„Sei still!“ fuhr der Glatzkopf ihn an. „Warte, dich bringe ich zum Schweigen, dir stopfe ich das Maul!“
Er überholte mit zwei schnellen Schritten Big Old Shane, strebte dann an Carberry und Dan O’Flynn vorbei und hob die erbeutete Reiterpistole, um sie auf den Kopf des Seewolfs niedersausen zu lassen.
Dan brach plötzlich in den Knien zusammen und ließ sich auf die rechte Körperseite sinken. Er stöhnte noch einmal und tat so, als wolle er sich das schmerzende Bein halten. In Wirklichkeit aber griff er nach einem der faustgroßen Steine, die am Rand des Pfades lagen.
Wie auf ein vorher vereinbartes Zeichen hin schnellte Carberry unvermittelt vor – zu schnell für Duplessis, der zwar feuern wollte, jedoch durch die erstaunliche Gewandtheit des Profos’ irritiert war. Nur einen Atemzug lang – dieser Zeitraum genügte Carberry, dem Glatzkopf einen heftigen Schlag in den Rücken zu geben.
Hasard sprang zur Seite, hielt sein linkes Bein aber so, daß La Menthe darüber stolperte. Der Franzose schlug der Länge nach hin, überrollte sich und verlor die Doppelläufige aus der Hand.
Dan hatte den Stein in der Faust, fuhr auf dem Boden herum und schleuderte ihn nach Duplessis. Big Old Shane duckte sich gedankenschnell und drehte sich dabei um, um den Bullen angreifen zu können.
Gut gezielt prallte der Stein gegen Duplessis’ Stirn, und der begann zu wanken wie ein Betrunkener. Er ging aber nicht zu Boden, sondern riß seine beiden Pistolen hoch und feuerte die rechte auf Dan ab. Der Schuß krachte, der Stein polterte zu Boden. Dan wälzte sich seitlich ins Dickicht und entging der Kugel um Haaresbreite.
Shane wich ebenfalls aus, weil Duplessis fluchend mit der anderen Pistole fuchtelte und Anstalten traf, damit genau auf seine breite Brust abzudrücken.
„Weg!“ rief der Seewolf. „Abhauen! Los, beeilt euch!“
Carberry hatte zwar vorgehabt, sich mit dem ganzen Gewicht seines Körpers auf La Menthe zu werfen, doch dieser hatte sich inzwischen halb aufgerichtet und zielte mit seiner zweiten Pistole auf den Narbenmann. Rechtzeitig hatte Hasard erkannt, daß sie auch zu viert keine reelle Chance hatten, die Franzosen zu überwältigen, ganz ohne Waffen war es ein hoffnungsloses Unterfangen.
Aber fliehen konnten sie – und das taten sie jetzt, indem sie sich zu Dan hinüber ins Gebüsch warfen, sich schnell wieder aufrappelten und davonliefen.
La Menthe feuerte, aber die Kugel lag zu hoch und pfiff über die Köpfe der vier weg. La Menthe sprang auf, fluchte auf mörderischste Weise in seiner Muttersprache und hob die Doppelläufige, die er wieder an sich gebracht hatte, aber die Gestalten, die jetzt im Dickicht verschwunden waren, boten ihm kein Ziel mehr.
Duplessis stand zornbebend da und wollte sich mit der einen Hand die schmerzende Stirn reiben, doch jäh traf ihn von hinten ein Stoß. Er flog gegen seinen Willen auf seinen Herrn zu, konnte ihm nicht mehr ausweichen, prallte mit ihm zusammen und ging mit ihm zu Boden.
Einer der beiden schwarzen Männer hatte die Gelegenheit ergriffen und Duplessis mit seinem nackten Fuß kräftig gegen das Rückgrat getreten. Jetzt wandte er sich nach rechts und tauchte im Gebüsch unter, und sein Stammesbruder folgte dem Beispiel.
La Menthe befreite sich von der Last des Bullen Duplessis, erhob sich und sandte den Negern eine Kugel nach, doch auch diese traf nicht.
Aus Richtung der Häuser erklangen helle, fragende Rufe. Sie wurden von La Menthes und Duplessis’ französischen Landsleuten ausgestoßen, die beim Aufpeitschen der Pistolenschüsse die Häuser verlassen hatten und sich jetzt erschrocken nach allen Seiten umsahen.
„Drei Mann zu mir herauf!“ schrie La Menthe mit überkippender Stimme. „Die beiden anderen bleiben unten und passen auf die verfluchte schwarze Brut auf! Der Aufstand ist ausgebrochen, Martinique ist in Gefahr! Aber wir werden sie alle töten, diese Hunde, töten, töten!“
Roi Lodovisi, Corrado Prevost, Mario Zorzo und die fünf anderen Meuterer der „Novara“ hatten auf einem aus dem Wasser ragenden Teil der Korallenbänke eine kurze Verschnaufpause eingelegt, dann waren sie weitergeschwommen. Sie befanden sich jetzt auf der Landzunge und blickten zurück zu der Untergangsstelle der Galeone.
