Sie brauchten nicht zu ankern. Das Wasser – es war von grünlicher kristallener Klarheit – hatte genügend Tiefe, so daß sie die beiden Schiffchen bis unmittelbar ans Ufer pullen und dort an Baumstämmen vertäuen konnten.
Dann sahen sie sich an Land um und drangen durch das Mangrovendickicht nach Süden zu jenem Bereich vor, wo die Holländer zuletzt gewütet hatten.
Aus der unmittelbaren Nähe wirkten die gefällten Muskatnußbäume noch beklagenswerter, zumal die Blüten und Blätter bereits welkten. Ein trostloser Anblick war das, darüber half auch der aromatische Duft nicht hinweg, der über dieser Stätte lag. Die gefällten Bäume bildeten mit ihren astreichen Kronen einen regelrechten Verhau.
Wer die reifen Früchte mit ihrem karminroten Mantel abernten wollte, hätte halsbrecherische Kletterpartien durch das Astgewirr unternehmen müssen, und doch wäre er an einen großen Teil erst gar nicht herangelangt, es sei denn, er würde Axt und Säge ansetzen, um sich vorzuarbeiten.
„Sieht so aus“, meinte Don Juan, „als hätten die Kerle dieses Durcheinander absichtlich geschaffen, um zu verhindern, daß auch nur eine Muskatnuß geerntet wird.“
Hasard nickte stumm und blickte dann zu den hohen schlanken Bäumen hinüber, die das nächste Opfer dieser Wüteriche werden sollten. Diesmal nicht, dachte er. Wir werden euch die Suppe gründlich versalzen, darauf könnt ihr euch verlassen.
Für einen blitzartigen Überfall war das Gelände wie geschaffen. Unterholz und Buschwerk boten gute Deckungsmöglichkeiten. Ja, blitzartig würden sie zuschlagen müssen, denn die Kerle waren vermutlich in der Überzahl. Aber wenn man sie gleichzeitig von allen Seiten packte, dann sollte die Überraschung klappen. Bisher waren sie bei ihrer miesen Tätigkeit ungeschoren geblieben und fühlten sich vermutlich sicher. Das war ihre Schwachstelle.
Oder sollte man sie schon abfangen, bevor sie überhaupt mit ihren Schaluppen landeten?
Don Juan schien ähnliche Überlegungen anzustellen, denn er fragte: „Was meinst du, wie wir’s anpacken?“
Hasard grinste. „Schlag du was vor!“
„Ich?“
„Ja. Du hast doch sicher schon eine Idee. Oder nicht?“
Don Juan wiegte den Kopf. „Ich dachte nur daran, man müßte die Kerle derart verprügeln, daß ihnen der weitere Appetit auf das Umlegen von Muskatnußbäumen ein für allemal vergeht.“
„So schnell vergeht der nicht“, sagte Hasard, „auch wenn sie Dresche beziehen. Diese Mijnheers können ganz schön stur sein. Denk mal an den Kampf gegen euch, der geführt wird, seit Philipps Vater Karl meinte, den Niederländern die Ketzerei austreiben zu müssen, was bisher weder dem Vater noch dem Sohn gelungen ist. Die Mijnheers haben euch ganz schön die Zähne gezeigt.“ Hasard stutzte. „He! Sag mal, hast du einen besonderen Pik auf die Niederländer?“
„Nein.“
„Was dann?“ bohrte Hasard.
„Mann, ich habe etwas gegen diesen Wahnsinn, daß diese Kerle Bäume umlegen, nur um in einem anderen Teil der Welt, Tausende von Meilen von hier entfernt, einen Profit zu erzielen. Ich begreife das nicht! Ich will es auch gar, nicht begreifen. Wegen Gold schlagen sich die Menschen die Köpfe ein. Jetzt ist es eine Muskatnuß! Was denn noch alles, verdammt noch mal?“
„Oh!“ sagte Hasard gelassen. „Perlen, Silber, Edelsteine und – wie wir hörten, – Pfeffer, Zimt, Nelken. Ich schätze, das läßt sich beliebig erweitern. Da braucht nur ein Schlauer irgend etwas X-Beliebiges für wertvoll zu erklären, woran man sich bereichern kann, und schon geht der Rummel los. Und wenn man dann dieses X-Beliebige dort vernichtet, wo ein anderer darüber verfügt oder es ausbeutet, dann kann man die Preise diktieren. Genial, nicht?“
„Zum Kotzen!“ fauchte Don Juan.
„Das auch“, sagte Hasard.
Er hatte kaum ausgesprochen, da stieß Dan O’Flynn einen scharfen Pfiff aus und rief: „Schaluppen! Unten im Süßen!“
Hasard fuhr herum.
Tatsächlich segelten Schaluppen längs der Küste nach Norden hoch. Einmaster. Vier zählte Hasard.
