Ein Monstrum von Kerl, mit einer riesigen Kürbishose bekleidet und zahlreichen Narben in dem kantigen Gesicht, schob sein gewaltiges Kinn vor und zog indigniert eine Augenbraue hoch.
„Wasser?“ fragte er gedehnt. Er sann dem Wort nach, als hätte er es noch nie gehört. „Nein, so was brauchen wir vorerst nicht.“
„Ich meinte natürlich Wein“, sagte der Alcalde hastig. „Don Martin hat sich nur versprochen. Wir haben hier ein vorzügliches Weinchen, es gedeiht an den Hängen von Denia. Es wäre uns eine Ehre, wenn wir es den ehrenwerten Señores anbieten dürften.“
„Nun ja, das dürfen Sie schon“, sagte der mit der gewaltigen Kürbishose Bekleidete gnädig und herablassend. „Wir können ja mal ein paar Fässer von dem Zeug probieren, für Ihre Seligkeit.“
Hasard wollte den Profos erst bremsen, doch dann ließ er den Dingen einfach freien Lauf und amüsierte sich insgeheim weiter. Außerdem mußte Paddy gerade in diesem Augenblick wieder einen seiner passenden Sprüche absetzen.
„Selig sind, die da geistig arm sind, denn das Himmelreich ist ihr“, tönte er salbungsvoll, wobei er die beiden durchdringend ansah.
Der Kutscher biß sich fast auf die Lippen, um nicht herauszuplatzen. Hasards Gesicht wurde starr, und Old O’Flynn ruckte mit seiner weißen Halskrause herum, weil er glaubte, sich verhört zu haben.
„… die da geistlich arm sind, heißt das“, raunte der Kutscher Paddy zu, „nicht geistig arm. Sieh dich bloß vor!“
„So isses“, sagten die beiden nickend. Sie hatten die gravierende Verwechslung der beiden Worte nicht mitgekriegt oder überhaupt nicht kapiert, denn ein Geistlicher konnte sich ja nicht irren.
Paddy war es furchtbar peinlich, sich so verhauen zu haben. Auch sein Kopf nahm langsam vor Verlegenheit eine rote Farbe an.
Aber die Scharte wollte er unbedingt wieder auswetzen, und so sagte er noch einen weiteren Vers auf: „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen geröstet werden. Matthäus, fünftes Kapitel, Vers vier.“
„So isses“, sagte der Alcalde.
Und auch der Hafenmeister sagte wie ein Papagei: „So isses, so isses.“
Hasard hatte das Gefühl, als bahne sich ein Debakel an, und so schob er den dicken Paddy unauffällig zur Seite. Den nahm sich auch gleich darauf wieder der Kutscher vor.
„Mann“, sagte er erschüttert. „Die da Leid tragen, werden keinesfalls geröstet, Paddy, sie werden getröstet, und das ist immerhin ein himmelweiter Unterschied.“
„Ich bin so aufgeregt“, murmelte Paddy, „soviel auf einmal habe ich noch nie in meinem ganzen Leben gesagt. Da kann man doch schon mal was verwechseln, Mister Kutscher, nicht wahr?“
„Ja, natürlich. Es ist zum Glück ja auch nicht aufgefallen. Die beiden Kerle sind selbst viel zu aufgeregt, und im übrigen scheinen sie ihre Nasen häufiger in die Weinhumpen als in die Bibel zu stecken.“
„Da bin ich aber froh“, sagte Paddy erleichtert.
Unterdessen hatte Hasard immer noch alle Mühe, sein Lachen zu verbeißen. Er riß sich zusammen und klopfte dem Alcalden wohlwollend auf die Schulter.
„Das Angebot nehmen wir natürlich gern an“, sagte er. „Wir haben jedoch einen anderen Grund, warum wir Ihren Hafen anliefen. Uns fehlen zwei Anker. Wir haben sie in einem Sturm verloren und brauchen dringend dafür Ersatz.“ Er blinzelte den beiden vertraulich zu und zog sie etwas beiseite. „Wir haben eine sehr hochgestellte Persönlichkeit an Bord, wie Sie sicher schon bemerkt haben.“
Die beiden nickten ehrfürchtig und warfen einen heimlichen Blick zu Old O’Flynn.
„Wir glaubten schon, es sei Seine Allerkatholischste Majestät höchstpersönlich“, flüsterte Don Martin.
„Fast ist es so“, raunte Hasard. „Da Sie nun ja Geheimnisträger Erster Klasse sind, kann ich es Ihnen ruhig sagen. Jener überaus ehrenwerte Grande dort ist Don Egalo Alvarez de Segovia. Wer hätte nicht schon von ihm gehört! Er ist eine der höchstgestelltesten Persönlichkeiten der spanischen Krone und ein Edelmann durch und durch.“
Die beiden erschauerten bis ins Mark.
