Don Martin erhob sich seufzend und warf einen Blick durch die angelehnte Tür.
„Ja, eine Schebecke“, sagte er. „Das letzte Mal habe ich vor sechs Jahren eine gesehen. Was die hier wohl will?“
„Anlegen“, sagte der Wachmann.
„Du gehst sofort auf deinen Posten und stellst fest, ob noch weitere Schiffe in Sichtweite sind“, befahl Don Martin.
Weil die beiden Kerle so angelegentlich zu der heransegelnden Schebecke starrten, nutzte der Posten die günstige Gelegenheit und trank blitzschnell die Rotweinhumpen leer. Dann ging er hinaus, aufgeblasen und wichtigtuerisch, die Tröte fest unter den Arm geklemmt. Er erweckte den Eindruck, als wolle er sich dem anstürmenden Feind entgegenwerfen und den Heldentod sterben.
„Das sind keine Eroberer“, sagte Don Martin fachkundig. „Die tragen spanische Uniformen oder so was. Vielleicht ein Freundschaftsbesuch oder so.“
„Santos“, murmelte der Alcalde. „Wenn das so ist, dann muß ich mich schnell umziehen.“
„Ich auch“, erklärte Don Martin. „Ohne Uniform bin ich nur ein halber Mensch.“
Die Uniformen hatten sie seit mehr als einem Jahr nicht mehr getragen, weil in dem Ort absolut nichts los war und auch nur sehr selten ein größeres Schiff Denia anlief.
Jetzt staffierten sie sich in aller Eile aus.
„Das sind ja zwei seltsame Heilige“, sagte Hasard zu Don Juan und deutete unauffällig zur Pier hinüber, wo zwei dickliche Kerle aufgeregt und mit tomatenroten Köpfen herumstanden.
Der Spanier konnte sich das Grinsen nicht mehr verkneifen.
Da standen zwei dicke Señores in rotgrünen Kürbishosen und ebensolchen Mühlsteinen um den Hals wie Old O’Flynn und versuchten vergeblich, ihre Bäuche einzuziehen. Beflissenheit lag in ihren Gesichtern, und zum Erstaunen der Arwenacks verneigten sich die beiden Kerle etliche Male.
„Die halten uns wohl für eine königliche Abordnung“, meinte Dan. „Da ist ja fast der ganze Ort zusammengelaufen.“
So war es. Überall tauchten Männlein und Weiblein auf oder standen vor ihren Häusern, um die Schebecke zu bestaunen.
Die letzten Segel wurden weggenommen, und dann legten die Arwenacks mit einem gekonnten Manöver an.
Die zwei uniformierten Kerle eilten beflissen herbei, nahmen höchstpersönlich die Leinen wahr und legten sie um die hölzernen Poller.
Dabei dienerten sie erneut und warfen einen scheuen Blick zu dem Mann, der in gemessener und dennoch hochmütiger Haltung auf dem Achterdeck der Schebecke stand.
„Ob das wohl Seine Allerkatholischste Majestät, unser König, ist?“ fragte Don Martin leise und ergriffen. „So könnte er jedenfalls aussehen.“
Der Alcalde war sich da nicht ganz so sicher. Er wagte kaum, den vornehm gekleideten Alten mit der weißen Halskrause und dem wettergegerbten Gesicht anzublicken.
„Ich weiß nicht“, raunte er kläglich. „Es – es wäre einfach zuviel der Ehre. Sicher ist es aber ein Grande vom Hochadel. So sehen die nämlich aus.“
Old O’Flynn hatte Ohren wie ein Luchs und verstand jedes Wort, das die beiden Kerle flüsterten. Er grinste sich heimlich eins, ließ sich jedoch nicht das Geringste anmerken. Lediglich zu einem flüchtigen Blick und einem huldvollen Handwedeln mit der ringgeschmückten Rechten ließ er sich herab.
Die beiden einfältigen Kerle versanken fast vor Ehrfurcht.
„Willkommen, willkommen“, dienerten sie.
Hasard hatte die beiden auf den ersten Blick richtig eingeschätzt. Das waren zwei absolut harmlose Trottel mit engem Horizont. Geistige Flachwassersegler mit beachtenswertem Respekt vor der Obrigkeit oder allem, was auch nur danach aussah. Ihm entging auch nicht, daß sie Old O’Flynn heimlich und respektvoll anstarrten, obwohl sie sich große Mühe gaben, das zu verbergen.
Der Seewolf grüßte lässig und etwas herablassend. Dann stellte er sich als Don Esteban vor und nannte noch ein paar längere Namen, die die Kerle ohnehin nicht behielten.
