Carberry, enttäuscht darüber, daß Davao noch nicht einmal über eine Kneipe verfügte, meinte, dieses Kaff läge „am Arsch der Welt“. Damit hatte er zweifellos recht, obwohl ihn der Kutscher belehrte, das käme doch, bitte sehr, immer auf den Blickwinkel an. Genausogut könne man, wenn man jetzt Davao als Standort nähme, behaupten, Plymouth läge am „Dingsda der Welt“ – ähem!
Für einen Kaffer wie dich bestimmt! hatte der Profos gehöhnt und sich strikt geweigert, einen anderen Blickwinkel anzuerkennen. Außerdem irritierte ihn der riesige Vulkangipfel des Sandáwa, den man später Mount Apo nannte. Dieser Feuerberg, obwohl er längst erloschen war, beunruhigte ihn. Dieses Bergmonster ragte westlich von Davao über dem Regenwald in den Himmel und wirkte ziemlich unheimlich.
Der Profos spähte ungern hin. Da war er eigen. Und endlich einmal war er sich in diesem Fall einig mit Old O’Flynn und Smoky, die gleich ihm von Mißtrauen erfüllt waren, der Berg könne zu spucken anfangen. Denn vielleicht hatten die Dons gelogen, als sie behaupteten, der Vulkan sei erloschen. Dorthin aufgestiegen waren sie nämlich auch noch nicht. Wie wollten sie dann wissen, was da oben los war!
Leider gab Old Donegal keine „Schwanungen“ von sich, sondern begnügte sich mit einem düsteren Gesicht und zeitweiligem Kopfschütteln. Aber das beruhte darauf, daß er gemerkt hatte, wie Hasard nur darauf lauerte, ob er mit seinem „Sprücheklopfen“ loslegte. Und der alte Zausel hatte sich vorgenommen, seinen Schwiegersohn und Kapitän nicht unnötig zu reizen.
Hasard hatte die Arwenacks informiert, um was es ging. Und sie standen zu ihm: den Mijnheers gehört was auf die Finger geklopft, und das nicht zu knapp. Außerdem war der knubbelnasige Capitán mit dem Schmerbäuchlein ein feiner Kerl, hatte er doch der „tüchtigen“ Crew der „Santa Barbara“ ein Fäßchen Rum und fünf Fässer sehr guten spanischen Rotweins spendiert.
Und gestern abend hatten appetitliche Töchterchen der sieben ehrbaren Familien von Davao den Mannen noch appetitlichere Spanferkelchen serviert, was sogar der Kutscher und Mac Pellew mit Anerkennung vermerkt hatten – Mac mehr vom Anblick der „Töchterchen“ animiert war.
Mit einer sehr gut geformten und sehr glutäugigen und sehr jungen Señorita, Tochter des Schneiders, hätte er gern geschäkert, nur ein bißchen, aber da war ihm ausgerechnet sein „Blutsbruder“ Edwin Carberry auf die Zehen gestiegen und hatte ihm zugeraunt, der Kapitän hätte sich „amouröse Gegenleistungen“ deutlich und energisch verbeten, und das gelte für alle, denn es sei zu befürchten, daß der eine oder andere im Eifer des Gefechts vielleicht doch seine englische Identität verrate, was tunlichst zu vermeiden sei. Punktum!
Mac war heute noch sauer, was den Profos aber nicht weiter bekümmerte, weil er auf den beiden Schaluppen zugange war, um die „auf Vordermann“ zu bringen.
Hasard hatte auf Mithilfe der Dons verzichtet – in diesem Fall der zehn Soldaten –, die auch gar nicht gewußt hätten, wo anzupacken war. Und er hatte dem Capitán auch gesagt, er werde den Coup gegen die Axtschwinger mit seinen Männern unternehmen, die seien aufeinander eingespielt, vor allem was Aktionen auf See beträfe, und genau diese habe er unter anderem vor.
Das war ganz im Sinne der Arwenacks. Sie brauchten die Dons nicht als Mitstreiter – Gott bewahre! Die wären nur hinderlich gewesen – oder hätten die Ohren gespitzt, wenn man mal auf englisch fluchte.
„Da sind wir Betschwestern lieber unter uns“, hatte Carberry gesagt.
Roger Brighton, Takelmeister der Arwenacks und Bruder Ben Brightons, hatte eine Menge zu tun, um vergammeltes oder verrottetes Tauwerk auszuwechseln und neue Fallen und Schoten zu scheren. Und Will Thorne flickte oder ersetzte Segel, wo sich das als notwendig erwies. Al Conroy, Stück- und Waffenmeister der Arwenacks, kümmerte sich um die Armierung, vor allem um die Drehbasen, mit denen die Schaluppen bestückt waren. Und Ferris Tucker überprüfte die beiden Schiffchen von außen und innen, wobei er etwas verblüfft feststellte, daß sie aus einem eisenharten Holz gebaut waren, das er nicht kannte.
