„La Menthe!“ rief der Seewolf in die nun eintretende kurze Feuerpause. „Gib es auf, es hat keinen Zweck! Streich die Flagge! Wir wollen hier kein Massaker veranstalten! Wir gewähren dir freien Abzug, wenn du aufhörst, den wilden Mann zu spielen!“
„Zum Teufel mit dir, Killigrew, du Bastard!“ tönte es von den Felsblökken zurück. „Versuch doch, mich zu holen! Du wirst schon sehen, was du davon hast!“
„Daran ist mir nicht gelegen!“
„Willst du wieder kneifen?“
„Laß uns einen Waffenstillstand schließen! Das ist nur in deinem Interesse!“
Regis La Menthe gab keine Erwiderung. Er wandte sich hinter dem großen Stein, der ihm und Duplessis als Deckung diente, an seinen bulligen Stellvertreter und raunte ihm zu: „Zünde die Lunte dieser Flasche an, Duplessis. Wir setzen sie diesen Dreckskerlen genau zwischen die Beine, und du wirst staunen, was für eine Wirkung das hat.“
Er hielt ihm die eine Flaschenbombe hin, die er von seinem Gurt losgebunden hatte. Duplessis kramte schleunigst den Feuerstein und das Stückchen Stahl aus seiner Hosentasche und schlug sie mit geübter Bewegung aneinander.
Funken sprühten und sprangen auf die Lunte der Flasche über, doch beim ersten Versuch wollte es nicht gelingen, die Zündschnur in Brand zu setzen.
„La Menthe!“ schrie der Seewolf noch einmal.
„Verrecke“, zischte der Glatzkopf voll Haß. „Ich weiß jetzt, wo du dich versteckst, Bastard, und werde dich als ersten ins Jenseits befördern.“
Noch einmal hieb Duplessis Stein und Stahl gegeneinander, und diesmal hatte er Erfolg. Knisternd begann die Lunte zu glimmen.
La Menthe betrachtete mit einem eigenartigen Ausdruck der Faszination die glühende Zündschnur und versuchte auszurechnen, wie lange es dauern mochte, bis sich die Glut durch den Korken ins Innere der Flasche gefressen hatte. Und wie rasch ging dann die Pulverladung hoch?
Er gelangte zu dem Schluß, daß er die Flasche schleudern mußte, wenn die Lunte bis knapp über dem Korken abgebrannt war. Wie gebannt blickte er auf das knisternde, funkenverstreuende Ende und wog die Flasche in der Hand, als müsse er ihr Gewicht schätzen.
Schnell hatte sich die Zündschnur um gut ein Drittel ihrer Gesamtlänge verkürzt.
„Jetzt“, flüsterte La Menthe. „Jetzt ist es soweit.“
Hasard wollte seinen Appell an den Franzosen wiederholen, obwohl er ahnte, daß dies wenig Zweck haben würde. Er kam aber nicht mehr dazu, dem Gegner auch nur ein Wort zuzurufen. Plötzlich flog ein dunkler Gegenstand hinter den Quadern hoch, der von einem glimmenden roten Pünktchen begleitet wurde – und alle Männer der „Isabella“ wußten nur zu gut, was das zu bedeuten hatte.
„Weg!“ rief Hasard Big Old Shane zu. „Zur Seite – das gilt uns!“
Sie rollten sich seitlich ins struppige Buschwerk, der Seewolf nach links und der graubärtige Riese nach rechts. Sie hörten die Flasche dumpf zu Boden poltern, blieben liegen und deckten ihre Köpfe schützend mit den Händen ab.
Die Flasche kollerte noch ein Stück den Hang hinunter, dann flog sie mit einem ohrenbetäubenden Knall auseinander. Ein Feuerball stand für einen Augenblick wie eine Faust in der Nacht, zerfaserte dann in alle Himmelsrichtungen, verlor sich und wich einer weißlichen Wolke Pulverrauch, die über den Büschen schwebte.
Hasard und Shane waren unversehrt. Wütend legten sie mit dem Drehling und dem Stutzen an und sandten eine Salve zum Plateau hinauf. Old O’Flynn, Ferris, der Profos und die anderen feuerten ebenfalls – mit dem Ergebnis, daß einer der Franzosen, der allzu verwegen seinen Kopf hinter den Felsbrocken hervorgestreckt hatte, zusammenzuckte und mit einem Wehlaut zurücksank.
„Das wirst du mir büßen, Killigrew!“ brüllte La Menthe.
Hasard ging nicht mehr darauf ein, er wußte, daß es keinen Zweck hatte.
