Das Kommando an Bord der „Le Vengeur III.“ übernahm Nils Larsen, der keine Mühe haben würde, sich mit seiner alten Crew im Gefechtseinsatz zu verständigen.
Nachdem das Beiboot zurückgekehrt war, gab der Seewolf Befehl, Segel zu setzen.
Immer wenn sie Tortuga aus der Ferne erblickten, drängte sich den Männern der Gedanke an Columbus auf, den legendären Entdecker. Wie treffend war doch sein Einfall gewesen, diese bucklige Insel als „Schildkröte“ zu bezeichnen! Denn nichts anderes bedeutete das spanische Wort „Tortuga“.
Jener Schildkröten-Buckel schälte sich im beginnenden Morgengrauen aus dem Dunst, als der Verband des Seewolfs heransegelte. Einen besseren Verbündeten als den handigen Nord-Nord-Ost konnte sich niemand an Bord wünschen. Die fünf Schiffe hatten die vorgesehene Formation eingenommen. Bei raumem Wind über Backbordbug segelnd, bildeten sie eine große, nach Süden gerichtete Pfeilspitze. Im Zentrum, also den anderen um eine Schiffslänge voraus, segelte die „Isabella“. An Steuerbord bildeten der Schwarze Segler und die „Tortuga“ den westlichen Schenkel der Pfeilspitze. Auf der anderen Seite waren es die „Wappen von Kolberg“ und die „Le Vengeur III.“.
Die beiden wesentlich schnelleren Pinassen kreuzten abwartend im Kielwasser der großen Schiffe.
Bis auf zwei Seemeilen hatte sich der Verband dem nordwestlichen Zipfel von Tortuga genähert, als Unerwartetes geschah.
„Deck!“ brüllte der Ausguck der „Isabella“. „Mastspitzen Backbord voraus!“
Heisere Rufe waren auch von den übrigen Schiffen zu hören. Überall auf den Achterdecks blinkte die Messingummantelung der Spektive im schwachen Mondlicht, das die Dunkelheit noch nicht vollends verdrängt hatte.
Die Umrisse traten aus dem grauen Zwielicht hervor, unverkennbar und höchstens eine Seemeile entfernt.
„Der Zweidecker!“ stieß Ben Brighton entgeistert hervor.
Hasard war nicht minder überrascht. Woher kannte die Black Queen den Zeitpunkt des Angriffs? Denn zweifellos befand sie sich nicht auf einer Erkundungsfahrt. Das ließ sich daraus schließen, daß sie von zwei Galeonen begleitet wurde, der „Aguila“ und der „Buena Estrella“. Letztere segelte ohne Besan, hatte die Gefechtsschäden also noch nicht vollständig behoben.
Die „Caribian Queen“ und die beiden Galeonen lagen auf einem Kreuzschlag nach Nordost. Allein nach den Windverhältnissen war die Position der „Herrscherin der Karibik“ ungünstig. Aber Hasard kannte sie mittlerweile gut genug, um zu wissen, daß sie es meistens verstand, die Dinge zu ihren Gunsten zu wenden.
Noch war nicht festzustellen, wie die Black Queen reagieren würde. Aber innerhalb von Minuten konnte sich die Lage entscheidend ändern. Hasard zögerte deshalb nicht. Er ließ Jean Ribault und Siri-Tong signalisieren, daß sie von nun an auf sich allein gestellt sein würden.
Die beiden Pinassen segelten nacheinander von Backbord auf die „Isabella“ zu, gingen bei voller Fahrt längsseits und hakten sich am Schanzkleid fest, bis die Männer aus der Crew des Seewolfs aufgeentert waren.
Dann lösten sich die Einmaster und jagten mit jener Eleganz davon, die ihnen ihre schlanke Bauweise ermöglichte. Mit Kurs Süd-Ost steuerten Siri-Tong und Jean Ribault geradewegs auf die Küste von Tortuga zu, um vor der Nase der Black Queen durchzuschlüpfen und den sicheren Küstenbereich zu erreichen.
Für den Moment glich die Situation einem gegenseitigen Belauern. Während sich die Distanz zwischen den gegnerischen Verbänden zusehends verringerte, schienen sich beide Parteien darin verbissen zu haben, ihren Kurs stur beizubehalten.
Doch unverhofft reagierte die Black Queen auf eine Weise, wie sie weder Hasard noch einer seiner Gefährten erwartet hatten.
Statt wie vermutet nach Osten abzufallen, um der Übermacht zunächst auszuweichen, legte sich der Zweidecker in eine todesmutige Wende nach Nord-West. Viel zu schnell verringerte sich jetzt die Entfernung und schmolz auf fünf, sechs Kabellängen zusammen.