Oder sollte es das Holz sein, aus dem Thorfin Njals Viermaster „Eiliger Drache über den Wassern“, gezimmert worden war? Mein lieber Mann! Dann hatten die Dons hier zwei Schiffchen, von deren Güte sie nicht das geringste ahnten! Diese Planken waren immun gegen Drehbassenkugeln, wenn nicht gar gegen schwerere Kaliber. Außerdem fingen sie schwer Feuer. Schiffe aus diesem Holz waren kaum totzukriegen, und merkwürdigerweise mied sie auch der Schiffsbohrwurm.
Er würde das später mal ergründen müssen, meinte Ferris Tucker, als er Hasard über den Zustand der beiden Schaluppen Bericht erstattete und auf das Holz verwies, das vermutlich in diesem Bereich der Welt zu finden sei. Da könne es sich lohnen, sich mal umzuschauen und eine Ladung dieser Hölzer bei der Heimreise mitzunehmen.
Gegen Mittag dieses ersten Tages in Davao waren die beiden Schaluppen überholt. Hasard entschloß sich, mit ihnen auszulaufen und bei der Trimmfahrt gleichzeitig jene Küste zu erkunden, wo die Holländer ihre Kahlschläge betrieben.
Er übernahm selbst eine Schaluppe. Die andere führte Don Juan. Je fünf Arwenacks bildeten die Crew. Das reichte vollauf zur Bedienung des Riggs, denn diese Einmaster hatten nur Großsegel und Fock. Es waren handige Schiffchen, wie sich herausstellte. Sie liefen am Wind eine gute Höhe und entwickelten raumschots eine beachtliche Geschwindigkeit. Da sie vorn und achtern eingedeckt und auf beiden Seiten mit Schanzkleidern versehen waren, würde man nicht gleich den Schwanz einzuziehen brauchen, wenn es etwas stürmisch wurde.
Sehr gut geeignet für die Küstenfahrt, urteilte Hasard, und bei guter Seemannschaft auch für die See steif genug. Don Juan war der gleichen Ansicht, als sie später ihre Erfahrungen austauschten und erwogen, solche Einmaster auch beim Bund der Korsaren einzusetzen, und zwar als Wachschiffe und Avisos.
Während der Fahrt südwärts an der Westküste des Golfes entlang überprüfte Dan O’Flynn an Bord von Hasards Schaluppe die Genauigkeit der mitgenommenen Karte, auf der Don Alonso die Kahlschläge markiert hatte.
Wer auch immer diese Karte gezeichnet hatte, er mußte ein guter Kartograph mit einem geschulten Auge gewesen sein. Gewissenhaft und genau waren Korallenriffs und Untiefen eingezeichnet und vermerkt, ebenso markante Punkte an Land, welche die Kreuzpeilungen erleichterten.
Etwas nördlich des letzten Kahlschlags war auf der Karte eine kleine Bucht dargestellt, die von einer palmenbestandenen Landzunge abgeschirmt wurde. Die Landzunge schob sich wie ein gekrümmter Finger von Süden her vor die Bucht und verdeckte mehr als die Hälfte von ihr.
Diese Bucht steuerten beide Schaluppen an. Hasard hatte sie anhand der Karte ausgewählt. Sie bot sich als Versteck und Ausgangspunkt beim Unternehmen gegen die Holländer in idealer Weise an. Sie gab Schutz gegen Sicht von der Wasserseite her, sie lag in der Nähe der zu erwartenden nächsten Holzfälleraktion, und sie war für die Holländer uninteressant, weil in ihrer Umgebung bereits alle Muskatnußbäume umgeschlagen worden waren. Die Kerle würden mit ihren Schaluppen vermutlich eine Stelle anlaufen, die eine knappe Meile südlich der Bucht lag.
Die Karte hatte nicht getrogen. Die Bucht erwies sich tatsächlich als ideales Versteck, als sie die Einfahrt nördlich der Landzunge passierten, voran Hasards Schaluppe, dahinter Don Juan. Sie hatten die Segel bereits weggenommen und glitten mit Riemenantrieb in die Bucht. Im Schanzkleid der beiden Schaluppen waren dafür Riemenpforten vorgesehen – ein nicht zu verachtender Vorteil dieser Einmaster bei Flaute oder besonderen Manövern wie in diesem Fall. Denn die Bucht war nicht groß genug, um unter Segeln in ihr zu manövrieren.
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