„Na, na, na“, sagte Dan O’Flynn, „das geschah bei uns aber nicht aus niederen Motiven oder um Gewinn zu erzielen. Wir haben damit auch niemanden geschädigt, aber damit rechnen müssen, daß die Ratten weiterhin Eier vertilgen oder gar an die Hühner herangehen. Ich schätze, das ist ein ziemlicher Unterschied zu den zitierten Beispielen Muskatnußbaum, Schaf und Mensch.“
Ben Brighton lächelte still vor sich hin. Dann sagte er: „Ich wollte nur andeuten, daß wir uns verdammt hüten sollten, anmaßend zu sein – als Menschen – und darüber zu befinden, was leben und was nicht leben darf. Wer sind wir denn? Etwa die Herren über diese Welt, die nicht wir, sondern ein Schöpfer geschaffen hat? Trotzdem nehmen wir uns heraus, über Tod und Leben zu entscheiden oder alles auszubeuten, was uns nützlich erscheint. Dabei steckt in der Nützlichkeitserwägung unter anderem der hemmungslose Wunsch, sich auch zu bereichern. Das trifft nun keinesfalls auf unseren Feldzug gegen die Ratten zu. Aber was die Holländer mit der Vernichtung der Muskatnußbäume betreiben, das ist Mord an der Natur aus eigensüchtigen Motiven.“
„Wollen Sie mir gegen die Kerle helfen?“ fragte Don Alonso aufgeregt.
Ben Brighton war ein Fuchs. Er erwiderte: „Das müssen Sie meinen Kapitän fragen, Señor de Figuiera.“
Eine paradoxe Situation! Da verlangte dieser schlitzohrige Ben Brighton – schlitzohrig, jawohl! – nicht mehr und nicht weniger, als daß sich die Arwenacks auf die Seite der Dons stellten und den Holländern ans Leder gingen, statt diese als Bundesgenossen im Kampf gegen Spanien zu empfinden. So was Verrücktes!
Hasard drehte den Spieß um. „Was meinen denn mein Zweiter und Dritter Offizier dazu, he?“ Und er blickte erst Don Juan und dann Dan O’Flynn an – als Zweiter und Dritter hatte er sie dem Capitán vorgestellt.
„Ich bin dafür, Capitán de Figuiera zu helfen“, sagte Don Juan gemessen.
„Ich auch“, erklärte Dan O’Flynn, ein Funkeln in den hellen scharfen Augen.
„Señores!“ sagte Hasard streng zu seinen drei „Offizieren“. „Sie scheinen zu vergessen, daß wir friedliche Handelsfahrer und mitnichten Soldaten sind. Außerdem bin ich den Eignern in Sevilla gegenüber für die ‚Santa Barbara‘ verantwortlich. Ich darf sie nicht in einem Gefecht gegen die Holländer aufs Spiel setzen.“
„Das brauchen Sie gar nicht, Señor Capitán“, sagte Don Alonso eifrig und mit glänzenden Augen. „Ich stelle Ihnen meine beiden Schaluppen zur Verfügung – bitte, helfen Sie mir. Ich weiß, daß Sie ein tüchtiger Mann sind – wer eine Galeone von Spanien bis hierher segelt, muß ein tüchtiger Mann sein. Und ich habe mir Ihre Männer angesehen, Don Miguel! Ich glaube, die können ziemlich kräftig zulangen. Das war jedenfalls mein Eindruck.“
Und wie die zulangen können, mein guter Don Alonso, dachte Hasard fast belustigt, vor allem, wenn sie euch Spaniern auf die Zehen treten dürfen!
