Es war kaum noch etwas zu sehen, außer dem glühenden Licht weit in der See und den immer noch aufflackernden Flammen, die wie aus dem Nichts auf den Planken entstanden.
Hasard hatte winzige Brandwunden im Gesicht. Der Profos war von einem glühenden Brocken am Arm gestreift worden und blutete. Es gab kaum noch einen, der keine Blessuren hatte. Aber bisher war noch keiner ernsthaft getroffen worden oder ausgefallen.
Für die Behandlung der Blessuren war jetzt ebenfalls keine Zeit. Das Wichtigste war, das Feuer zu bekämpfen. Brach ein nicht zu löschender Brand aus, dann waren sie hoffnungslos verloren. Es gab dann keine Rettung mehr in dem flammenden Inferno. Niemand hätte es geschafft, schwimmend die Küste zu erreichen, von der man noch nicht einmal mehr wußte, wo sie sich befand.
Zwei Segel waren aus dem Liek gerissen und wurden geborgen. Besan- und Großmarssegel waren von unzähligen schwarzen Punkten durchlöchert, durch die der heiße Wind pfiff.
Alles Tuch wurde unter lautem Gebrüll weggenommen. Sie brüllten alle und schlugen immer wieder mit den Händen nach den roten Feuersternen, die sich in ihre Haut brannten.
Es sah auch nicht so aus, als würde sich der jetzige Zustand bald ändern oder bessern. Eher wurde es noch schlimmer.
Sie lenzten jetzt als hilfloser Spielball der Elemente vor Topp und Takel. Die See hämmerte unermüdlich auf die Galeone ein, so daß sie in allen Verbänden knackte und krachte.
Hasard versuchte, sich anhand der Magmasäule zu orientieren, doch das erwies sich als unmöglich, denn das Monstrum, das eine neue Insel gebar, wanderte unaufhörlich weiter. Den Kompaß konnte er ebenfalls nicht ablesen, dazu war es zu dunkel.
Irgendwann einmal spürten sie, daß die „Santa Barbara“ immer schneller wurde. Ein gewaltiger Sog bewegte sie rasend schnell fort. Eine riesige Welle tat ein übriges, auf der sie stundenlang mitritten. Dann gab es wiederum nur noch Dunkelheit, heiße Luft und Feuer.
Es war weder Tag noch Nacht. Es war ein Zustand, der sich kaum beschreiben ließ. Niemand wußte, wieviel Zeit inzwischen vergangen war.
Aber sie schöpften wieder neue Hoffnung.
Himmel und Meer waren eins. Es gab keinen sichtbaren Übergang. Auch die Sonne schien nicht.
Der Himmel war von tiefer dunkler Farbe, vermischt mit einem schmutzigen fahlen Gelb in der Mitte. Das Wasser hatte die gleiche Färbung. Die Sicht betrug bestenfalls eine halbe Meile. Von da an verwischte alles zu einem konturlosen Gespinst. Sie befanden sich in einer Art Dunstglocke, deren Umfang nicht abzuschätzen war.
Die Decks waren dunkelgrau von herabgeregneter Asche, die mit dem überkommenden Seewasser eine dicke Schmiere gebildet hatte.
Dazwischen gab es überall schwarze Brandflecken.
Immer noch trieb die „Santa Barbara“ auf einer Dünung, die sie eilig durch die See schob.
Nach der harten Schufterei hatten sie abwechselnd jeder ein, zwei Stunden vor Erschöpfung geschlafen.
Jetzt waren sie wieder wach – verdreckt, verrußt, immer noch abgeschlafft und mit kleinen Brandwunden übersät. Die blauen Flecken zählten sie erst gar nicht mit, die sie sich geholt hatten, als die Galeone verrückt spielte.
Der Tag begann mit einer Entdeckung, die niederschmetternd war, als sich Hasard auf dem Achterdeck umschaute. Überall sah er Brandlöcher im Holz, aber das war es nicht, was ihn so entsetzte. Das Schiff war übersät mit den Dingern.
Ungläubig starrte er auf das Kompaßhäuschen. Das war nur noch ein kleiner Trümmerhaufen und bestand aus ein paar Brettern, die auf die Planken genagelt waren.
Der Kompaß war zerschmettert und absolut unbrauchbar. Ein kleiner Magmabrocken mußte ihn getroffen und zerstört haben.
„Was ist, Sir?“ fragte Dan, als er Hasards betroffenes Gesicht sah.
„Der Kompaß ist zerstört worden. Es sind nur noch ein paar Glasscherben übrig.“
Dan O’Flynn schluckte hart. Er sah ebenfalls auf die Trümmer.
