Carberry betrachtete seinen Kapitän eingehend. Dann kratzte er sich mit der Hand über das Kinn.
„Die Señoritas werden dir nachlaufen, Sir. Du siehst mit den Silberstreifen unheimlich interessant aus.“
„Das ist meine geringste Sorge“, sagte Hasard lachend. „Hauptsache, die Schergen laufen mir nicht nach. Ich bin aber sicher, daß man mich mit dem Bart nicht erkennt. Es würde mir jedoch eine diebische Freude bereiten, das zu tun.“
Jetzt grinsten auch die anderen Kerle bis zu den Ohren.
Carberry stellte sich das ebenfalls vor, und dann sah er die Sache auch schon ganz anders.
„Direkt in die Höhle des Löwen, was, wie? Das wäre natürlich der absolute Hammer. Mit spanischen Uniformen?“
„Das nicht gerade, aber mit spanischer Kluft. Dazu gehören ja auch Kürbishosen. Haben wir doch alles an Bord. Wir können den Dons ein prächtiges Theater vorspielen.“
Don Juan begann schallend zu lachen. Einstmals hatte ihn die Casa de Contratación ausgeschickt – im Range eines Generalkapitäns und Sonderbeauftragten der spanischen Krone – den Seewolf zu fangen, um ihn der spanischen Gerichtsbarkeit zu überstellen. Jetzt waren El Lobo del Mar und Don Juan de Alcazar die besten Freunde.
„Cartagena und Malaga können wir ausklammern“, sagte er, „ebenso Alicante, das ehemals römische Lucentum. Dort treiben sich zu viele Kriegsgaleonen und Bewaffnete herum. Aber wir könnten Denia anlaufen, eine kleine Hafenstadt im Norden der Weißen Küste. Sie war einmal die Hauptstadt eines kleinen maurischen Königreiches. Dort wird ganz bestimmt niemand Spaniens Erzfeind Nummer eins vermuten.“
Der einzige, der ernsthafte Bedenken anmeldete, war der Kutscher. Er schüttelte besorgt den Kopf.
„Soll man das Glück wirklich herausfordern? Sich in die Höhle des Löwen zu begeben, heißt nicht unbedingt, dort auch sicher aufgehoben zu sein. Der Löwe könnte aus einem Schlummer erwachen und einen guten Bissen wittern.“
„Keine Sorge“, sagte Hasard. „Juan hat mir versichert, daß die Leute in dem Ort noch fast hinter dem Mond leben. Die wissen vermutlich nicht einmal, wer ich bin, wenn man es ihnen erklärt. Außerdem brauchen wir die Anker ganz dringend.“
„Und wenn zufällig doch eine Kriegsgaleone der Dons in jenem Hafen liegt, Sir?“
„Dann drehen wir ab und segeln sofort weiter. Bis die aus dem Hafen heraus sind, sind wir längst über alle Meere.“
Das beschwichtigte den Kutscher ein wenig, obwohl er das ganze Unternehmen doch für etwas leichtsinnig hielt.
Die anderen Arwenacks waren jedenfalls von diesem Gedanken geradezu begeistert.
„Wie weit ist es bis dahin?“ fragte Hasard.
„Wir brauchen nur auf Westkurs zu gehen und nördlich an Ibiza vorbeisegeln“, sagte Don Juan. „Dann stoßen wir schon fast darauf. Ich denke, es sind bestenfalls hundert Meilen, mehr nicht.“
„Kein Problem für uns. Wer hat nun noch wirkliche Bedenken gegen das Vorhaben?“
Der Kutscher wollte sich noch einmal melden, doch dann unterließ er es, weil sich die anderen offenbar einen ausgefallenen und tollen Spaß darunter vorstellten. Da wollte er kein Spielverderber sein, denn die Anker brauchten sie ja wirklich.
Als sich Hasard zu Old O’Flynn umdrehte, ob der vielleicht wieder mit dem erhobenen Zeigefinger wedelte, mußte er feststellen, daß der alte Haudegen über das ganze granitharte Gesicht grinste.
„Kriege ich dann eine spanische Halskrause?“ wollte er wissen.
„Selbstverständlich kriegst du die.“
„Damit sieht er bestimmt wie ein alter Geier aus“, flüsterte der Profos Mac Pellew zu. „Ich könnte mich jetzt schon kranklachen. Das ist doch mal ein Spaß, was, Mackileinchen?“
„Mackileinchen“ Pellew fand das auch sehr lustig. Daher setzte er sein fröhlichstes Gesicht auf – eine Trauermiene, als wolle er gleich losheulen.
