Bob seufzte. Er würde den knurrenden Bären in seinem Magen besänftigen müssen.
Er wollte sich abwenden, als er die Schritte hörte – dumpfe Schläge von harten Stiefelabsätzen auf der Pier. Erstaunt blickte er zur Kaiseite der Pier, wo sich die Giebelwände der Lagerhäuser aneinanderreihten. Er rechnete mit einer Streife der Stadtgarde, was das einzig Wahrscheinliche zu dieser frühen Stunde war.
Doch die vier Männer, die da heranstelzten, trugen keine Helme und keine Brustpanzer, keine Uniformen. Alle vier waren schlank und schwarzhaarig, ihre Kleidung elegant, die Waffen hochwertig.
Bob Grey mußte unwillkürlich an die geschniegelten Burschen denken, von denen der Profos und die anderen berichtet hatten, die am Abend gemeinsam losgezogen waren.
Die Eleganten steuerten denn auch tatsächlich auf den Dreimaster zu.
Vor dem Schanzkleid blieben sie stehen. Sekundenlang musterten sie den Engländer aus schmalen Augen.
„Wache?“ schnarrte der älteste der drei, dessen silbergraue Haarsträhnen nur aus unmittelbarer Nähe zu erkennen waren.
„So ist es“, entgegnete Bob Grey.
„Rufen Sie Ihren Kapitän. Ich habe mit ihm zu sprechen.“ Es hörte sich an, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt, zu dieser nachtschlafenden Zeit eine solche Forderung zu stellen.
Bob tastete unwillkürlich nach seinem Pistolengriff. Er war allein an Deck und konnte im Ernstfall nicht viel ausrichten. Andererseits ließ er sich nicht von irgendwelchen hergelaufenen Figuren einschüchtern. Sollte es tatsächlich kritisch werden, konnte er Alarm geben. Es galt eben nur, daß er auf seine eigene Haut achtete.
Leicht gesagt – angesichts von vier Burschen, die mit Pistolen und Dolchen bewaffnet waren und offensichtlich ausgerechnet diese frühe Tageszeit gewählt hatten, weil sie nicht mit Beobachtern zu rechnen brauchten.
Bob schüttelte den Kopf und grinste herausfordernd. „Tut mir leid, Signori. Der Kapitän ist nicht zu sprechen. Falls Ihnen die Uhrzeit nicht bekannt sein sollte …“
„Ich wiederhole meine Forderung nicht gern“, unterbrach ihn der Anführer schroff. „Notfalls müssen wir mit Gewalt vorgehen.“
Bobs Muskeln spannten sich an.
„Versuchen Sie es“, stieß er entschlossen hervor. „Ohne meine Einwilligung haben Sie auf diesem Schiff nichts verloren.“
Der Anführer und die drei anderen lachten höhnisch. „Die Lächerlichkeit dieser Bemerkung müßte Ihnen eigentlich bewußt sein.“
Bob ließ die Rechte auf dem Pistolengriff ruhen.
„Lassen Sie das meine Sorge sein“, entgegnete er, ohne seine innere Anspannung erkennen zu lassen.
„Also dann“, sagte der andere und nickte. „Letzte Chance für Sie, Engländer. Rufen Sie Ihren Kapitän, oder …“
Schritte näherten sich auf den Decksplanken.
Bob drehte sich ungläubig um.
„Oder?“ sagte der Seewolf mit einem Lächeln, das so eisig war wie ein Morgen in nördlichen Breiten.
Bob konnte nur darüber staunen, wie schnell der Seewolf selbst auf die leisesten Geräusche reagierte. In seiner Kammer konnte er die Stimmen bestenfalls als gedämpftes Murmeln gehört haben. Trotzdem hatte er sofort gespürt, daß dem Schiff und der Crew eine Gefahr drohte.
Es war diese besondere Art von geschärftem Instinkt, die den Seewolf mehr als alle anderen Männer an Bord auszeichnete.
Er war bereits vollständig angekleidet und mit seinem sechsschüssigen Drehling bewaffnet.
Bob Grey zog die Schultern hoch.
„Die Gentlemen haben sich nicht vorgestellt“, sagte er. „Trotzdem hören sie sich für meine Begriffe verdammt unverschämt an.“
Hasard nickte und trat neben Bob an die Verschanzung.
„Sind Sie der Kapitän?“ fragte der Anführer der Gruppe herablassend, obwohl er zu dem hochgewachsenen Engländer mit den breiten Schultern und den schmalen Hüften aufblicken mußte.
Hasard nickte abermals.
