt ab.
An der vorderen Beting standen Smoky und Sam Roskill und versuchten, ebenfalls etwas zu erkennen.
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