„Das sind doch Bibelsprüche“, sagte Paddy entrüstet. „Die habe ich schon als kleines Bübchen gelernt.“
„Hm“, der Profos war sich da nicht so ganz sicher, „Bibelsprüche kann man auch immer so anbringen, daß sich jeder einen Strick daraus drehen kann. Aber gut, Will wird dir jetzt die Kleidung geben.“
Carberry sah ihm nach und kratzte sich hinterm rechten Ohr.
„Sind diese Sprüche nun Zufall oder nicht?“ fragte er den Kutscher. „Da wäre ich dir für einen Rat dankbar.“
Aber mit der Antwort des Kutschers kam der Profos ebenfalls nicht klar, denn der sagte lächelnd: „Der Rat im Herzen eines Mannes ist wie tiefe Wasser, aber ein Verständiger kann’s merken, was er meint. Das ist aus den Sprüchen zwanzig über Spötterei.“
„Himmel, da habe ich mir was eingebrockt“, knirschte der Profos. „Jetzt lassen die Kerle nur noch Bibelzitate ab.“
„Du wolltest ja einen Bordgeistlichen haben. Dann mußt du dich auch mit frommen Sprüchen abfinden.“
Etwas später stand „Bruder Pastorius“ etwas linkisch an Deck, eingehüllt in ein talarähnliches Gewand mit einer Schärpe und einem nachdenklich-frommen Blick, wie ihn auch Carberry kaum besser hingekriegt hätte. Paddy hatte die Hände in liebenswerter Frömmigkeit über seinem Bäuchlein gefaltet und ließ die Sprüche ab, die er früher mal auswendig gelernt hatte.
Da war der Profos wieder am Grinsen – und die anderen auch.
Am Vormittag des nächsten Tages liefen sie in Denia ein.
Das Einlaufen der Prachtschebecke erregte größte Aufmerksamkeit und beträchtliches Aufsehen, denn in die ehemalige kleine Hauptstadt des maurischen Königreiches verirrten sich nur selten mal größere Schiffe.
Der Tag war noch sonnig und warm. Denia lag eingebettet am Fuß des fast achthundert Yards hohen Mongó, einem Berg, dessen untere Hänge mit Weinreben bepflanzt waren. Zur verträumt wirkenden Burg hin zogen sich endlose Orangenplantagen.
Sehr malerisch wirkte das Städtchen.
„Keine größeren Schiffe“, stellte Hasard fest. „Nur Fischerboote und zwei kleine Schaluppen. Hier haben wir ganz sicher nichts zu befürchten. Es wirkt alles harmlos und friedlich.“
„Hier ist offenbar die Zeit stehengeblieben“, meinte Don Juan versonnen. „Die Einwohner leben vom Weinbau, den Orangen und der Fischerei. Dort drüben ist die ganze Pier frei.“
Eine lange Holzpier ragte in den Hafen. Auf der einen Seite der Pier lagen winzige Fischerboote, die andere Seite war leer. Hinter der Pier standen weißleuchtende Backsteinhäuser im maurischen Stil.
Denia hatte als Honoratioren einen Alcalden aufzuweisen, einen dicklichen genußsüchtigen Menschen, der mehr oder weniger gewandt die Geschicke des Ortes lenkte.
Der zweite bedeutsame Mensch war der Hafenverwalter, ebenfalls sehr genußsüchtig und ein etwas wabbelig wirkender Mann. Die beiden waren miteinander verwandt und betrieben Vetternwirtschaft, denn alle unteren Chargen waren ebenfalls mit ihnen verwandt.
Der Alcalde war ein bißchen vertrottelt und eigenbrötlerisch. Der Hafenmensch stand ihm in nichts nach, schließlich war er ja mit ihm verwandt.
Ein Wachmann mit einer langen Tröte, die er zum Ärger der anderen Bürger bei jeder Gelegenheit blies, hatte die Schebecke schon lange vor der Einfahrt bemerkt und weckte jetzt den ganzen Ort aus seinem Dämmerschlaf, indem er kräftig ins Horn stieß.
Er war ein wichtiger Mensch, mit großer Verantwortung, denn er verbreitete als allererster jede Neuigkeit.
Nachdem er die dösenden Bürger aufgeschreckt hatte, rannte er in gewaltigen Sprüngen zum Backsteinhaus der Hafenverwaltung, wo der Alcalde und Don Martin, der dickliche Hafenmensch, gerade bei einem Becher Rotwein hockten.
Er stieß atemlos die Tür auf und nahm Haltung an. Dabei keuchte er noch vom schnellen Laufen.