„Gut, dann ändern wir den Kurs und laufen nördlich an Ibiza vorbei, wie Don Juan das vorgeschlagen hat“, sagte der Seewolf zu Batuti, der am Ruder stand. „Kurs West also.“
„Auf der ‚Isabella‘ hättet ihr jetzt kräftig brassen müssen, ihr faulen Säcke!“ tönte der Profos. „Aber hier zieht man bloß ein bißchen an den Schnupftüchern, und schon geht’s rund.“
Er motzte weiter, weil die Kerle alle grinsten.
Kurs West wurde angelegt.
Die Klamotten- oder Plünnenkiste auf der Schebecke gab eine ganze Menge her. Es war mehr eine kleine Kammer für sich, die mit Stoffen und Kleidung aller Art angefüllt war.
Auf ihren zahlreichen Raids hatten die Seewölfe auch spanische Kupferhelme, Uniformen, Brustpanzer und Waffen erbeutet. Das alles hegte und pflegte der alte Segelmacher Will Thorne, der Mann, der immer zurückgezogen und bescheiden im Hintergrund lebte und ohne dessen stilles Wirken die Mannschaft einfach nicht auskam.
Will Thorne nähte die Segel, faßte sie ins Liek, verstärkte sie mit Leder, nähte Hemden und Hosen für die Crew und fertigte Flaggen an wie jene mit den gekreuzten Degen auf schwarzem Tuch – die Flagge der Freiheit und des Bundes der Korsaren.
Der grauhaarige Segelmacher war wohl der unermüdlichste Mann an Bord, denn für ihn gab es immer etwas zu tun, und so war er der gute Geist der Mannschaft.
Heute staffierte er sozusagen als Requisiteur die Arwenacks aus und hörte sich vor der Kammer geduldig ihre Wünsche an.
„Ich möchte mal so richtig als spanischer Grande auftreten“, sagte Old O’Flynn, „aber mein verdammtes Holzbein paßt einfach nicht dazu.“
„Willst du etwa in Denia auf den Straßen als spanischer Grande herumstolzieren?“ fragte Ben Brighton.
„Absolut nicht“, wehrte Old Donegal ab. „Ich will nur so auf dem Achterdeck herumstehen, als spanischer Adliger, den Blick heroisch auf das Volk gerichtet, oder etwas hochmütig und naserümpfend, wie die Stiesel das immer tun.“
„Und du meinst, das wirkt nicht mit einem Holzbein?“
„Das sieht nicht echt genug aus.“
Ferris Tucker erschien grinsend neben ihnen. Er war kaum noch wiederzuerkennen. Seine roten Haare waren einer schwarzen Pracht gewichen. Mac Pellew hatte sie ihm und vielen anderen gefärbt.
„Keine Sorge“, sagte er, „ich werde dein Holzbein umpolstern. Du kriegst ein paar prächtige Kürbishosen, lange weiße Strümpfe und vornehme Schnallenschuhe. Und unter den Stumpf des Holzbeines nageln wir einen Schnallenschuh drunter. Das fällt gar nicht auf.“
„Aber eine große weiße Halskrause brauche ich auch. Das gehört zu einem vornehmen Adligen.“
Will Thorne suchte ihm eine prachtvolle Halskrause heraus. Sie war so groß wie ein Mühlstein.
„Die ist genau richtig“, meinte der alte Haudegen zufrieden.
Eine knappe halbe Stunde später stand er voll ausstaffiert an Deck, und da kriegten sich die Kerle nicht mehr ein. Old Donegal wirkte keinesfalls lächerlich, er wirkte absolut echt, nur etwas ungewohnt für die Kerle, die ihn in dieser Rolle noch nicht gesehen hatten.
Sein Holzbein war nicht mehr zu sehen. Es befand sich jetzt in einem vornehmen Schnallenschuh. Ferris Tucker hatte durch die Sohle einen Nagel getrieben, und der steckte jetzt im Holzbein. Eine einfache, aber wirkungsvolle Methode.
Old O’Flynn trug die typischen Kürbishosen, aus denen weiße Beinkleider hervorlugten. Sein Oberkörper war mit einem dunklen, reich bestickten Gewand bekleidet, an dessen oberen Teil sich die weiße Halskrause scharf vom dunklen Untergrund abhob. Natürlich fehlte auch nicht der Zierdegen an der Seite.
Will Thorne hatte ihm noch ein paar sehr protzige Ringe auf die Finger gesteckt und ihm eine goldene Halskette umgehängt. Er sah sehr würdevoll und gemessen aus und verstand es auch meisterhaft, diese Würde in seinem verwitterten Granitgesicht unterzubringen.
Als er dann noch ein kantiges Gesicht zog, die Mundwinkel herabbog und den Blick fast verächtlich über die Arwenacks streifen ließ, konnte sich selbst Don Juan das Lachen nicht mehr verkneifen.
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