La Menthes Männer hatten die Anweisung, auf jede im Gebüsch auftauchende Gestalt sofort zu schießen, ganz gleich, ob es sich um die Männer der „Isabella“ oder um die entflohenen Senegalesen handelte.
Daß auch die zwei Sklaven die einmalige Gelegenheit zur Flucht ergriffen hatten, brachte La Menthes Wut zum Überschäumen. Er hatte immer damit gerechnet, daß der eine oder andere Schwarze eines Tages versuchen würde, sich gegen ihn aufzulehnen, und deshalb hatte er sie stets streng unter Bewachung gehalten. Doch jetzt, da es tatsächlich geschehen war, war er vor Zorn außer sich. Nur eine Strafe konnte es für die „dreckigen schwarzen Hunde“ geben, wie er sie nannte: den Tod.
Er schloß zu Duplessis auf und stieg mit ihm zusammen den Hang hoch.
„Wir kriegen sie“, sagte er schwer atmend. „Spätestens auf dem Plateau haben wir sie vor uns wie auf einem Präsentierteller. Dorthin flüchten sie, wohin sollten sie sonst laufen, ohne sich zu verirren?“
„Wir töten sie mit ihren eigenen Waffen“, sagte der bullige Mann.
„Ja, und vielleicht jage ich sie mit einer dieser Flaschenbomben in die Luft, die ich mir an den Gürtel gebunden habe. Hast du Feuerstein und Feuerstahl dabei, Duplessis?“
„Ja.“
„Sehr gut“, sagte der Glatzkopf. „Eine hübsche, laute Explosion hört sich gut an und wird auch die anderen Hurensöhne von Bord der Galeone anlocken. Sobald sie an Land sind, blasen wir auch ihnen das Lebenslicht aus.“
Seine Rechnung mußte aufgehen, nur in einem Punkt hatte er sich getäuscht: die anderen „Hurensöhne“ befanden sich bereits auf der Insel und schickten sich an, unter der Führung von Old O’Flynn und Ferris Tucker, dem rothaarigen Schiffszimmermann der „Isabella“, das Aussichtsplateau zu stürmen.
Old Donegal Daniel O’Flynn hatte ganz richtig gehandelt, wenn seine Entscheidung auch nicht mit den Befehlen des Seewolfes konform ging. Statt die Nacht abzuwarten, hatte er Matt Davies und Bob Grey zurück zur Ankerbucht der „Isabella“ geschickt, damit sie Ben Brighton und die anderen alarmierten und entsprechend unterrichteten.
Ben Brighton hatte daraufhin auch nicht zu handeln gezaudert. Er hatte Verstärkung an Land geschickt: Ferris Tucker. Bob, Matt, Batuti, den schwarzen Herkules aus Gambia, Stenmark und Jeff Bowie. Diese sechs waren im Trab zu Old O’Flynn, Luke, Sam und Bill geeilt, dann hatte sich der ganze zehnköpfige Trupp zu den Bergen nördlich der Bucht in Bewegung gesetzt.
An Bord der „Isabella“ befanden sich somit nur noch Ben Brighton, der Kutscher, Smoky, Blacky, Pete Ballie, Gary Andrews, Al Conroy, Will Thorne und die Söhne des Seewolfs – acht Männer und zwei Jungen also, die aber doch immer noch eine zahlenmäßig ausreichende Crew abgaben für den Fall, daß die „Isabella“ auslaufen und in einen möglichen Kampf eingreifen mußte.
Was immer auf dem Plateau geschehen sein mochte, Ben hatte sowieso gefechtsklar machen lassen und beobachtete die Berge im Norden, von denen aus Old O’Flynn und Ferris Tucker ein Zeichen geben wollten, falls sie Unterstützung durch die Schiffsgeschütze brauchten.
Mit wem Hasard, Shane, Ed und Dan auf dem Plateau zusammengetroffen waren und was sich dort ereignet hatte, war für den zehnköpfigen Einsatztrupp immer noch ein Rätsel, als die Felsenplattform nun erreicht war. Sie blickten sich nach allen Seiten um, entdeckten aber keinen Menschen. Der Seewolf und die anderen Kameraden waren verschwunden.