„Ferris!“ rief er. „Batuti!“
Ferris Tucker war längst mit seinen Höllenflaschen bereit, und Batuti hatte einige der pulvergefüllten Brandpfeile, die er im Köcher mitgebracht hatte, neben sich gelegt. Bill, der Moses, assistierte ihm und zündete den ersten ölgetränkten Lappen an der Spitze des einen Pfeiles mit dem ausgehöhlten Schaft an, während der Schiffszimmermann der „Isabella“ seinerseits die Lunte einer Höllenflasche zum Glimmen brachte. Er verstand sich besser darauf als La Menthe, schließlich war er der Erfinder dieser merkwürdigen, aber sehr wirkungsvollen Waffe.
Beide – Ferris und der Gambia-Mann – wußten, daß sie Hasards Zuruf als Befehl zu werten hatten, ihre Spezialwaffen einzusetzen. So wirbelte eine Höllenflasche durch die Dunkelheit und stach ein lodernder Pfeil himmelan, ehe La Menthe die zweite der vier erbeuteten Flaschen einsetzen konnte.
Ferris’ Flasche segelte zwischen die Quader und zerplatzte in einer dröhnenden Detonation, bevor sie auf dem harten Untergrund zerspringen konnte. Batutis Pfeil stach von oben nahezu senkrecht auf das Plateau und explodierte ebenfalls.
La Menthe brachte sich durch einen Satz zurück und rettete dadurch sein Leben. Duplessis hingegen verhielt sich weniger geistesgegenwärtig. Er hatte mit dem Feuerstein und dem Stahl unbedingt die Lunte der zweiten Höllenflasche zünden wollen. Derart vertieft war er in sein Werk gewesen, daß er zu keiner instinktiven Reaktion mehr gelangte.
Sein schwerer Körper wurde durch die Luft gewirbelt, als habe ihn eine unsichtbare Gigantenhand hochgehoben. Etwa fünf Yards weit flog Duplessis, dann krachte er zu Boden und blieb liegen.
Die beiden anderen Franzosen waren durch die Explosion des Pulverpfeils verletzt. Stöhnend erhoben sie sich aus ihrer Deckung. Sie dachten jetzt nicht mehr an Widerstand, sondern nur noch an Flucht, und trafen keine Anstalten mehr, auf die Seewölfe zu schießen.
Für Hasard und seine Männer boten sie ein recht deutliches Ziel in der Nacht, doch der Seewolf gab den Befehl, keinen Schuß auf sie abzugeben.
La Menthe starrte wie in Trance auf die Flaschenbombe in seiner Hand. Die Lunte brannte doch, Duplessis hatte es noch geschafft, sie zum Glühen zu bringen – das merkte der Glatzkopf erst jetzt. Entsetzt und verwirrt zugleich warf er sie fort, aber nicht weit genug, um seinen Feinden damit zuzusetzen.
Die Flasche fiel auf das Plateau, zerbrach jedoch nicht, denn sie war aus sehr starkem, dickwandigem Glas gefertigt. Sie rollte auf die beiden verletzten Franzosen zu, und ihre Lunte brannte weiter.
„He!“ schrie La Menthe. „Paßt auf! Lauft weg! Die Flasche!“
Blutüberströmt taumelten die Männer auf ihren Anführer zu. Sie waren hart angeschlagen und schienen kaum noch etwas von ihrer Umgebung wahrzunehmen. Der eine sank plötzlich auf die Knie. Der andere blieb unschlüssig stehen und gab einen röchelnden Laut von sich.
Die Flasche rollte dem ersten gegen das linke Knie, dann ging sie hoch.
Erschüttert verfolgten Hasard und seine Männer die Wirkung dieser vierten Explosion. Der Donnerhall verebbte. Sie richteten sich auf, um das Plateau zu stürmen und La Menthe, den einzigen Überlebenden, zu schnappen, doch jetzt konnten sie seine Schritte vernehmen, die davonhasteten.
La Menthe ergriff die Flucht. Er wollte zurück ins Tal laufen, sein Anwesen erreichen und sich dort, innerhalb der weißen Mauern, verbarrikadieren.
Hasard stürmte den Hang hinauf. Er wollte La Menthe, der das Leben seiner Gefährten so leichtfertig aufs Spiel gesetzt und seine Leute buchstäblich verheizt hatte, nicht so billig davonkommen lassen. Er wollte ihn um jeden Preis fassen.
Big Old Shane zielte mit dem Revolverstutzen in den Nachthimmel und gab drei Schüsse ab. Das war das Zeichen für Ben Brighton, daß er mit der „Isabella“ nicht ankerauf zu gehen und in den Kampf einzugreifen brauchte.
Ben hatte beim Dröhnen der ersten Flaschenbomben-Explosion den Anker lichten lassen, doch jetzt atmete er auf und rief Smoky, Blacky, Al Conroy und Will Thorne, die auf der Back am Gangspill standen, zu: „Fallen Anker, wir werden offenbar doch nicht gebraucht!“
Читать дальше