„Was gibt es denn?“ fragte der Hafenmensch unwillig.
Der Wachmann setzte heroisch die lange Tröte an den Mund, pumpte die Backen auf wie ein Hamster und begann mit hervorquellenden Augen und aller Kraft hineinzublasen.
Der Ton war so schaurig und laut, daß die beiden fast vor Schreck vom Hocker fielen. Entnervt hielten sie sich die Ohren zu.
„Beim heiligen Sankt Blasius!“ schrie der Hafenmensch gequält. „Mußt du denn immer so einen Krach veranstalten, du blaswütiger Idiot?“
Der Wachmann ließ sich nicht beirren. Schließlich war es seine vaterländische Pflicht, jede Neuigkeit auszuposaunen. Er setzte die Tröte ab, holte tief Luft und blies den beiden noch einmal die Ohren voll.
Die beiden Kerle gingen in Deckung, zumal die Töne in dem engen Raum so klangen wie die Trompeten von Jericho und zu befürchten war, daß die Wände einstürzten.
Der zweite Trompetenstoß verklang, und als der Wachmann zum dritten und letzten Mal ansetzte, wie das bei wichtigen Meldungen üblich war, schlug ihm der Alcalde auf das Blasrohr, daß es scheppernd zu Boden fiel.
„Genug jetzt, du Blödmann!“ brüllte er. „Ich habe dir schon hundertmal gesagt, daß du in den Amtsstuben nicht blasen sollst. Das tust du draußen schon genug und zum Gotterbarmen.“
„Aber es ist meine Pflicht“, erwiderte der Posten gekränkt. „Dafür werde ich schließlich bezahlt.“
„Aber nicht in den Amtsstuben, du Esel. Hier kannst du deine Meldung ausposaunen …“
„Habe ich doch getan.“ Das Gesicht des Mannes wirkte jetzt sehr gekränkt und beleidigt.
„Ja, schon, aber nicht mit deiner verdammten Tute. Ich habe das anders gemeint. Es ist nicht nötig, hier herumzutreten, verstehst du? Du kannst deine Meldung mündlich abgeben.“
„Das will ich ja auch.“
Der Hafenmensch entsann sich jetzt, daß ja eine Meldung fällig war, und versuchte, sachlich zu bleiben.
„Was ist denn überhaupt los?“
Der Posten wollte wieder nach seinem Blasprügel greifen, doch ein drohender Blick verhinderte das rechtzeitig.
„Sage jetzt endlich, was los ist, bei allen Heiligen.“
„Ein Schiff nähert sich dem Hafen“, verkündete der Wachmann. „Es nähert sich ihm eilends.“
„Das hast du doch gerade gesagt.“
„Aber ‚eilends‘ habe ich vergessen.“
„Das ist auch nicht so wichtig. Was für ein Schiff?“
„Ein – ein Barbareskenschiff, glaube ich. Es hat drei Masten.“
„Ein Barbareskenschiff?“ stöhnte der Alcalde. „Was will es denn in unserem Hafen?“
„Vielleicht will es anlegen. Ich bin zu der Vermutung gelangt, daß es anlegen will, sonst würde es nicht in den Hafen segeln.“
„Ja, das ist wahr“, sagte Don Martin, der Hafenmensch. „Und wie sieht es aus?“
Der Hafenmensch hätte sich ohne weiteres von dem Aussehendes Barbareskenschiffes überzeugen können, aber dann hätte der Wachmann nichts zu tun gehabt, und er wurde ja schließlich dafür bezahlt, daß er etwas wahrnahm und meldete.
„Es hat drei Masten“, sagte er lahm.
„Das hast du schon gesagt. Was noch?“
„Mehr Masten hat es jedenfalls nicht. Höchstens noch ein paar Segel – und Männer an Deck.“
„Barbaresken?“
„So genau konnte ich das nicht sehen. Es war noch zu weit weg. Aber wenn es ein Barbareskenschiff ist, dann hat es auch ganz sicher Barbaresken an Bord.“
„Um Himmels willen“, stöhnte der Hafenmensch. „Das hat uns gerade noch gefehlt. Eroberer, was?“
„Was für Dinger?“ fragte der Posten.
„Eroberer, sagte ich.“
Der Alcalde faßte ein Entschluß. Er erhob sich, öffnete die Tür und warf einen Blick hinaus.
„Tatsächlich, ein Schiff“, sagte er staunend. „Und was für eins!“
„Was denn für eins?“ fragte der Hafenmensch, weil er zu faul war, aufzustehen und seinen Platz zu verlassen.
„Eine Schebecke. Sieh sie dir mal an.“
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