„Verdammt und zugenäht“, sagte der alte O’Flynn. „Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu. Hölle, wenn es bloß nicht schon so dunkel wäre.“
„Sprich nicht so laut“, zischte der rothaarige Riese. „Es könnten Hekkenschützen in den Felsen sitzen.“
„Wenn, dann hätten sie schon längst auf uns gefeuert“, sagte der Alte knurrig. „Beim Henker, wo sollen wir jetzt nach unseren Männern suchen? Und warum gibt Hasard uns kein Zeichen?“
„Hier bin ich!“ ertönte plötzlich von rechts her ein schwacher Ruf, der ihre Köpfe herumrucken ließ. „Achtung, sie sind hinter uns her!“
„In Deckung!“ raunte Old O’Flynn seinen Begleitern zu. „Hinlegen, ehe sie uns einheizen!“ Er ging selbst als erster zu Boden, hielt angestrengt Ausschau in die Richtung, aus der die Stimme des Seewolfs ertönt war, und sagte: „Kannst du uns überhaupt sehen, Sir?“
„Ja, soweit alles in Ordnung, Donegal. Aber die Hunde sind uns dicht auf den Fersen.“
„Denen bereiten wir eine nette Begrüßung!“ stieß Ferris Tucker grimmig aus. „Was sind denn das für Bastarde und Höllenhunde, daß sie sich einbilden, sie könnten sich ernsthaft mit uns anlegen?“
Hasards Gestalt erschien in der Dunkelheit. Hinter ihm tauchten die Konturen von Carberry, Shane und Dan O’Flynn aus dem letzten verblassenden Schimmer der Dämmerung auf.
Hasard ließ sich neben Old O’Flynn und Ferris nieder und sagte: „Ein paar halbverrückte Franzosen, die die Insel unter ihrer Fuchtel haben. Wir dürfen sie aber nicht unterschätzen. Sie haben unsere Waffen und auch die vier Höllenflaschen.“
„Dreck!“ stieß Ferris hervor. „Wie die zu handhaben sind, haben sie bestimmt schon begriffen.“
„Damit ist zu rechnen“, meinte Carberry. „Was ist, Sir, bleiben wir hier liegen? Das ist ein schlechter Platz für einen Empfang dieser Hurensöhne, wir sollten uns lieber weiter unten in die Büsche schlagen.“
Hasard gab das Zeichen zum langsamen Rückzug. Die Männer schoben sich vorsichtig den Hang hinunter, vierzehn Gestalten, die jetzt keinen Laut mehr von sich gaben und nur auf das Erscheinen des Gegners warteten.
Hasard und Shane schlugen einen Bogen nach links, um das Plateau gegebenenfalls von Südwesten her mit Feuer bestreichen zu können. Ferris und der Profos hatten sich nach rechts gewandt. Alle anderen duckten sich jetzt in die Büsche am südlichen Hang.
Der Seewolf hatte den Radschloß-Drehling in den Händen. Shane hatte den Schnapphahn-Revolverstutzen, der ebenfalls zu den besten Waffen gehörte, die es an Bord der „Isabella“ gab. Ferris hatte beide Mehrschüsser mitgebracht, wie er es auch nicht versäumt hatte, noch einige seiner selbstgebauten Flaschenbomben mitzunehmen.
Stenmark brauchte ein bißchen zuviel Zeit, um sich in das Gesträuch zu legen, er war jedenfalls der letzte, der sich zu Boden sinken ließ und den Kopf einzog.
Genau diese Bewegung nahm Regis La Menthe, der in diesem Augenblick als erster der Verfolger am Rand des Plateaus erschien, noch wahr. Sofort brachte er die Muskete, die er sich von Duplessis hatte aushändigen lassen, in Anschlag und drückte auf die Gestalt des Schweden ab.
Der Mündungsblitz stach als gelber Schlitz in die Nacht. Stenmark warf sich platt auf den Bauch und fluchte, aber er konnte noch von Glück sprechen, denn die Kugel sirrte knapp über seinen Rücken weg und verlor sich irgendwo weiter abwärts in der Nacht.
Neben La Menthe erschienen Duplessis und die drei anderen Franzosen, aber ehe auch sie schießen konnten, eröffnete Hasard mit dem Drehling das Gegenfeuer. Carberry und Ferris Tucker ließen von der gegenüberliegenden Seite des Hanges her ihre Musketen sprechen, und dann griffen auch Old O’Flynn und die anderen ein.
Ein Stakkato von Schüssen hallte durch die Nacht, das Echo kehrte rollend von den Bergwänden zurück.
„Zurück!“ schrie La Menthe. „Wir sind in eine Falle gegangen! Zurück!“
Links neben ihm brach einer seiner Männer mit einem röchelnden Laut zusammen. Er kippte vornüber und rollte den Hang hinunter, zu Matt Davies und Batuti ins Gebüsch, die dem Leichnam auswichen.
La Menthe, Duplessis und die beiden anderen Franzosen zogen sich schleunigst hinter ein paar Felsenquader zurück. Zwei Pistolenschüsse knallten, aber die Kugeln gingen wirkungslos ins Dunkel.
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