„Zurück zur Bucht!“ zischte er. „Aber hinter dem Buschgürtel, damit uns die Kerle nicht sehen!“
Der Buschgürtel zog sich vor der Zone der Muskatnußbäume bis zu dem Mangrovenfilz an der Bucht hin und bot gute Deckung, wenn man sich gebückt fortbewegte. Hasard ging davon aus, daß man sie noch nicht entdeckt hatte, es sei denn, einer der Kerle auf den Schaluppen hatte die scharfen Augen Dan O’Flynns. Die Schiffe waren noch an die acht Meilen entfernt. Sie hoben sich deutlich auf dem Wasser ab. Aber von ihnen aus Köpfe und Schultern zwischen dem Grün des Uferdickichts zu erkennen, war kaum möglich.
Sie verschwanden wie ein Spuk und erreichten die Bucht.
„Macht die Drehbassen gefechtsklar“, befahl Hasard, „ebenso die anderen Schußwaffen.“
„Du willst angreifen?“ fragte Dan O’Flynn.
„Sollen wir vielleicht Däumchen drehen und zuschauen, wenn sie die Äxte schwingen?“ fragte Hasard zurück.
„Vielleicht sind es gar nicht die Mijnheers“, sagte Dan.
„Das wird sich ja herausstellen“, entgegnete Hasard. „Und jetzt quassel nicht soviel, sondern kümmere dich um unser Schiffchen, Señor O’Flynn!“
„Si, si, Señor Capitán“, sagte Dan und feixte.
Don Juan blieb bei Hasard in der Deckung der Mangroven, um zu beobachten, was sich bei den Schaluppen tat. An Bord seiner Schaluppe kümmerte sich Al Conroy um die Waffen. Außer dem Stückmeister der Arwenacks befanden sich dort noch Gary Andrews, Pete Ballie, Mac O’Higgins, genannt „Higgy“, sowie Bob Grey. Bei Hasard waren außer Dan O’Flynn noch Carberry, Stenmark und die beiden Zwillinge an Bord.
„Pech gehabt“, sagte Hasard etwas verbissen und setzte den Kieker ab, durch den er zu den Schaluppen gespäht hatte.
„Wieso das?“ fragte Don Juan.
„Auf jeder Schaluppe sind an die zehn Kerle – mithin also vierzig. Wir sind zehn, beziehungsweise zwölf. Ein bißchen wenig, um große Töne spucken zu können. Aber konnte jemand ahnen, daß diese Burschen die Frechheit aufbringen, am hellichten Tag aufzukreuzen?“
„Sind es denn Holländer?“
„Schau sie dir an.“ Hasard reichte Don Juan das Spektiv.
Der spähte hindurch und schwenkte die Schaluppen ab. Dann nickte er und murmelte: „Ziemlich wüste Gesellen, wie?“
„Mönche auf einer Pilgerfahrt wären mir lieber“, erwiderte Hasard gallig. „Außerdem ärgert mich, daß wir auf unsere nächtliche Überraschung verzichten müssen. Da hätten wir ausgezeichnete Chancen gehabt, die Kerle das Fürchten zu lehren. Aber jetzt? Mit zwölf Mann hoch? Und dann noch bei Tage?“
„Einer von uns könnte Verstärkung heranholen“, schlug Don Juan vor.
„Und in der Zwischenzeit legen die Kerle vierzig oder fünfzig Bäume um, was?“ schnappte Hasard. „Ich könnte das nicht mitansehen. Schon beim ersten Axthieb würde bei mir das passieren, was du mit Kotzen bezeichnet hattest.“
„Da hast du recht. Scheiße, verdammte!“
„Kein Widerspruch. Du sagst es.“
Hinter ihnen schwang sich Dan O’Flynn wieder an Land und meldete: „Schiffchen gefechtsklar, Señor Capitán!“
Und von Bord der anderen Schaluppe meldete Al Conroy: „Wir ebenfalls!“
Hasard und Don Juan zeigten klar und widmeten sich wieder den heransegelnden vier Schaluppen. Sie liefen in schräg versetzter Kiellinie. Auf den Schanzkleidern waren Drehbassen montiert. Die Kerle an Bord, die Don Juan als „ziemlich wüste Gesellen“ bezeichnet hatte, wirkten tatsächlich so, als ließen sie sich nicht die Butter vom Brot klauen. Das waren ruppige, bärtige Gestalten, und es war ihnen anzusehen, daß sie es verstanden, wie die sprichwörtliche Axt im Walde zu hausen.
Hasard machte sich nichts vor. Das waren harte Gegner, die als gefährliche Schnapphähne auch in die Karibik gepaßt hätten. Daß sie ihr seemännisches Handwerk verstanden, lag auf der Hand. Wer mit der einen Hälfte seiner Grenze Nordsee-Anlieger war, dem wuchsen die Seebeine von kleinauf. Und die Nordsee war weiß Gott kein Ententeich.
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