In der Waschbalje war wildbewegte Kreuzsee. Die Kerle nahmen ihr Spielchen verteufelt ernst und benahmen sich so, als gäbe es im Augenblick nichts Wichtigeres auf der Welt als die Sturmfahrt über den Pazifik.
Da wurde Empörung laut, da wurde mal eine Faust geschüttelt, oder da fluchte einer wie wild, wenn die Lage bedrohlicher wurde.
Yellowmac lag nunmehr vorn. Der Profos wollte grinsen, aber er konnte nicht, sonst fehlte der Wind, und den brauchte der Kleine jetzt, als er sich dem chinesischen Festland näherte.
Dort hatte sich mittlerweile der Himmel in Gestalt dreier grinsender Kerle verfinstert, die unbedingt verhindern wollten, daß die drei farbenprächtigen Flibustier landeten und Unheil über das Land brachten.
Ein feines Spielchen war das, so fanden sie alle, und es bereitete eine Menge Spaß, weil immer wieder etwas passierte, was nicht einkalkuliert war.
Grünjonny hatte heute seinen miesen Tag. Der Decksälteste scheuchte und beschwor ihn, fluchte oder bat oder verwünschte ihn lautstark. Aber der Kleine war fix und fertig und konnte nicht mehr, als er in den harten Gegenwind geriet. Er tauchte voll mit dem Bug unter, kam wieder hoch und krängte stark nach Backbord, was Smoky zum Anlaß nahm, einen entsetzten Schrei auszustoßen. Aber da war es um Grünjonny bereits geschehen. Er kenterte, sein Großsegel wurde von einer überkommenden See unter Wasser gedrückt, und damit war es aus. Grünjonny blieb kieloben und ging langsam auf Tiefe.
Dabei zappelte er, als würden auf einer absaufenden Galeere die Riemen immer noch in vollem Takt geschlagen.
„Der kriegt eine würdevolle See-Bestattung“, versprach Pete Ballie.
„Kriegt er nicht“, sagte Smoky sauer. „Der wird ausgepeitscht wegen Unfähigkeit vor dem Feind.“
Er langte in die Waschbalje und holte Grünjonny heraus. Dann setzte er ihn vorsichtig auf die Planken. Grünjonny hatte die Sturmfahrt verloren und war todunglücklich. Um ihn her breitete sich eine Wasserlache aus. Im allerletzten Augenblick war er aus Seenot gerettet und abgeborgen worden.
Blieben noch Yellowmac und Rotbenny im Rennen, um die sich jetzt Gary und der Profos lebhaft bemühten. Als sie in den starken Gegenwind gerieten, wurde der Profos ganz fuchtig. Verbissen versuchte er, Yellowmac an Land zu bringen, doch da blies ein ablandiger Taifun aus drei kräftigen Hälsen.
Yellowmac war total verbiestert und verzweifelt, das glaubte der Profos ganz deutlich an seiner Mimik zu erkennen, denn der Kleine übertraf in seiner Traurigkeit Mac Pellew bei weitem.
Rotbenny driftete ebenfalls ab, doch dann fehlte Luke Morgan die Puste, und auch Jack Finnegan mußte verschnaufen.
Rotbenny nutzte die Gunst der Stunde und segelte total abgeschlafft an Land. Sein rotes Segel sah wie ein winziger zerfranster Pinsel aus.
Gary Andrews riß die Arme hoch und brüllte los.
„Geschafft! Ich bin Sieger! Ar-we-nack!“
Carberry ärgerte sich grün und blau, als Yellowmacs Segel wie ein nasser Lappen zusammenfiel. Es killte noch einmal, dann ging Yellowmac übergangslos auf Tiefe, als hätte ihn eine Breitseite erwischt.
Edwin Carberry hieb voller Ärger mit der Faust in die Waschbalje. Das aktivierte Yellowmac noch einmal. Mit dem Tempo einer Kanonenkugel flog er aus dem Wasser, segelte über den Rand der Balje und landete auf den Planken.
„Ha!“ rief Carberry. „Der Sieger bin ich! Yellowmac ist wesentlich weiter ins Landesinnere vorgedrungen als Rotbenny.“
„Das gilt nicht“, sagte Gary. „Du hast ihm geholfen.“
„Hättest du ja auch tun können. In den Spielregeln ist es nicht ausdrücklich verboten.“
„Aber abgesprochen war es nicht.“
„Meiner ist jedenfalls weiter gesegelt, oder willst du das abstreiten?“
„Der ist nicht gesegelt, der ist geflogen.“
Fast hätte es noch Streit über den Sieger gegeben, aber dann beruhigten sich die Gemüter, als Carberry vorschlug, man werde sich den Sieg eben teilen.
