„Wir werden diese Entscheidung gemeinsam treffen, weil sie von sehr schwerwiegender Bedeutung ist“, sagte der Seewolf. „Dabei halten wir es so, daß jeder einen Teil der Verantwortung trägt, indem wir abstimmen. Ihr kennt das Für und Wider dieser Reise. Sollten wir in einen leeren Teil des Pazifiks vorstoßen und die Inseln verpassen, dann wird die ‚Santa Barbara‘ irgendwann einmal vielleicht aufgefunden werden, und an Bord werden dann nur Skelette sein. Was vorher allerdings passieren wird, mag sich jeder selbst ausmalen, denn auch diese Seite gilt es zu berücksichtigen.“
„Hm, Knochenmänner“, sagte Carberry unbehaglich. „Bisher haben wir es immer geschafft. Hast du so große Bedenken, Sir?“
„Ich stelle das nur zur Diskussion und zur Abstimmung, Ed. Jeder mag selbst entscheiden. Wir sollten nur nicht vor möglichen unangenehmen Tatsachen die Augen verschließen und so tun, als sei das alles ein unbedeutender Klacks.“
„Es kann aber auch alles gut ausgehen, oder?“ fragte Carberry.
„Selbstverständlich.“
Hasard sah, wie es hinter den Stirnen arbeitete. Die meisten blickten aufs Meer hinaus, obwohl sie dort nichts sahen als dieses unselige Dämmerlicht, in dem sie auf einem unbekannten Kurs drifteten.
„Gut, dann sollten wir abstimmen“, meinte Don Juan.
Die Abstimmung brachte genau das Ergebnis, das der Seewolf auch erwartet hatte.
„Wer ist dafür, daß wir die Reise fortsetzen?“ fragte er. „Wer zustimmt, der möge bitte die Hand heben.“
Alle Hände hoben sich wie auf ein Kommando. Auch Mac Pellew, der wieder an Deck erschienen war, hob die Hand. Allerdings zog er dabei ein Gesicht, als stimme er seiner eigenen Beerdigung zu.
„Gut, dann ist das also entschieden“, sagte Hasard. „Die Gegenprobe erübrigt sich, ich habe keine Hand unten gesehen. Wir segeln nach China, aber wir lassen uns vorläufig treiben, bis dieses Halbdämmer verschwunden ist. In der Zwischenzeit klaren wir dieses Schiffchen von vorn bis achtern auf und kümmern uns auch um die Geschütze. In der Segellast liegen zum Glück genügend Ersatzsegel. Wir werden die alten und morschen Dinger austauschen.“
Will Thorne, der alte und immer bescheiden im Hintergrund bleibende Segelmacher, versprach, sich zusammen mit Roger Brighton, dem Takelmeister, darum zu kümmern. Will hatte sich erstaunlich schnell von seiner Fieberkrankheit erholt.
Die anderen teilte der Profos zum Aufklaren ein. Es gab auf der „Santa Barbara“ noch etliches zu tun.
An dem herrschenden Zustand änderte sich auch vorläufig nichts. Der Wind und die Drift schoben sie weiter ins Unbekannte. Es war ein eigenartiges Gefühl, nicht zu wissen, was vor ihnen lag. Sie waren wie Blinde, die das Licht suchen, um sich anhand eines winzigen Helligkeitsunterschiedes zu orientieren. Aber vorerst gab es dieses Licht noch nicht, das sie so eifrig suchten. Die Welt blieb auch weiterhin wie in Watte verpackt.
Dennoch gingen sie unverdrossen an die Arbeit.
Nach ein paar Stunden Arbeit sah die „Santa Barbara“ wieder manierlich und sauber aus. Die Decks waren von der schmierigen Asche gesäubert worden, aber feine Staubreste hingen immer noch in der Luft und sorgten für neuen Dreck.
„Jetzt werden wir uns mal um die Blessuren kümmern“, sagte der Kutscher. „Wir haben ja alle ziemlich viel abgekriegt.“
Sie hatten Wasser in die Waschbalje geschöpft und sich Ruß, Schmiere und Dreck abgewaschen. Jetzt fühlten sie sich bedeutend besser, wenn auch die Körper noch von den höllischen Funken brannten.
Der Kutscher besah sich mit langem Gesicht das, was die Dons unter dem Begriff „Medizinkiste“ verstanden. Die Kiste enthielt einen weiteren kleinen Kasten mit ärztlichem Besteck. Als der Kutscher einen Blick in den Kasten warf, wurde sein Gesicht noch länger. Mac Pellew blickte gottergeben drein.