Die Black Queen nutzte den kurzen Moment, in dem der Verband des Seewolfs im Begriff war, sich auf die neue Lage einzustellen und sich aufzulösen. Denn auch die „Aguila“ und die „Buena Estrella“ folgten mit ihrem Kurswechsel jetzt dem Beispiel der „Caribian Queen“.
Ein glühender Feuerteppich von Mündungsflammen zuckte plötzlich aus der Steuerbordseite des Zweideckers. Der Geschützdonner zerfetzte die morgendliche Stille.
Nils Larsen hatte seine Halse nach Südosten eben erst eingeleitet. Zu spät jedoch. Die Eisenkugeln rauschten im Schwarm heran. Zwei, drei Treffer schmetterten in das Vorschiff der „Le Vengeur III.“. Der Rest der Kugeln riß einen Fontänenwald aus dem Wasser.
Der Bugspriet von Jean Ribaults Galeone knickte weg wie ein zu dünner Kienspan, das Blindsegel klatschte als heller Fleck ins Wasser.
Triumphgebrüll ertönte auf dem Zweidecker, der sich jetzt anschickte, auch die „Wappen von Kolberg“ in den Visierbereich seiner Geschütze zu holen.
Aber eine zweite Überraschung ließen sich weder Arne von Manteuffel noch der Seewolf und die anderen bieten. Während Arne backbrassen ließ und im nächsten Moment fast auf der Stelle nach Osten halste, stürzte sich die „Isabella“ wie ein Löwe auf die „Caribian Queen.“
Der Schwarze Segler und die „Tortuga“ jagten unterdessen nach Südwesten, um die „Aguila“ abzufangen. Die Galeone der Meuterer segelte unter Vollzeug nach Westen, hart nach Backbord krängend und offenbar versucht, dem Gegner in den Rücken zu fallen, während die Black Queen Unheil und Verwirrung stiftete.
Dem Seewolf war klar, daß er sich allein auf die Black Queen konzentrieren mußte. Arnes Absicht war deutlich zu ahnen. Sobald er den Zweidecker nicht mehr im Genick hatte, würde er sich die „Buena Estrella“ vorknöpfen.
Auch Nils Larsen würde mit der „Le Vengeur III.“ in den Kampf eingreifen, wenn sie erst einmal alle Taue gekappt hatten und der Bugspriet nicht mehr längsseits hing.
Hasard hatte lediglich um zwei Strich nach Steuerbord abdrehen lassen. An den Backbordgeschützen standen die Männer auf dem Sprung. Big Old Shane und Batuti waren in die Marse aufgeentert, und auf der Back hatte Ferris Tucker seine Höllenflaschenabschußapparatur aufgebaut.
Einen Atemzug zu spät begriff die Black Queen ihren Fehler. Wenn sie geglaubt hatte, der „Wappen von Kolberg“ praktisch im Vorbeigehen eine Breitseite zu verpassen, so hatte sie die Arwenacks sträflich unterschätzt.
Das mußte sie jetzt erkennen, als sie die „Isabella“ plötzlich über den Bugspriet ihres düsteren Schiffes hinweg in voller Länge und in voller Gefährlichkeit erblickte.
„Feuer!“ brüllte der Seewolf.
Die Arwenacks zogen alle Register und ließen ihren wilden Kampfruf dröhnen, der im nächsten Moment im urgewaltigen Krachen der Fünfundzwanzigpfünder und Siebzehnpfünder unterging. Aus den Marsen feuerten Batuti und Shane mit ihren englischen Langbogen die ersten Brandpfeile ab. Ferris Tucker fieberte auf den Moment, in dem er die Queen in Reichweite hatte, um ihr den ersten höllischen Gruß hinüberzuschicken.
Während die „Isabella“ unter dem Rückstoß nach Steuerbord krängte und der dichte Pulverrauch aufstieg, folgte ein Geräusch, das den Arwenacks wie Musik in den Ohren klang.
Krachen, Bersten und Splittern von Holz!
Erneut hatten sie ihren Kampfruf auf den Lippen, als sie in fieberhafter Eile die Geschützrohre nachluden. Mit Todesverachtung gab der Seewolf Pete Ballie den Befehl, die „Isabella“ nach Süd-Ost zu schwenken, auf Parallelkurs zur „Caribian Queen“. Die schlanke Galeone reagierte prächtig, und die Segel klatschten und schlugen im Nord-Nord-Ost.
Im selben Moment gab der verfliegende Pulverrauch den Blick frei. Das Vorschiff des Zweideckers war ein Gewirr aus Splittern und zerborstenen Planken. Auf den Decks der „Caribian Queen“ herrschte Chaos.
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