Hasard gewann den Eindruck, daß die Gegner nicht aufholten, sondern im Gegenteil etwas zurückfielen. Sollten die beiden Einmaster der Mijnheers tatsächlich langsamer sein, dann war das für die Arwenacks ein Vorteil, der ihre zahlenmäßige Unterlegenheit wieder aufhob, ja, es lag bei ihnen, den Handlungsablauf zu bestimmen. Das war wirklich ein entscheidender Vorteil.
Die Aktivitäten an Bord seiner Schaluppe hatte Hasard darauf abgestimmt, daß Carberry, Stenmark und Dan O’Flynn für die Arbeit an den Drehbassen zuständig waren, während die beiden Junioren Großschot und Fockschot bedienten und somit für die Segelmanöver zur Verfügung stehen mußten.
Er schaute zu Don Juan hinüber und hob dämpfend die Hand, um anzudeuten, daß die Fahrt verlangsamt werden solle.
Drüben bei Don Juan trat Al Conroy an die achtere Drehbasse und richtete sie ein. Auch das war vereinbart. Der Waffen- und Stückmeister der Arwenacks sollte – wann und wie immer auch möglich – den Gegner mit Weitschüssen nerven. Wenn er Treffer erzielte, um so besser.
Noch befanden sich die beiden Gegner-Schaluppen außerhalb der Kernschußweite von Drehbassen. Aber Hasard wußte, daß Al Conroy die Pulvermenge in der herausnehmbaren Kammer des Hinterladers höher bemessen hatte als sonst üblich. Das war riskant, aber Al Conroy war nicht der Mann, der des Guten zuviel tat. Er bemaß die Pulvermenge so, daß nicht die Gefahr eines Auseinanderfliegens der Kammer oder des Verschlußstücks bestand.
Al Conroy peilte zur vorderen Gegner-Schaluppe, visierte, kippte den Lauf an und führte die Lunte ans Zündloch der Pulverkammer.
Bumm!
Man konnte mit bloßem Augen die gekrümmte Flugbahn der Kugel verfolgen. Sie stieg leicht an bis zu ihrem Scheitelpunkt und senkte sich wieder, einen feinen Rauchschweif hinter sich herziehend. Die Mijnheers stierten. Dem Rudergänger auf der vorderen Schaluppe war das heransausende Ding nicht geheuer. Er fiel aber nicht nach Steuerbord ab, um die schmale Silhouette zu bieten, sondern luvte nach Backbord an und präsentierte damit die Steuerbordseite.
Sein Kapitän – es war der stiernackige Hackklotzmensch – brüllte ihm etwas zu, was man durchaus mit „Idiot!“ übersetzen konnte.
Die Kugel krachte unterhalb des Schanzkleides etwa in Höhe des Mastes in die Bordwand der Steuerbordseite. Dort verschwand sie im Schiffsinneren, und man hörte es rumpeln, als sei etwas umgestoßen worden.
Die Kerle fluchten wie die Fuhrknechte. Der Kapitän sprang selbst ans Ruder und zeigte einmal mehr, daß er zur Gilde der Wüteriche gehörte, die immer gleich handgreiflich wurden. Der Rudergänger wurde mit einem Schlag abgeräumt und segelte über Deck, wo er einen zweiten Kerl umriß, bevor er selbst die Planken küßte.
Fürwahr, es herrschten rauhe Sitten bei den Mijnheers.
Zur Zeit war das Loch in der Bordwand nicht unbedingt lebensgefährlich, da es an die drei Handbreiten über der Wasserlinie lag. Aber wenn die Schaluppe stark nach Steuerbord krängte, würde die Sache schon anders aussehen, es sei denn, man schlug einen entsprechenden Rundkeil in das Loch und besserte so den Schaden aus.
Aber der Treffer hatte eine moralische Wirkung. Die Wut der Mijnheers stieg auf Siedehitze. Bisher hatten sie ständig Dresche bezogen und noch kein einziges Mal zurückgezahlt. Der Schuß des Gegners animierte sie, gleiches zu versuchen. Und auch ihnen war bekannt, daß man die gewöhnliche Schußweite mit mehr Pulver vergrößern kann.
Wut macht blind, sagt man. Und mit dieser Blindheit verloren sie das Maß für eine noch vertretbare Pulvermenge. Es handelte sich um die Bugdrehbasse der vorderen Schaluppe.
Ihre Pulverkammer explodierte mit einem infernalischen Krach, als sie von einem der Kerle gezündet wurde. Der ganze schwenkbare Hinterlader flog auseinander und schleuderte seine verschiedenen Teile nach allen Seiten. Wohlgemerkt, das waren Teile aus Eisen, nicht aus Watte. Dementsprechend war die Wirkung, nämlich verheerend. Sie hatten auch ziemlich gedrängt da vorne gestanden. Fünf Kerle riß es von den Füßen, zwei taumelten nach achtern.