„Zur Hölle!“ stieß Lodovisi aus. „Sie sind nicht alle ersoffen. Seht doch das Boot! Sie sitzen darin und klammern sich daran fest, und gleich pullen sie zu uns herüber.“
„Wir bereiten ihnen einen gebührenden Empfang“, sagte Zorzo. „Unsere Schußwaffen sind zwar durch das Wasser unbrauchbar geworden, aber wir haben noch unsere Messer und Schiffshauer, mit denen wir sie erledigen können. He, täusche ich mich, oder sind da wirklich auch die Weiber mit in der Jolle?“
„Du irrst dich nicht“, entgegnete Prevost grinsend. „Die Frauenzimmer lassen wir natürlich am Leben, und dann bereiten wir uns den Spaß mit ihnen, den wir uns schon lange gönnen wollten.“
„Sie sind in der Überzahl“, sagte der Profos der „Novara“. „Und auch sie haben noch Degen, Säbel und Messer. Ich kann von hier aus den Capitano – diesen scheinheiligen Hundesohn –, Venturi und Gori erkennen. Insgesamt sind sie mehr als ein Dutzend Männer.“
Zorzos Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Verdammt, soll das heißen, daß du vor denen kneifen willst?“
Lodovisi drehte sich langsam zu ihm um. Er war ein über sechs Fuß großer Mann mit schwarzem Vollbart, dunklen Augen und einer grobknochigen, kräftigen Statur, der Zorzo, den Kleineren, Schlankeren, um eine halbe Kopfeslänge überragte.
Lodovisi sah sein Gegenüber drohend an und sagte: „Diese Frage nimmst du am besten zurück, Mario. Ich kneife nicht, wenn gekämpft wird, ich habe nur etwas gegen Dinge, die von vornherein aussichtslos sind. Also?“
„Gut, gut, es war nicht so gemeint“, erwiderte Zorzo. Es hatte keinen Zweck, sich jetzt mit dem Profos herumzustreiten. Es war ratsam, sich einlenkend und diplomatisch zu verhalten. Gewisse „Kleinigkeiten“ konnten später immer noch geklärt werden – zum Beispiel, ob Lodovisi allein der Anführer der Bande bleiben sollte.
„Wir ziehen uns in den Busch zurück und versuchen, ihnen einen Hinterhalt zu legen“, sagte Roi Lodovisi. „Es ist gleich dunkel, und gerade dann dürfte es uns nicht schwerfallen. Vorwärts, wir wollen hier abhauen, ehe sie näher heran sind und uns hier sichten.“
Er wandte sich ab, schritt voran und führte seine nunmehr siebenköpfige Meute über ein schmales Stück Strand zu den zerklüfteten Felsen, die dem an der ganzen östlichen Küste entlang verlaufenden dichten Grüngürtel vorgelagert waren.
Die Männer verschwanden in einem schmalen Einschnitt, der als Hohlweg allmählich aufwärts in das Gebiet der schwarzen, morastigen Erde führte, auf der Baumfarne, Schlinggewächse, blütenbildende Büsche und Bromeliazeen wucherten.
Sie schlugen sich mit ihren Entermessern einen Weg und suchten nach einem höher gelegenen Punkt, von dem aus sie die Ankunft der Schiffbrüchigen der „Novara“ beobachten konnten.
Die Schleier der Abenddämmerung fielen rasch. Als das Beiboot der Galeone die Landzunge erreichte, herrschte fast kein Büchsenlicht mehr. Die Felsen und der Dschungel wurden für Sampiero und seine Begleiter zu einem grauen, unwirklichen Gebilde, das sich einer Mauer gleich vor ihnen erhob.
Sampiero und Venturi waren im Wasser geblieben, als die anderen Männer an Bord der Jolle geklettert waren. Sie hatten das Boot, das jetzt erheblichen Tiefgang hatte, mit größter Behutsamkeit an den Riffbarrieren vorbeigeführt. Erst dann, im Wasser zwischen den Korallenfelsen und dem Ufer, waren auch sie an Bord geklettert.
Sechzehn Männer und drei Frauen waren schon fast zu viele Leute für ein Boot dieser Größe. Es lag beinah bis zum Dollbord im Wasser und bewegte sich nur noch träge wie eine dicke Schildkröte voran. Doch gelang es den Männern, ihr Fahrzeug sicher bis ans Land zu bringen.
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