Dicht neben dem Boot kochte und brodelte das Wasser.
Smoky zuckte zurück, als etwas vor ihm ins Wasser fuhr. Er sah den Pfeil nicht einmal, den Batuti mit seinem Bogen abgefeuert hatte. Er hörte ihn nur ins Meer zischen. An dem Pfeil hing eine dünne Leine aus Kabelgarn. Der Riese aus Gambia hatte auf gut Glück mitten in den quirligen Fischschwarm geschossen.
Als er jetzt die Leine einholte, zappelten am Pfeil zwei mehr als handgroße Fische, was ein lautstarkes „Hurra“ bei den Arwenacks auslöste. Der nächste Schuß brachte ein weiteres Exemplar an Bord, zwei weitere sprangen in ihrer Angst vor den Räubern ins Boot.
An Deck wurde jetzt vor Begeisterung gejohlt, doch dann war der Spuk zu Ende. Er verschwand so schnell, wie er begonnen hatte.
Nur in weiter Ferne zeigte sich noch einmal ein Fisch, dann war alles vorbei.
„Fünf Fische“, sagte der Kutscher, „immerhin fünf Fische. Aber leider werden davon nicht einmal zwei Männer satt.“ Er sah bedeutungsvoll in die Runde und erkannte den Hunger in den Gesichtern. Sie hatten wahrhaftig nicht mehr viel zu essen als das ekelhafte und immer schmieriger werdende Pökelfleisch, ein paar Kastanien und Mais. An den Schiffszwieback mochte er schon gar nicht denken. Der war nur bei Dunkelheit einigermaßen genießbar. Dann sah man die schwarzköpfigen Maden nicht, die sich darin tummelten.
„Na sicher sind es fünf Fische“, sagte Ferris Tucker, „fünf kleine, lausige Fische. Zu mehr hat es nicht gereicht, leider. Aber sollen wir sie wieder ins Meer zurückwerfen, nur, weil keiner davon satt wird?“
Der Kutscher schüttelte den Kopf und sah bedrückt auf die Fische.
„In gewisser Weise ja, Ferris. Wir sollten sie als Köder benutzen, um damit größere Burschen zu fangen. Mit diesen Fischen haben wir einen wirklich guten Köder, das hat die Jagd eben bewiesen.“
„Ein salomonischer Gedanke“, sagte Hasard. „So werden wir es auch halten. Wir nehmen sie als Köder, oder hat jemand Einwände?“
Niemand hatte Einwände, aber angesichts dieser zappelnden Fische glaubte jeder, seinen Magen überlaut knurren zu hören. Sie alle stellten sie sich gebraten oder gebacken vor.
„Also dann – auf zum Angeln!“ sagte Hasard.
Der Profos grinste ein bißchen schief.
„Wir könnten es mal so versuchen wie bei der Bergpredigt“, meinte er.
„Ich glaube jedenfalls, daß es da war, wie Pater David mal gesagt hatte. Da wurden auch viele Leute von ein paar Fischlein satt. Äh – ich meine nur so, Sir, man kann ja nie wissen.“
Der Seewolf sah seinen Profos lange an, der gottergeben und mit frommen Blicken in den wolkenlosen Himmel schaute.
„Ich glaube, wir haben niemanden, der so überzeugend reden kann, daß die anderen ihren Hunger vergessen“, meinte er. „Oder würden deine Argumente eine ganze Crew sättigen?“
„Wahrscheinlich nicht“, gab Carberry zu. „Obwohl ich immer ein sehr frommer Pilger war.“
„Deine Frömmigkeit wird dir sicher später einmal hoch angerechnet werden, wenn das Himmelreich nahe ist, mein Sohn. Und nun geh und wandele und bete zum Herrn, auf daß diese fünf Fischlein in einen sehr großen verwandelt würden. Das ist dann sehr überzeugend.“
Der Profos grinste bis an die Ohren. Er verstand sich wieder einmal prächtig mit seinem Kapitän.
Erneut wurden die Leinen ausgeworfen, diesmal mit einem Köder bestückt, bei dem die Hoffnung bestand, daß er nicht mit Verachtung gestraft wurde.
An diesem Tag schien der Herr wahrhaftig ein Einsehen zu haben, denn am späten Nachmittag fingen sie einen Brocken, den sie nur mit Hilfe von fünf starken Männern bändigen konnten. Der Fisch war groß und schwer und tobte wie besessen herum. Er zog und zerrte, bis die „Santa Barbara“ ganz langsam in Fahrt geriet.