Einer kippte außenbords, wurde jedoch von der hinterhersegelnden Schaluppe wieder aus dem Wasser gefischt. Das Großsegel hatte einen Riß, der sich Sekunden später ratschend erweiterte.
In die Wuhling hinein setzte Al Conroy seinen nächsten Schuß, und der schlug haargenau in die Wasserlinie auf der Steuerbordseite. Sicher, das war nun wirklich ein Zufallstreffer, aber wenn Al Conroy selbst bescheiden bemerkte, auch ein blindes Huhn finde manchmal ein Korn, dann war das stark untertrieben. Schließlich war auch sein erster Schuß ein Treffer gewesen.
Fast augenblicklich begann die Schaluppe Schlagseite nach Steuerbord zu zeigen. Und da acht Kerle nahezu auf Anhieb ausgefallen waren – zwei waren tot, die anderen mehr oder weniger verletzt –, geschah in der Panik überhaupt nichts, um den Wassereinbruch noch abzudämmen. Es herrschte Zustand, und als drei Kerle einfach außenbords sprangen und zu der anderen Schaluppe schwammen, gab’s kein Halten mehr, auch wenn sich der Kapitän die Kehle heiser brüllte. Die Mijnheers meldeten sich von Bord, aber nicht vorschriftsmäßig: sie drehten ihrem Kapitän lediglich die Kehrseite zu, bevor sie hüpften.
Nun ja, das Zudrehen der Kehrseite bedeutete bildlich gesprochen: Du kannst mich mal!
Der Hackklotz schüttelte drohend die Faust, aber das konnte auch dem Gegner gelten. Dann folgte er seinen Mannen, denn er hatte nicht die heldische Absicht, mit seinem Schiff unterzugehen.
Hasard und Don Juan lagen mit ihren Schaluppen längst wieder im Wind, um den Gang der Ereignisse abzuwarten. Sie konnten sehr gelassen abwarten, denn auch diese Runde war an sie gegangen.
Sie wahrten das fair play und griffen nicht an, während die Schiffbrüchigen aus dem Wasser geborgen wurden. Mit seiner Ritterlichkeit warf Philip Hasard Killigrew Perlen vor die Säue, aber er konnte nicht aus seiner Haut.
Der Waldschrat war aus dem Traumland zurück und glotzte. Da er mit dem Rücken zum Bug an den Mast gefesselt war, hatte er freie Aussicht auf den Achteraussektor, wo sich die eine Schaluppe schlicht auf die Steuerbordseite legte und abblubberte, während triefende Gestalten bei der anderen Schaluppe an Bord gehievt wurden. Da bekam er wieder seine glühenden Augen.
Nun hatte ihm der menschenfreundliche Carberry den Knebel abgenommen, um ihm ein besseres Atmen zu ermöglichen, denn sicher war der Kerl mächtig verschnupft. Er dankte es dem Profos mit einem Urschrei, der die Planken erzittern ließ, und einer rasselnden Folge holländischer Flüche, die gewiß nicht der Reinlichkeit heimatlicher Stuben entsprachen.
Vielleicht hatten die Mijnheers schon bei der Verfolgung der beiden Gegner festgestellt, wen die da eingefangen und an den Mast gebunden hatten. Aber jetzt brüllten sie gleichfalls auf der einen Schaluppe und schüttelten die Fäuste. Doch diese Drohgebärde galt wohl eher dem Gegner, der ihnen bisher so höllisch eingeheizt hatte.
Das war ganz klar keine Dankesbezeigung dafür, daß dieser Gegner keine Metzelei veranstaltet hatte, solange das Bergen der Schiffbrüchigen vonstatten ging.
Hasard nahm es gelassen hin.
Indessen tigerte der Profos zu dem Waldschrat und verklarte ihm, daß er das Maul zu halten habe, widrigenfalls sah er sich gezwungen, es ihm zu stopfen. Und er zeigte dem Waldschrat den Profoshammer, dieses Ding aus Eisen, das so spielerisch leicht durch die Luft fliegen konnte, aber beim Aufprall von zertrümmernder Gewalt und Wucht war.
Er hielt dem Waldschrat dieses Ding vor die Nase. Und was tat dieser Lümmel? Er spuckte drauf.
Carberry wischte die Spucke freundlich grinsend in den Pelzhut, streifte die Faust noch einmal am Hosenbein des Waldschrats ab, tunkte sie in eine Wasserpütz, um auch sicher zu sein, daß ihr keine Spucke mehr anhaftete, und dann war’s wieder mal soweit.
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