„Killigrew“, sagte er. „Wer sind Sie? Was wollen Sie?“
„Meine Männer und ich vertreten Don Cesare di Montepulciano, einen der Mächtigsten in Cagliari und Umgebung. Eine Gruppe unserer Leute wurde gestern abend von Mitgliedern Ihrer Crew vor einer Trattoria grundlos angegriffen und zusammengeschlagen. In einem Fall gab es sogar eine Verletzung durch ein Wurfmesser, Don Cesare läßt Ihnen ausrichten, daß er diese Ungeheuerlichkeit nicht dulden wird. Sie haben den Hafen von Cagliari sofort zu verlassen. Sollte das bis heute mittag nicht geschehen sein, sehen wir uns gezwungen, ein Exempel zu statuieren.“
Der Seewolf zog die Mundwinkel nach unten. „Richten Sie Ihrem Don etwas von mir aus. Daß ich ihm nämlich eigenhändig die Ohren langziehen werde, falls er sich zu irgendeiner Unverschämtheit versteigt.“
Die Kerle erblaßten vor Fassungslosigkeit.
„Unsere Liegegebühren haben wir für drei Tage im voraus bezahlt“, fuhr Hasard fort. „Ich kann mich aber nicht entsinnen, daß Ihr Don Cesare der Zahlungsempfänger gewesen sein sollte. Was den Vorfall von gestern abend betrifft, so lassen Sie sich gesagt sein, daß die Mitglieder meiner Crew sehr wohl Grund hatten, ihre Fäuste einzusetzen. Jedem, der sich diesem Schiff unerlaubt nähert, wird es ähnlich ergehen.“
Das Gesicht des Gruppenführers verzerrte sich. Er konnte seine Wut nicht verbergen. Seine Rechte fuhr zur Pistole.
Hasard hatte seinen Drehling im selben Moment gezogen.
Bob Grey folgte seinem Beispiel.
Die vier Männer Don Cesare di Montepulcianos ließen ihre Waffen stecken. Der Anführer zitterte in seiner Wut, als er Befehl zum Rückzug gab. Er hatte begriffen, daß er und seine Gruppe gegen die Feuergeschwindigkeit des sechsläufigen Drehlings nicht das geringste ausrichten konnten.
Die Turmkammer enthielt keinen einzigen Einrichtungsgegenstand.
Die Menschen, die hierher gebracht worden waren, so vermutete Blacky, hatten keine Gemütlichkeit mehr gebraucht. Es war für sie nur eine Zwischenstation auf der Reise in den Tod gewesen.
Blacky war daher gezwungen gewesen, sich auf dem kahlen Steinfußboden auszustrecken. Nur einen winzigen Vorteil hatte die Kammer: Sie war nicht feucht wie ein Verlies in einem Kellergewölbe. Dafür strömte die Kälte der Nacht fast ungehindert herein. Immerhin waren die Kerle so gnädig gewesen, ihm die Kleidung überzustreifen, bevor sie ihn aus Gigliolas Kammer verschleppt hatten.
Und sie hatten ihn nicht gefesselt.
Wahrscheinlich hatten sie nicht die geringste Sorge, daß er ihnen entwischen könne.
Wenigstens war er in der Lage, sich auf dem Boden zusammenzurollen und in den schützenden Winkel von Wand und Fußboden zu verkriechen. Es half ihm jedoch herzlich wenig. Er horchte auf den Wind, der um den Turm heulte, und versuchte, andere Geräusche wahrzunehmen. Bestenfalls war da noch das Tosen der Brandung, tief unten, am Fuß der Steilküste. Aber es mochte auch seine Einbildung sein, die ihn glauben ließ, daß er dieses Tosen hörte.
Je mehr er versuchte, seine Gedanken auf etwas anderes zu konzentrieren als auf die Kälte, desto wacher wurde er. Bald fror er so jämmerlich, daß er am ganzen Körper zitterte. Er wußte, während des nächsten Tages würde er möglicherweise das Gefühl haben, in der Sonnenglut ersticken zu müssen. Die Temperaturunterschiede, die ihm bevorstanden, konnten ihn allein schon umbringen, wenn es denn nichts anderes war.
Irgendwann in dieser endlos scheinenden Zeitspanne erwachte er und konnte nicht fassen, daß er trotz allem geschlafen hatte. Allein seine Erschöpfung mußte der Grund gewesen sein.
Es war hell geworden.
Unmittelbar nach dieser Erkenntnis begann er zu frieren wie nie zuvor. Sein ganzer Körper wurde von Kälteschauern regelrecht durchgeschüttelt. Er rappelte sich auf und hieb sich die Arme um den Brustkorb. Dabei hüpfte er von einem Bein auf das andere, um den Fluß seines Blutes besser in Gang zu bringen. Bei jeder Bewegung dröhnte der Schmerz, der mit seinem Bewußtsein erwacht war, auf und ab wallend durch seinen Kopf.
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