„Ich sag’s ja, ich sag’s ja“, klagte er. „Diese Lausekerle lassen alles verkommen und vergammeln. Ihre Degen sind immer blitzblank und rosten nicht, aber hier ist alles verrostet. Da können wir jahrelang putzen, bis wir das wieder sauber haben.“
„Jahrelang ist zwar ein bißchen übertrieben, aber im Prinzip hast du recht. Mit dem Besteck ist wirklich nicht viel los. Die haben nicht einmal eine Salbe gegen Brandverletzungen. Jetzt stehen wir aber schön da.“
„Nehmen wir eben Olivenöl“, schlug Mac grämlich vor. „Das Zeug tut’s ja schließlich auch und so.“
„Schön, nehmen wir Olivenöl. Davon haben wir eine ganze Menge an Bord. Dann füll mal was ab.“
„Das Zeug stinkt“, stellte Mac beim Abfüllen in einen kleinen irdenen Topf fest. „Das ist so alt wie Seine Allerkatholischste Majestät, der König von Spanien. Ranzig ist der Mist.“
Dem Kutscher platzte fast der Kragen.
„Himmel, Arsch und Olivenöl!“ brüllte er den zusammenzuckenden Mac Pellew an. „Seit wir auf diesem Eimer sind, hast du ständig was zu meckern und stinkst den ganzen Tag lang herum. Wir haben nun mal nichts anderes, also behelfen wir uns mit ranzig riechendem Öl. Hättest ja die Dons fragen können, ob sie für uns nicht ein besser ausgerüstetes Schiff hätten!“
Der Kutscher fummelte weiter in der Kiste herum. Sie enthielt Verbandszeug, Pülverchen in kleinen Tüten mit spanischen Bemerkungen und zwei kleinen Fläschchen, die irgendeine übelriechende Tinktur enthielten. Zu was das Zeug gut war, wußte nicht einmal der Kutscher. Viel mehr war in der Kiste nicht zu entdecken. Alles sah vergammelt und verwahrlost aus.
Der Kutscher kehrte mit dem kleinen Öltopf an Deck zurück und tupfte den ersten Männern das Olivenöl auf die Brandwunden.
Als Carberry an der Reihe war, begann er mißtrauisch zu schnüffeln. Dann blickte er Mac Pellew an, der ein Gesicht zog, als bestehe die ganze Welt nur noch aus Leid und Elend.
„Na, Mister Seltenfroh“, knurrte er, „was ist denn das für ein stinkendes Dreckzeug? Glaubst du, ich will hier wie ein Stinktier durch die Gegend laufen?“
„Erstens kann hier niemand durch die Gegend laufen, weil’s gar keine Gegend gibt“, wurde er von Mac belehrt. „Und zweitens ist das das Beste vom Allerbesten, was die Dons gegen Brandwunden haben. Und drittens will ich das mit dem Mister Seltenfroh überhört haben, sonst stech ich dir ein Loch in die Pelle.“
„Hast wohl heute dein starkes Hemd an, was, wie? Ist das Zeug denn wirklich so gut?“
„Sag ich doch – das Beste, was wir an Bord haben. Und wenn es stinkt, dann ist es ganz besonders gut.“
„Riecht aber nach ranzigem Öl“, stellte Carberry fest.
„Ist auch ranziges Öl“, erwiderte Mac trocken. „Wir haben einfach ein Faß altes Olivenöl geöffnet.“
Der Profos lachte kurz, während Mac weiter an ihm herumtupfte.
„Du mit deinen Witzen“, sagte er. „Das mußt du schon einem Dümmeren verklaren.“
„Da werde ich aber lange suchen müssen.“
Der Profos dachte noch über die letzte Bemerkung nach und wie sie aufzufassen war, doch war Mac schon bei Smoky und grinste auf eine Art, als hätte man ihm alle Zähne gezogen und Seewasser zum Nachspülen gegeben.
„Weiß der Satan“, brummte der Profos. „Wenn ich diesen Mister Seltenfroh nicht so gut kennen würde, dann möchte ich wetten, daß er wahrhaftig ranziges Stinköl genommen hat.“
„Riecht jedenfalls komisch“, stimmte Smoky zu. „Der verpestet hier das ganze Schiff von vorn bis achtern.“
Mac Pellew ließ sich jedoch durch die Bemerkungen nicht weiter aus der Reserve locken. Er und der Kutscher gingen von einem zum anderen und tupften Olivenöl auf die Brandwunden, bis auch der letzte Mann behandelt war.
Danach roch es allerdings wirklich merkwürdig auf der „Santa Barbara.“
„Was ist das für ein Zeug?“ erkundigte sich selbst Hasard interessiert. „Es riecht so eigenartig.“
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