„Ich denke schon“, entgegnete Emile mit geschwellter Brust, „was würdest du sagen, wenn ich dir verrate, daß die Angreifer schon auf der Insel waren?“
Der Black Queen und auch Caligula verschlug es die Sprache.
„Rede“, sagte die Schwarze dann zähneknirschend, „und zwar schnell.“
Emile Boussac ließ die Worte sprudeln. Wenn seine Mädchen freikamen, war das bares Geld wert. Einen besseren Lohn konnte er nicht erwarten. Also schilderte er alle Einzelheiten über das Zusammentreffen mit Jean Ribaults Freunden und darüber, wie er sie zu der Nebenbucht geführt hatte, wo sie mit zwei Pinassen davongesegelt waren.
„Ist das alles?“
„Im Augenblick ja. Aber ich werde gern weiter Augen und Ohren offenhalten und …“
„Nicht nötig“, unterbrach ihn die Queen eisig. Mit einem jähen Ruck riß sie das handtellerbreite Messer aus dem Gurt.
Emile Boussac spürte, wie sein Herz aussetzte. Die Todesangst lähmte ihn. Viel zu spät schaffte er es, den Mund aufzureißen. Aber den Schrei brachte er nicht mehr hervor.
„Wenn du andere verrätst, verrätst du auch mich“, sagte die Schwarze und stach zu. Dreimal hintereinander, bis sie sicher war.
Caligula ließ den Toten fallen.
„Ein Segen“, sagte er, „wenn wir nicht zufällig noch mit dem Munitionshändler gefeilscht hätten, wäre diese französische Ratte ungestraft davongekommen.“
„Und wir wüßten nicht, was wir jetzt wissen“, sagte die Black Queen nachdenklich. „Ich frage mich nur, was die Kerle mit zwei Pinassen wollen.“
„Keine Ahnung. Vielleicht wollen sie ihre ganze Horde an der Nordseite landen lassen. Mit den Pinassen schaffen sie das dreimal so schnell wie mit ihren Jollen. Vielleicht sollten wir bei den Geschützstellungen erhöhte Alarmbereitschaft anordnen.“
„Möglich, daß du recht hast. Wir schicken auf jeden Fall einen Boten. Aber jetzt schleunigst an Bord. Ich will aus der verdammten Bucht heraus, bevor es zu spät ist. Die ‚Buena Estrella‘ müßte auch jeden Moment aufkreuzen.“
Caligula widersprach nicht. Er wartete, bis seine Gefährtin auf der mittleren Ducht Platz genommen hatte. Dann wriggte er das Boot hinaus, auf den Zweidecker zu.
Die fünf Schiffe des Verbandes von der Schlangen-Insel hatten die vereinbarte Position beibehalten.
Zweieinhalb Seemeilen nördlich von Tortuga stießen Jerry Reeves und seine Gefährten zu den Verbündeten. Nachdem die beiden Pinassen längsseits der „Isabella“ vertäut worden waren, begab sich Jerry sofort in die Kapitänskammer.
Stoker, Mulligan und die anderen blieben an Deck, um bei der Arbeit mitzuhelfen, die jetzt in aller Eile zu erledigen war. Unter der Anleitung von Ferris Tucker wurden die beiden Einmaster auf ihren Einsatz vorbereitet.
Mit Jerry Reeves war die Versammlungsrunde in der Kammer des Seewolfs komplett. Alle wandten sich ihm in gespannter Erwartung zu: Hasard, Arne von Manteuffel, Thorfin Njal, Jean Ribault und Siri-Tong.
Jerry setzte sich und bedankte sich mit einem Nicken für das Glas Rotwein, das Hasard ihm zuschob. Dann berichtete er über die erfolgreiche Mission. In knappen Worten beschränkte er sich auf das Wesentliche.
„Die ‚Buena Estrella‘ ist uns auf dem Rückweg begegnet“, schloß er, „allerdings waren wir weit genug entfernt, und sie hatten auch genug mit sich selbst zu tun.“
„Haben sie das Feuer an Bord gelöscht?“ fragte der Seewolf.
„Ja“, erwiderte Jerry. „Wenn wir richtig gehört haben, waren sie schon dabei, die Schäden auszubessern.“
„Habt ihr noch mehr Geschützstellungen an der Küste gesehen?“ erkundigte sich der Wikinger mit dröhnendem Organ.
„Nur die Lichter. Auf alle Fälle gibt es jede Menge von diesen behelfsmäßigen Stellungen. Uns haben sie entweder nicht bemerkt, oder sie konnten nicht rechtzeitig reagieren. Diese Pinassen sind nämlich verteufelt schnell.“
„Genau das, was wir brauchen“, sagte Jean Ribault und nickte zufrieden. Er warf einen Blick zu Siri-Tong hinüber.
