Auch Blacky schlug sich, so gut er konnte, und er dankte in diesem Moment dem Himmel, daß seine linke, nicht die rechte Schulter verwundet war, so daß er mit rechts immer noch einen Säbel führen konnte.
Surkut hatte sein Kaoba, das lange Häuptlingsmesser, gezogen und hieb damit wild auf den Profos ein. Carberry hätte sich den Kerl ohne viel Mühe vom Leib halten können, wenn nicht die anderen Gegner gewesen wären, die von allen Seiten auf ihn und seine Kameraden eindrangen.
Die Masse der braunen Leiber drohte die wenigen Seewölfe zu erdrücken. Immer dichter rückten sie zusammen, und bald war die Kuhlgräting die letzte rettende Insel im Meer des Grauens.
Da nutzte es auch nichts mehr, daß Arwenack von den Fockwanten aus Kokosnußschalen auf die Köpfe der Feinde schleuderte. Jeder Versuch eines hilfreichen Einsatzes von außen schien von vornherein zum Scheitern verurteilt zu sein, und es war nur noch eine Frage weniger Augenblicke, bis der Widerstand der elf von der „Isabella“ kläglich zusammenbrach.
War das das Ende?
Ferris Tucker schleuderte noch zwei Flaschenbomben mitten zwischen die Krieger der Nordinsel, die jetzt verwirrt und unschlüssig geworden waren, und damit war der Kampf auf den Hügeln im wesentlichen entschieden. Der Boden bebte, die Explosionen rissen kleine Krater und hoben die Leiber der Gegner wie Strohpuppen in den Mittagshimmel – Boragos Männer glaubten, daß böse Geister eingegriffen und sich gegen sie gewendet hätten.
Borago wollte versuchen, zur Bucht zu gelangen, um zu dem großen Schiff zu schwimmen, das augenscheinlich von Surkut und dessen Männern gekapert worden war. Siegesgeheul tönte von der Bucht zu den Anhöhen hoch.
Aber die weißen Männer unter der Leitung des großen Schwarzhaarigen und die Krieger des Häuptlings Tubuago versperrten ihm den Weg. Kurz zuvor war Borago wie durch ein Wunder dem Pfeil entgangen, den Tubuago auf ihn abgeschossen hatte. Seine rechte Schulter brannte wie Feuer, ihm war elend zumute, seine Verwegenheit wich einem eher jämmerlichen Gefühl. Die Wirkung der Drogen ließ nach, und in Boragos Geist nahm die Gewißheit Gestalt an, daß er die Feuerrohre der „Viracocha“ unterschätzt hatte – und nicht nur die. Er hatte sich auch nicht ausgemalt, daß die Weißen und die Indios der Ilha de Maracá bei einem derart massiven Angriff so erbitterten Widerstand leisten würden.
Ja, das Blatt hatte sich gewendet, und jetzt sah es bedrohlich aus für Borago und seine letzten zehn, fünfzehn Gefährten. Wenn sie nicht sterben wollten, dann gab es nur noch eine Möglichkeit: Sie mußten sich im Busch verstecken und trachten, ihre Kanus und Piraguas an der nördlichen Flußmündung zu erreichen.
Borago wandte sich nach Westen und lief davon. Als seine Krieger bemerkten, daß er aufgab, ließen auch sie von ihren Gegnern ab und schlossen sich ihm an.
„Sie hauen ab!“ schrie Smoky. „Ho, wir haben gewonnen, Freunde!“
„Sir!“ rief Ferris Tucker. „Soll ich ihnen noch eine Höllenflasche als Abschiedsgruß nachschicken?“
Der Seewolf schüttelte den Kopf. „Nein. Spar sie dir für das auf, was jetzt folgt. Los, wir müssen schleunigst zurück zur ‚Isabella‘ pullen. Verdammt, hört ihr, wie diese Teufel johlen?“
Ja, sie alle vernahmen es jetzt, und der Triumph über den Erfolg auf den Hügeln wich der Besorgnis um das Schicksal der Kameraden an Bord der Galeone.
Tubuago sah die Bestürzung in den Mienen seiner weißen Freunde, und er faßte sehr schnell seinen Entschluß.
„Zwanzig Männer folgen Boragos Bande!“ schrie er. „Paßt auf, daß sie nicht ins Schabono gelangen! Ihr anderen – mir nach!“
Er lief hinter Hasard, Ferris, Smoky, Pete, Dan und den anderen her, die jetzt schon unten in der Senke waren und gerade den nächsten Hang hinaufstürmten.