Smoky ging diesmal leer aus und ärgerte sich über Grünjonny, der verbiestert auf den Planken hockte und langsam trocknete. Dann sammelte er die drei heldenhaften Kakerlaken ein und brachte sie in einer kleinen Holzschachtel unter, damit sie ihre Angst vor der Helligkeit verloren.
„Das war wirklich ein feines Spielchen“, sagte der Profos. „Wir werden das in den nächsten Tagen natürlich noch verfeinern und ausbauen. Wir könnten eine ganze Armada durch die Waschbalje scheuchen. Ich stelle mir etliche als Zweimaster, Karavellen, Karacken oder ein paar größere auch als Galeonen vor. Man muß ihnen eben nur ein paar größere Federn auf den Rücken kleben.“
„Dann will ich aber auch meine eigene Karavelle!“ rief Blacky, der von dem neuen Spiel begeistert war. Die anderen wollten natürlich ebenfalls, und so wurde beschlossen, sich noch ein paar besonders kräftige Exemplare zu „besorgen“, die auch als Galeonen oder Kriegsschiffe geeignet waren.
Der einzige, der nicht mitspielte, war Mac Pellew.
„Eine Sauerei ist das“, schimpfte er, „diese mistigen Triefaugen durch die Waschbalje segeln zu lassen! Vielleicht füttert ihr die Mistviecher auch noch.“
„Die fressen sowieso nur Abfälle“, beruhigte ihn der Profos. „An den Proviant lassen wir sie nicht mehr heran. Aber richtige Seeleute müssen auch gut im Futter stehen, sonst sind sie saft- und kraftlos, Mister Seltenfroh.“
„Ich spiel da jedenfalls nicht mit. Das ist mir zu dämlich, Mister Großmaul. Wenn ihr an den Kakerlaken keinen Spaß mehr habt, fangt ihr noch mit Ratten an, was?“
„Du bringst mich da auf eine verdammt gute Idee“, sagte Carberry anerkennend. „Das ist auch mal was anderes.“
Sie waren so in ihre Unterhaltung vertieft, daß sie gar nicht merkten, als der Seewolf plötzlich hinter ihnen stand.
„Ist euch Kakerlaken-Seglern eigentlich schon aufgefallen, daß wir keinen Wind mehr haben?“ fragte er sanft.
Köpfe führen erstaunt herum. Auf einigen Gesichtern lag verblüfftes Staunen. Smoky starrte entgeistert zu den Segeln, die schlaff und faltig von den Rahen hingen.
Die anderen sahen sich ebenfalls um. Die See war ruhig, fast spiegelglatt. Nur hin und wieder bewegte sich das Wasser ganz leicht. Es gab kein Kielwasser mehr, keine Bugwelle schäumte. Der Himmel war samtig-blau, und die Sonne stand wie ein Riesenrad über ihnen. Es war erdrückend schwül und still.
Das Spiel hatte alle in ihren Bann geschlagen, und darüber hatten sie Gott und die Welt vergessen.
„Himmel, Arsch und Flaute“, murmelte der Profos. „Seit wann sind wir denn bekalmt? Ist mir aufrichtig peinlich, Sir, aber ich habe das nicht bemerkt.“
„Seit einer guten halben Stunde rührt sich nichts mehr“, erwiderte Hasard. „Aber das braucht dir nicht peinlich zu sein. Wir haben um uns her nur die Weite der See, und da kann nichts passieren. Immerhin sind die Ausgucks alle besetzt.“
„Hm, daß man sich so in ein Spiel vertiefen kann“, murmelte Carberry.
„War offenbar sehr interessant, das Wettsegeln“, meinte Hasard lächelnd. „Wer hat denn gewonnen?“
„Gary und ich. Was sollen wir jetzt tun, Sir?“
„Warten, bis der Wind wieder bläst. Und beten, daß er es möglichst bald tut, sonst wird es sehr eng werden.“
Das Flammenrad der Sonne hatte seinen höchsten Punkt überschritten und neigte sich jetzt seiner westlichen Bahn entgegen. Meer und Himmel unterschieden sich an der Kimm nur durch eine feine gekrümmte Linie. Die Hitze nahm noch zu, und nach einer weiteren halben Stunde rührte sich kein Lüftchen mehr.
Sie waren in einem Meer der Ruhe und Stille gefangen, das scheinbar keinen Anfang und kein Ende hatte. Sie fühlten sich wie auf dem Boden einer riesigen gläsernen Kugel eingeschlossen.
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