Ein kaum merkliches Lächeln entstand in den Mundwinkeln der Roten Korsarin. Aber in ihren Augen zeigte sich ein harter Glanz, der ihre eisige Entschlossenheit spiegelte.
„Wenn alles vorüber ist, werden wir den Schaden ersetzen“, sagte Hasard. „Diego wird die Eigentümer der Pinassen ermitteln und ihnen das Geld in unserem Auftrag auszahlen.“
„Noch ist nicht alles vorüber“, entgegnete Siri-Tong pessimistisch, „ich glaube nicht daran, bevor ich den Zweidecker mit eigenen Augen sinken sehe. Diese Schwarze ist einfach zu gerissen.“
„Welch ein Kampfmoral!“ rief Arne von Manteuffel mit gespieltem Vorwurf. „Laß das auf unsere Männer abfärben, und wir nehmen am besten gleich wieder Kurs auf die Schlangen-Insel.“
„Siri-Tong meint es nicht so, wie du denkst“, sagte Jean Ribault, „wir haben nur schon zuviel mit dieser sogenannten Queen erlebt. Uns wundert nichts mehr.“
Der Seewolf beendete die beginnende Debatte mit einer energischen Handbewegung.
„Fassen wir zusammen: Selbst wenn man Abstriche an Boussacs Glaubwürdigkeit vornimmt, sind die Informationen doch wertvoll genug, um die Lage einigermaßen richtig einzuschätzen. Die Black Queen hat auf ihrer Seite nur die Schiffsbesatzungen. Und die sind auch vermindert um die Leute, die die Geschützstellungen in den Felsen besetzt haben.“
„Minus sechs“, warf Jerry Reeves ein.
Hasard nickte.
„Das habe ich nicht vergessen. Zur Sache also: Das einzige, was wir jetzt noch zu klären haben, ist die Frage der beiden Brander.“
„Was gibt es da noch zu klären?“ rief die Rote Korsarin aufbrausend. „Es stand von vornherein fest, daß Jean und ich die Pinassen ins Ziel steuern.“
„Allerdings“, fügte Ribault bekräftigend hinzu, „wenn wir diese Aufgabe übernehmen, dann wissen wir, warum. Gibt es jemanden, der einen besseren Grund hat als wir? Siri-Tong und ich haben eine verdammt persönliche Rechnung mit dem schwarzen Satansweib zu begleichen.“
„Es war euer Vorschlag, die Brander zu übernehmen“, stellte Hasard richtig, „unumstößlich war das meines Erachtens noch nicht. Ich meine, daß jeder bei seinen Entscheidungen einen klaren Kopf haben sollte. Wollt ihr das nicht noch einmal überdenken?“
„Nein“, entgegnete die Rote Korsarin prompt.
„Nein“, sagte auch Jean Ribault spontan.
„Also gut.“ Hasard zuckte mit den Schultern und lächelte. „Gegen eure Dickschädel kann man in diesem Fall wohl nichts tun. Ist jemand dagegen?“ Er blickte in die Runde.
„Laß ihnen ihren Willen“, brummte Thorfin Njal, „wer so verbissen ist, der wird seine Sache auch prächtig bewältigen.“
Auch Arne von Manteuffel und Jerry Reeves hatten nichts einzuwenden. Jeder wußte schließlich, wie sehr Jean Ribault danach fieberte, seine Rache zu vollenden. Und die Rote Korsarin stand dem in nichts nach.
Der Seewolf hob die Runde auf. Gemeinsam begaben sie sich an Deck.
Der hünenhafte Schiffszimmermann löste sich aus der Schar der Männer und trat ihnen entgegen.
„Brander klar, Sir“, meldete er knapp.
Hasard und die anderen traten an das Backbord-Schanzkleid.
Auf den Pinassen waren Scheiterhaufen aus trockenem Abfallholz aufgeschichtet worden, und zwar jeweils auf dem Vorschiff und mittschiffs hinter dem Mast, so daß sich das Lateinersegel noch unbeeinträchtigt bewegen ließ.
Ferris Tucker und seine Helfer hatten die Holzstapel mit Tauen gesichert, so daß sie selbst bei jähen Segelmanövern nicht auseinanderfielen oder über Bord gingen. Al Conroy hatte überdies eine besondere Zündvorrichtung aus seiner Trickkiste gezaubert.
Es gab keine Zeit mehr zu verlieren.
Jerry Reeves und seine Einsatztruppe wurden mit dem kleinen Beiboot der „Isabella“ an Bord der „Tortuga“ gebracht. Zur Unterstützung von Jean Ribault und Siri-Tong stellte Hasard sechs Mann ab, so daß sie auf den Pinassen jeweils zu viert waren.
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