Er sagte: „Haben Sie eine Ahnung, aus welcher Ecke diese Axtschwinger aufkreuzen, Don Alonso? Ich meine, haben die Kerle hier irgendwo ein Versteck, einen Stützpunkt, einen Hafen? Wenn sie Schaluppen benutzen, dann deutet das darauf hin, daß sie nicht von weither kommen, nicht wahr?“
Don Alonso schüttelte betrübt den Kopf. „Das haben wir bisher noch nicht ergründen können – nicht bei der Vielzahl der Inseln und Inselchen dieses Archipels. Für eine Spähertätigkeit kann ich auch keinen meiner Soldaten entbehren. Wir wissen nur, daß die Kerle immer von Süden herauf segeln.“
„Warum setzen Sie nicht Eingeborene als Späher ein?“ fragte Hasard. „Wir sahen einige Filipinos mit Auslegerbooten und außerdem an der Westküste ein paar Pfahlbauten und Hausboote.“
„Das sind die Orang Laut oder Badjao, die ‚Meerleute‘ oder ‚Seemenschen‘“, erwiderte Don Alonso. „Sie sind nicht seßhaft, sondern leben mehr oder weniger auf ihren Wasserfahrzeugen und vagabundieren durch die Gebiete der Sulu-See und der Mindanao-See. Sie haben eine Scheu vor uns und wollen mit uns nichts zu tun haben, ganz abgesehen davon, daß sie selbst auch von den Holländern überfallen wurden. Diese Badjao haben sehr hübsche Frauen – begehrte Lustobjekte für diese Kerle, von denen sie schlichtweg geraubt werden, wobei sie die Leutchen allerdings auch ausplündern, weil sie wissen, daß viele Badjao die Perltaucherei betreiben.“ Don Alonso seufzte. „Ich hätte die Badjao gern als Bundesgenossen, aber sie lehnen nach diesen üblen Erfahrungen alle Weißen ab, was ich ihnen nicht verdenken kann. Im übrigen sind sie ausgesprochen friedfertig. Wären sie es nicht, hätten sich die Mijnheers schon blutige Köpfe geholt.“
„Muskatnußbäume vernichten, Handelsfahrer überfallen, die Besatzungen zum Frondienst pressen, Perlen stehlen und Frauen rauben – eine saubere Liste ziemlich übler Taten“, meinte Ben Brighton. „Nicht wahr, Señor Capitán?“ Er blickte Hasard an.
Hasard nickte. „So ist es, verehrter Primero. Da kann einem mal wieder die Galle hochsteigen.“ Er wandte sich an Don Alonso. „Was ich brauche, das ist eine gute Seekarte mit den Küstengebieten um Mindanao. Haben Sie so etwas? Vielleicht sogar eine Spezialkarte des Golfes von Davao?“
„Haben wir“, sagte Don Alonso eifrig, stand auf, ging in einen Nebenraum und kehrte mit einer großen, mit Schweinshaut überzogenen Mappe zurück. Als er sie vor Hasard auf den Tisch legte, mußte er die Arme ausbreiten, um sie aufzuklappen. „Alles Karten von den Inseln der Philippinen und natürlich auch speziell von Mindanao, die obenauf liegen. Hier auf der ersten habe ich sogar angekreuzt, welche Stellen an der Golfwestküste von den Kerlen bereits heimgesucht wurden. Hier in der Bucht von Digos haben sie begonnen und arbeiten sich nach Süden vor. Sie fangen immer dort an, wo sie zuletzt aufgehört haben.“
„Methodische Leute“, murmelte Hasard und beugte sich zusammen mit Ben, Don Juan und Dan über die Karte, die exakt den Küstenverlauf darstellte. „Da brauchen wir die Brüder ja nicht lange zu suchen, sondern können uns dort auf die Lauer legen, wo sie ihren nächsten Kahlschlag vornehmen werden. Wie ist das, tauchen sie in regelmäßigen Zeitabständen auf, Don Alonso?“
„Alle drei bis vier Tage.“
„Und wann erwarten Sie den nächsten Besuch?“
„Die Kerle müßten übermorgen nacht erscheinen“, erwiderte Don Alonso und fügte gallig hinzu: „Bisher waren sie leider immer pünktlich.“
„Leider?“ Hasard pochte mit den Handknöcheln auf den Tisch. „Die Kerle sollen mich kennenlernen, wenn sie unpünktlich sind! Bei einer solchen Sache darf man doch wohl Pünktlichkeit erwarten. Sonst soll sie der Teufel holen!“
Da lachten die Männer.
Am nächsten Tag übernahmen die Arwenacks die beiden Schaluppen, und da war einiges zu tun, denn der gute Don Alonso hatte sich als Nicht-Seemann kaum um die beiden Schiffchen gekümmert und gestand auch, er habe keinerlei seemännische Praxis. Gleiches galt auch für seine „Truppe“ von zehn Mann.
Manila hatte dem kleinen Stützpunkt die beiden Schaluppen zwar als „Hafenflottille“ zur Verfügung gestellt, aber nicht dafür gesorgt, daß sie auch eine entsprechende Besatzung erhielten. In diesem Fall hatte Don Alonso ebenfalls die „Verwaltungshengste“ – wie er sich ausdrückte – in Manila angeschrieben und darum gebeten, ihm mindestens einen Bootsmann und fünf Seeleute je Schaluppe zu schicken. Aber auf diese Bitte hatte man noch nicht reagiert.
Hasard und seine Mannen dachten sich ihren Teil. In Manila schien ein feiner Schlendrian zu herrschen. Andererseits befanden sich die Philippinen weitab vom Mutterland Spanien, und Manila wiederum, Haupthafen und Hauptstadt auf der nördlichen Philippineninsel Luzon, lag an die sechshundert Meilen Luftlinie von Davao entfernt.
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