„Tatsächlich“, murmelte er mit zuckenden Lippen. „Damit können wir wirklich nichts mehr anfangen. Und was jetzt?“
Die Nachricht von dem zerschmetterten Kompaß sprach sich schnell herum. Einer nach dem anderen erschien auf dem Achterdeck, um sich den Schaden anzusehen.
„Ausgerechnet der Kompaß“, stöhnte Ben Brighton. „Ohne den sind wir hilflos wie ein Neugeborenes.“
Don Juan, der hochgewachsene Spanier mit den schmalen Hüften, den breiten Schultern und dem kühn geschnittenen Gesicht, sah das als nicht ganz so schlimm an.
„Keine Sorge“, meinte er. „Auf den spanischen Schiffen ist es üblich, daß nicht nur ein Kompaß an Bord ist. Auf der ‚Isabella‘ haben wir ja auch mehrere Exemplare für den Notfall. Wir werden in irgendeiner Last schon einen anderen finden. Wenn nicht, befindet er sich in der Kapitänskammer. Außerdem dürfte im Beiboot noch ein kleiner Kompaß sein.“
„Dann sehen wir lieber gleich nach“, riet Hasard. „Ein Schiff ohne Kompaß ist wie – äh …“
„Eine Kneipe ohne Bier“, half der Profos aus.
„Ja, du hast es wieder mal genau getroffen.“
Es gab zwei Jollen an Bord, die kieloben lagen und festgezurrt waren. Schon das gab Hasard zu denken, denn die Jollen waren ganz sicher nicht so gut ausgerüstet wie die der „Isabella“.
Die Zurrings wurden gelöst, und die erste Jolle umgedreht.
„Leer“, sagte Ferris Tucker überflüssigerweise. „Nicht mal einen kleinen Notkasten haben die Dons in die Jolle gebaut.“
Vor der zweiten, etwas größeren Jolle, standen sie dann ebenfalls mit ratlosen Gesichtern herum. Auch in ihr befand sich nichts, nicht einmal die Riemen, die man gut hätte anbringen können.
„Sehr enttäuschend“, meinte der Seewolf. „Weiß der Teufel, wie lange die Galeone schon im Hafen lag. Vermutlich sehr lange, sonst hätte man die Ausrüstung in den Jollen gelassen.“
Don Juan ging nach einem kurzen Blick weiter nach achtern.
„Noch ist nichts verloren“, meinte er über die Schulter hinweg. „Wir werden schon noch einen Kompaß auftreiben.“
„Optimismus hat er ja“, sagte Shane, „aber ob seine Landsleute auch so gedacht haben?“ Er strich sich mit der Hand mißmutig durch den grauen Bart und befühlte besonders intensiv jene Stellen, wo die Funken seiner Manneszier so übel mitgespielt hatten. Da war doch, verdammt noch mal, einiges versengt.
Hasard folgte Don Juan. Dan marschierte ebenfalls hinterher.
„Seht inzwischen mal in den anderen Räumen nach“, sagte Hasard. „Dabei lernen wir auch gleichzeitig das Schiff etwas näher kennen. Im Augenblick haben wir Zeit dazu.“
Nachdem sie das Schott der Kapitänskammer geöffnet hatten, blieben sie mitten in dem Raum stehen und sahen sich um.
Es gab die üblichen eingebauten Schapps, eine breite Koje mit Vorhang, ein ausladendes Schreibpult und zwei Teppiche, die auf den Boden genagelt waren, damit sie nicht verrutschten.
„Schon lange nicht mehr gelüftet worden“, stellte der Seewolf fest. „Fast scheint mir, als sei die Kammer mal vor langer Zeit bewohnt gewesen. Die Kapitäne haben wahrscheinlich an Land übernachtet.“
Sie öffneten jedes Schapp, blickten unter die Koje in das Schapp, aber darunter befanden sich nur ein paar modrige Flaggen.
Sie trieben noch zwei spanische Uniformen auf, ein paar Hemden und Hosen sowie ein paar Schriftstücke, mit denen sich nicht viel anfangen ließ.
„Auch kein Ersatzkompaß“, sagte Hasard enttäuscht.
„Und nur wenige Karten“, fügte Dan O’Flynn hinzu. „Im Pult sind ein paar alte und ungenaue Dinger von der Westküste Yucatáns. Da sitzen wir ganz schön in der Klemme, wenn wir nicht noch woanders fündig werden.“
Die drei Männer sahen sich enttäuscht an.
„Na ja, den Himmel auf Erden haben wir auch nicht erwarten können bei unserer überstürzten Abreise“, meinte Hasard. „Klar, daß da nicht ein vollausgerüstetes Schiff mit allen Schikanen vor unserer Nase lag. Das wäre auch zu einfach gewesen. Ich bin gespannt, was die anderen Räume hergeben.“
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