Der Seewolf langte als erster bei den Jollen an und sah Big Old Shane, der beide Boote zu Wasser gebracht hatte und neben Luke Morgan auf der einen Ducht kauerte. Luke lag reglos in seinen Armen. Wieder spürte der Seewolf die eiskalte Hand, die nach seinem Herzen griff, und in seinem Hals war ein dicker, pelziger Klumpen.
Er kletterte zu Shane ins Boot und sagte: „Was ist, Shane? Ist er – tot?“
Shane schüttelte den Kopf. „Nein. Ich habe ihm den Pfeil ’rausziehen können, sehr tief steckte er nicht. Irgendwie hat unser alter Morgan, dieser Hitzkopf, mächtiges Glück gehabt, denn eine seiner Rippen scheint die Pfeilspitze aufgehalten zu haben. Das weiß ich aber noch nicht genau, Sir, das kann uns bloß der Kutscher bestätigen.“
„Los!“ rief Hasard. „Leg Luke hierher, zu mir, vor die Heckducht. Wenn wir uns nicht höllisch beeilen, sehen wir weden den Kutscher noch die anderen lebend wieder!“
Ferris, Smoky, Pete, Dan, Batuti, Bob, Stenmark, Will, Matt und Sam waren jetzt auch eingetroffen, warteten ins seichte Wasser und schwangen sich in die Jollen. Sofort packten sie die Riemen und pullten an.
Tubuago und seine Krieger waren ebenfalls heran. In Ermangelung ihrer Kanus, die an einem ganz anderen Platz der Insel lagen, gingen sie ins Wasser, klemmten sich ihre Messer zwischen die Zähne und begannen zu schwimmen, erstaunlich gewandt und schnell und ohne größeren Kraftaufwand. Wie Fische glitten sie durchs Wasser und folgten den Jollen, die Kurs auf die „Isabella“ nahmen.
„Ferris“, sagte der Seewolf. „Halte dich mit den Flaschen bereit. Lieber jage ich unser eigenes Schiff in die Luft, als daß ich es mir von diesen Hunden wegnehmen lasse. Lieber versenke ich den verdammten Kahn, als daß ich unsere Leute abschlachten lasse.“
Ben Brighton, Carberry, der Kutscher, Blacky, Gary, Al, Old O’Flynn, Jeff, Bill und die Zwillinge verteidigten die Kuhlgräting wie eine Festung. Ringsum waren die braunen Leiber, waren quirlige Bewegung und ohrenbetäubendes Geschrei, und wie Zähne hackten die Messer der Indios nach den Körpern der Gegner.
„Wir können uns nicht mehr halten!“ brüllte Carberry. „Es gibt nur noch eine Möglichkeit, Ben!“
„Ja!“ schrie Ben zurück. „Einer von uns muß versuchen, sich bis zur Pulverkammer durchzukämpfen. Wir sprengen uns mit dem Schiff in die Luft. Wir gehen alle vor die Hunde, aber wenigstens nehmen wir diese Dreckskerle mit auf die Höllenreise!“
Old O’Flynn brach plötzlich mit einem Wehlaut zusammen. Ein Messerstich hatte ihn getroffen. Er preßte die Hand gegen die blutende Brust.
Philip und Hasard packten seine Arme und zogen ihn ein Stück weiter zur Mitte der Grätin. Besorgt beugten sie sich über ihn, aber er grinste sie schief an und sagte: „Na, ihr Rübenschweinchen? Habt ihr noch nie einen alten Mann bluten sehen?“
„Ihr gesengten Säue, ihr Teufelsbraten, ihr Hurensöhne!“ schrie der Profos die Indios an. „Euch haue ich reihenweise die Schädel ein, wenn ihr nicht das Deck räumt!“
Aber selbst er, der wie ein Berserker kämpfte, mußte vor dem Ansturm der Leiber immer weiter zurückweichen.
„Sorgt für Deckung!“ rief Ben. „Ich sehe jetzt zu, daß ich die Pulverkammer erreiche!“ Er wartete nicht länger, stieß sich von der Gräting ab, jumpte über die Köpfe und Rücken der Wilden und landete auf der Nagelbank. Hier ergriff er ein Fall, hangelte daran hoch und versuchte, die Fockwanten der Backbordseite zu erreichen, ehe Surkut und seine Kerle, die überall auf dem Hauptdeck zu sein schienen, ihn mit ihren Pfeilen herunterschießen konnten.
Carberry, Blacky, Gary, Al und die anderen mit Ausnahme von Old O’Flynn brüllten wie verrückt und starteten eine heftige, verzweifelte Attacke auf die Indios, die sie wenigstens so lange ablenkte, wie Ben brauchte, um in die Webeleinen der Fockwanten zu gelangen. Er kletterte weiter nach oben. Ein paar Pfeile sirrten ihm nach, doch sie trafen ihn nicht.
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