„Ja ja“, sagte der Hafenmensch eifrig, „wir haben schon viel von seinen Taten gehört, sehr viel.“
„Ja, wirklich sehr viel“, sagte auch der Alcalde, damit man ihn nicht für einen Dummkopf hielt, der keine Ahnung hatte. „Seine Taten werden im ganzen Lande gerühmt.“
„So ist es“, sagte Hasard. Er sah die beiden an und forschte in ihren Gesichtern, aber da lag kein Erkennen und auch kein Argwohn. So konnte er unbesorgt noch weiter reizen. Mal sehen, wie sie reagieren, dachte er. Sein Gesicht nahm einen verschwörerischen Ausdruck an.
„Don Egalo hat den berüchtigten El Lobo del Mar zur Strecke gebracht“, vertraute er ihnen leise an. „Jenen Korsaren, auf den die Krone eine hohe Kopfprämie ausgesetzt hat.“
Er sah, wie die beiden zusammenzuckten, als hätte man ihnen etwas auf die Schädel geschlagen.
„Lobo del Mar ist endlich gefangen?“ fragte der Alcalde fassungslos. „Wir haben viel von ihm gehört. Er trieb ja seit Jahren sein Unwesen und hat der Krone unermeßlichen Schaden zugefügt.“
„Das ist jetzt vorbei“, sagte Hasard. „Seit er mit Don Egalo die Klingen gekreuzt hat, gibt es ihn nicht mehr.“
„Was muß das für ein Mann sein!“ sagte Don Martin erschauernd. Er traute sich kaum noch, einen Blick zu Old O’Flynn zu werfen.
Der hatte natürlich alles mitgekriegt und schaute jetzt heroisch über den Hafen, als würde dort gleich der nächste Lobo del Mar auftauchen.
Kein Wunder, daß dieser Don Egalo so stolz und unnahbar ist, dachte der Alcalde. Was er geschafft hatte, war bisher noch keinem gelungen, obwohl sie den Wolf seit Ewigkeiten gejagt hatten.
Der Hafenmensch merkte nicht, daß er kräftig auf den Arm genommen wurde, und der Alcalde merkte es noch weniger. Da war auch kein Erkennen in ihrem Blick. Sie standen vor El Lobo del Mar und waren ahnungslos wie kleine Kinder. Sie dienerten noch vor ihm und empfanden einen unheimlichen Respekt vor dem Mann, der in Wahrheit der Schwiegervater des Seewolfs war.
Die beiden einfältigen Kerle sahen auch nicht das versteckte Grinsen in den Gesichtern der verkleideten Arwenacks.
„Sie erhalten natürlich sofort zwei Anker“, sagte der Alcalde in tiefer Demut, „das ist völlig selbstverständlich. Und ebenso selbstverständlich geht das zu unseren Lasten. Bitte, Señor, das werden Sie doch nicht abschlagen.“
„Das muß nicht sein“, sagte Hasard. „Ich bezahle die Anker natürlich gern.“
Aber davon wollten die beiden nichts wissen.
Dann schlug sich der Alcalde plötzlich vor die Stirn.
„Da fällt mir noch etwas ein. Vor ein paar Wochen sank vor der Küste eine kleine Galeone, die auf dem Weg nach Cartagena war. Sie sank in einem fürchterlichen Sturm, und niemand konnte gerettet werden. Das Wrack trieb später hier an. Der einzige Überlebende starb. Er wies uns darauf hin, daß sich an Bord vierzig Silber- und zehn Goldbarren befänden, die der spanischen Krone abgeliefert werden müßten. Wir haben immer auf einen Handelsfahrer gewartet, der nach Cartagena unterwegs war. Würde es Sie sehr belasten, Señor, diese Barren mitzunehmen? Es waren doch insgesamt fünfzig Barren, nicht wahr?“ wandte er sich fragend an Don Martin.
Der Hafenmensch hatte ganz plötzlich feine Schweißperlen auf der Stirn, die er nervös abwischte.
„Äh – ja, genau fünfzig“, sagte er mühsam.
Hasard durchschaute die beiden Kerle sofort. Da waren anfangs wohl ein paar Barren mehr im Spiel gewesen, aber die Kerle hatten sich ganz sicher ihren Anteil abgezwackt, das sah er deutlich an ihren schuldbeladenen Gesichtern. Aber das war ihm egal.
Erneut verbarg er sein Grinsen. Am liebsten hätte er laut hinausgebrüllt, doch er beherrschte sich eisern. Er zögerte die Antwort absichtlich etwas hinaus.
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