Er lud die beiden an Bord ein und stellte fest, daß sie meilenweit nach Rotwein rochen.
Wieder grüßten die beiden sehr linkisch, als sie auf den Planken standen und sich ehrfürchtig umsahen.
Sie wußten nicht, wen sie vor sich hatten, sie ahnten es nicht einmal. Vielleicht hatten sie noch nie etwas von Lobo del Mar gehört. Oder aber sie erkannten ihn ganz einfach nicht.
„Was führt Sie in unseren Hafen, Señores?“ fragte der Hafenmensch, der vor Verlegenheit einen knallroten Kopf hatte und immer wieder heimlich zu Old O’Flynn blickte, dessen Blick ausdruckslos in die Ferne gerichtet war, als ginge ihn das alles nichts an. „Sie segeln ein Schiff der Barbaresken, Don Esteban“, fuhr er leise fort, „ist das nicht ein bißchen ungewöhnlich? Verzeihen Sie bitte die Frage.“
„Aber gern“, sagte Hasard generös. „Auf den ersten Blick mag das ungewöhnlich erscheinen, aber die Mission ist schließlich von Seiner Allerkatholischsten Majestät höchstpersönlich abgesegnet.“
„Eine Mission?“ stammelte der Alcalde.
„Sie ist geheim“, raunte Hasard, „und sie muß natürlich auch geheim bleiben, deshalb haben wir bewußt diesen Hafen gewählt.“
„Welche Ehre, Don Esteban.“
„Gut, gut, mein Bester. Es bleibt also unter uns und niemand wird ein Sterbenswörtchen darüber erfahren. Ich muß Sie beide zu Geheimnisträgern ernennen.“
Die beiden Kerle versanken fast in den Planken, so angetan waren sie von der Ehre, jetzt Geheimnisträger zu sein.
Der Alcalde nahm sich heimlich vor, dieses Ereignis sogleich nach der Abreise laut hinauszuposaunen, denn da konnte er mit einem Titel glänzen, den niemand aufzuweisen hatte.
Geheimnisträger Seiner Allerkatholischsten Majestät, des Königs Philipp II. von Spanien!
Das ging runter wie warmes Öl und bedeutete den absoluten Höhepunkt in seinem ereignislosen Leben.
Aber er hatte noch einen Konkurrenten, der ebenso dachte und dessen Kopf mittlerweile so knallig angelaufen war, als würde er jeden Augenblick platzen.
Das gleiche nahm sich nämlich Don Martin ebenfalls vor, kaum, daß er zum Geheimnisträger ernannt worden war. Das mußte natürlich alle Welt erfahren, und man würde ihn wie einen Helden feiern. Er war so aufgeregt, daß er mühsam nach Luft schnappen mußte.
Hasard entging nichts, keine Regung, keine Bewegung, und so stellte er amüsiert fest, daß die beiden Kerle ob der unvergleichlichen Ehre, die ihnen soeben zuteil geworden war, fassungslos nach Luft rangen.
Eine breite Hand klopfte Don Martin leutselig auf den Rücken. Sie gehörte dem freundlichen breitschultrigen und etwas dicklichen Padre mit der Knubbelnase.
„Haltet ein mit dem Wein“, sagte Paddy Rogers salbungsvoll. „Der Wein macht lose Leute, und starkes Getränk macht wild; wer dazu Lust hat, wird nimmer weise. Eine Mahnung aus dem zwanzigsten Kapitel der Sprüche.“
Der Hafenmensch zuckte verstört zusammen. War dem Padre also doch nicht entgangen, daß sie zuvor einen gezwitschert hatten!
„So isses, so isses, verehrungswürdiger Padre“, sagte Don Martin voller Eifer.
Und der Alcalde blies verzweifelt die Wangen auf, damit seine Weinfahne etwas Milderung erfuhr.
Der gute Padre hatte noch mehr Sprüche auf Lager, die sich auf die Völlerei bezogen. Sie bewirkten bei den beiden fromme Schauer, denn die Sprüche paßten wie die Faust aufs Auge.
An der Pier hatten sich mittlerweile immer mehr Gaffer eingefunden. Keiner traute sich jedoch in unmittelbare Nähe der Schebecke, dafür sorgten schon die wichtigtuerischen Blicke des Alcalden und Hafenmeisters, die eifersüchtig darüber wachten, daß der Pöbel nicht mit den Hohen Señores in Berührung geriet.
„Sicher benötigen die ehrenwerten Señores frisches Trinkwasser und Proviant“, sagte Don Martin untertänigst. Dabei dienerte er unisono demütig mit dem Alcalden.
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