Aber dann hatten sie ihn endlich geschafft. Batuti gab ihm den Rest, als er an der Oberfläche erschien. Er schoß ihm einen Pfeil in den Schädel, und dann hievten sie ihn an Bord.
Der Jubel über diesen unerwarteten Fang war groß. Mit Feuereifer wurde der riesige Fisch zerlegt und in handliche Portionen geschnitten.
„Das wird ein Festessen“, versprach der Kutscher freudestrahlend. „An diesen Tag werden wir uns noch lange mit Dankbarkeit erinnern.“
Seit langer Zeit konnten sie endlich wieder mal richtig zulangen, und das taten sie ausgiebig, denn niemand wußte, wann ihnen wieder so ein Glücksfall beschieden war.
Am folgenden Morgen dachten sie an den Tag, aber keinesfalls mit Dankbarkeit, denn da waren fast alle krank.
Das kleinste Übel waren Magenschmerzen, über die etliche Männer klagten. Aber das war nur der Anfang.
Al Conroy litt unter Sehstörungen, ebenso Piet Straaten und Pete Ballie, die die Welt nicht mehr begriffen.
Sam Roskill, Jack Finnegan, Big Old Shane und Stenmark liefen mit leichenblassen Gesichtern herum und hängten sich über das Schanzkleid. Dabei wurden sie von heftigen Krämpfen geschüttelt.
Wieder andere hatten Koliken oder einen dumpfen Druck im Schädel, der mit anfallartigen Schmerzen verbunden war.
Selbst Hasard blieb nicht verschont. Immer wenn er seinen Blick auf einen Punkt konzentrierte, sah er grüne Sterne oder grelles Flimmern, bis alles vor seinen Blicken verwischte.
„Du lieber Himmel“, sagte der Kutscher mühsam, der unter ständigem Erbrechen litt. „Wir haben uns mit dem Fleisch des Fisches vergiftet. Und wir haben nicht mal ein Mittel dagegen.“
Hasard stand auf der Kuhl. Mal sah er den Kutscher doppelt, dann dreifach, dann zerfloß er zu einem breiten Schemen.
„Was jetzt, Kutscher?“ fragte er mühsam. „Was können wir tun?“
Der Kutscher dachte mühsam nach. Er spürte, wie sich sein Magen umkrempelte und alles nach oben kam. Wortlos stürzte er ans Schanzkleid und würgte.
Die Angst ging um auf der „Santa Barbara“, denn niemand wußte, wie gefährlich diese Vergiftung war und welche Folgen sie hatte. Da wackelten selbst so harten Kerlen wie Carberry oder Ferris die Knie.
Der Kutscher kehrte wieder zurück. Sein Gesicht war schweißüberströmt, und er rang nach Luft.
„Essig trinken, bis alles erbrochen ist“, flüsterte er, „die Mägen müssen leer werden. Aber das meiste ist wohl schon ins Blut gegangen.“
Hasard sah den Kutscher auf und nieder tanzen. Die Gestalt des Kutschers schien aus sich selbst herauszutreten wie ein Geist. Zwei Kutscher standen ihm plötzlich gegenüber, dann drei, und dann vier, die alle nacheinander wieder zusammenwuchsen. Der Seewolf schloß krampfhaft die Augen, um den Alptraum loszuwerden.
Mac Pellew hing ebenfalls über das Schanzkleid gebeugt. Er rülpste und jammerte, und wenn er zwischendurch Luft kriegte, dann verfluchte er das Schiff und alle Fische dieser Welt.
Hasard und der Kutscher holten Essig und gaben ihn den Männern zu trinken.
Später tönte Carberry herum, so eine große Kotzerei hätte es noch auf keinem Schiff der Welt gegeben, und er selbst habe sich dabei sehr geschämt.
Alle opferten der See mit leichenblassen Gesichtern, bis sie total abgeschlafft und erschöpft auf den Planken hockten.
Danach konfrontierte sie der Kutscher mit einer weiteren Medizin. Er gab ihnen Holzkohle, jede Menge, die er in einem Mörser zu Pulver zerstoßen hatte.
„Holzkohle habe ich noch nie in meinem Leben gefressen“, sagte Carberry erschöpft. „Ich hab’ mir die Seele aus dem Leib gereihert, jetzt langt es.“
„Du friß die Holzkohle“, sagte der Kutscher barsch. „Und wenn ich sie dir mit der Culverine ins Maul schießen muß.“
„Muß ich dann wieder kotzen?“ fragte Carberry kläglich.
„Nein – im Gegenteil“, sagte der Kutscher trocken. Er sah zu, wie der Profos das Zeug schluckte und würgte, bis er blau anlief. Dann wollte er es wieder ausspucken.
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