Die Soldaten, die zur Überwachung des Vorgangs aufmarschiert waren, bildeten eine undurchdringliche Mauer aus schimmernden Helmen, Brustpanzern, Säbeln und Musketen und blankgeputzten Lederstiefeln.
Die Ausweglosigkeit der Gefangenen unterstrich dagegen auch ihr Äußeres. Nur die Beinkleider hatte man ihnen gelassen, abgeschnitten jedoch bis zu den Knien; denn ihre Fußgelenke wurden gebraucht für roh geschmiedetes Eisen, ebenso wie die Handgelenke. Schutzlos waren ihre nackten Oberkörper den sengenden Sonnenstrahlen ausgesetzt.
Gerhard von Echten war der letzte in der Reihe der zwanzig Männer, die vor den Amboß hinzutreten hatten. Das Haupt hoch erhoben, streckte er dem Schmied seine Handgelenke entgegen. Der Gehilfe, der eine dunkle Lederschürze trug wie sein Meister, stieß dem Deutschen zwei noch offene Eisenreifen über die Hände bis zu den Gelenken. Von Echten verzog keine Miene, als der schartige Stahl blutige Furchen in seine Haut riß. An jede Handschelle war eine schwere Kette geschmiedet.
„Venga, venga!“ knurrte der Schmied, ein graugesichtiger alter Mann mit gebeugtem Rücken. „Komm, komm!“ Mit einer ungeduldigen Geste bedeutete er dem Gefangenen, die eiserne Manschette auf die Kante des Ambosses zu legen.
Der Gehilfe steckte die Nietbolzen durch die Löcher in den Enden der Eisenreifen, und der Schmied ließ den schweren Hammer niedersausen. Auf den Punkt genau traf er die Bolzen, deren Enden unter der Wucht der Schläge platt gedrückt wurden und die Handschellen wie für alle Ewigkeit verschlossen. Als die gleiche Prozedur mit den Fußgelenken wiederholt wurde, erhielt von Echten die gnädige Erlaubnis, sich auf einen in den Boden gerammten Pfahl zu stützen.
Der hochgewachsene Deutsche wollte dem nun fälligen Fußtritt des Schmiedegehilfen ausweichen und sich freiwillig zu seinen Leidensgenossen begeben. Eine barsche Stimme stoppte ihn.
„Einen Moment noch, Señor! Wenn Sie die Güte haben wollen, mir Ihr Gehör zu schenken …“ Hohn klang aus den Worten.
Langsam drehte sich Gerhard von Echten um. Er war ein großer blonder Mann mit breiten Schultern. Ein heller Vollbart umrahmte sein gebräuntes Gesicht, die Muskeln seines Oberkörpers zeichneten sich auch in entspanntem Zustand wie stahlharte Stränge ab.
„Treten Sie ein wenig näher, Señor“, sagte der Kommandant der provisorischen Festungsanlage von Macuro mit falschem Lächeln.
Von Echtens Ketten schleiften klirrend über die Erde, während er der Aufforderung Folge leistete. Indiosklaven hatten mörderische Fronarbeit verrichtet, als der trockene Sandboden für die Festung herangeschafft worden war. Gerhard von Echten war nicht zum ersten Male in Venezuela. Er kannte die Bedingungen, unter denen die Spanier hier ihren Willen durchsetzten. Hatten sie es sich in den Kopf gesetzt, an der unwegsamen und sumpfigen Mangrovenküste ein Fort zu errichten, dann geschah es – und wenn sich die Eingeborenen dabei zu Tode schufteten.
Capitán Ramón Marcelo Gutiérrez musterte den Gefangenen mit scheinbar freundlichem Interesse, wobei er die Augenbrauen hochzog.
„Ich hoffe, ihr werdet eurem Ruf alle Ehre machen“, sagte er nach einer Weile.
„Ich verstehe nicht“, erwiderte von Echten.
„Nun, euch Deutschen sagt man nach, daß ihr besonders schlau und geschickt seid. Alles, was ihr anpackt, wird perfekt, heißt es.“ Gutiérrez grinste und zupfte an den Enden seines schwarzen Spitzbarts. Der Festungskommandant war untersetzt, der breite Ledergurt unter seinem silberbeschlagenen Wams umspannte einen unübersehbaren Bauchansatz. Er hatte sich auf einem Schemel niedergelassen. Die drei Offiziere, die hinter ihm standen, waren von schlanker Statur. Gutiérrez schien der einzige in Macuro zu sein, der sich ungehemmter Freßlust hingeben durfte.
Gerhard von Echten erwiderte nichts auf die Bemerkung des Spaniers. Er wußte, daß hinterhältige Gedanken im Spiel waren.
„Es wird sich zeigen“, fuhr der Capitán gedehnt fort, „ob ihr euch auch in meinen Diensten bewähren werdet. Gute Ruderer sind hierzulande leider Gottes eine Seltenheit. Das verdammte Indiopack braucht Ewigkeiten, bis es etwas kapiert. Da helfen nur kräftige Schläge, um die Hirntätigkeit etwas zu beschleunigen.“ Gutiérrez lachte glucksend, wobei sein Bauch in hüpfende Bewegung geriet. Die drei Offiziere lachten pflichtschuldig mit. Es folgte eine herrische Handbewegung ihres Vorgesetzten, und Ruhe kehrte ein. Der Capitán beugte sich vor, streckte den Arm aus und zeigte mit dem Finger auf den Deutschen. „Sie sind der Anführer Ihrer Truppe von Eindringlingen, Señor. Folglich werden Sie dafür verantwortlich sein, wenn es einen Fall von Ungehorsam oder gar Rebellion geben sollte. Erledigen Sie Ihren Dienst zur Zufriedenheit, und wir werden gut miteinander auskommen. Ich bin großherzig und werde sogar vergessen, daß einer von euch entwischt ist. Das will ich euch nicht anlasten. Also seid gefälligst dankbar und reizt mich nicht!“
„Mi Capitán“, sagte von Echten beherrscht, „ich weise darauf hin, daß meine Männer und ich aufgrund eines geltenden Vertrages an der Küste von Venezuela gelandet sind. Dieser Vertrag berechtigt meine Auftraggeber, in diesem Land nach Edelmetall forschen zu lassen. Wir sind also keineswegs Eindringlinge, wie Sie es darstellen.“ Von Echtens Spanischkenntnisse stammten aus der Zeit, in der er für hansische Kaufleute zur See gefahren war, bevor er in die Dienste des Augsburger Bankhauses getreten war.
Gutiérrez hatte geduldig zugehört, mehrmals verständnisvoll genickt und sah den Deutschen nun mit bedauernder Miene an.
„Ich weiß, Señor, daß Sie in gutem Glauben gehandelt haben, und es tut mir aufrichtig leid, daß Sie Ihre Reise in die Neue Welt unter völlig falschen Voraussetzungen angetreten haben. Dieser Vertrag, von dem Sie reden – wissen Sie, wann der abgeschlossen wurde?“
Von Echten preßte die Lippen aufeinander. Natürlich wußte er es. Im Jahr 1528 hatte Kaiser Karl V. dem Augsburger Bankhaus Welser das Land Venezuela zur Ausbeutung von Edelmetallvorkommen überlassen. Karl V. hatte damit einen Teil eines Darlehens beglichen, das er von den Bankiers erhalten hatte. Mehr als sechs Jahrzehnte waren seitdem vergangen.
Die Spanier, die ihren Einfluß in Venezuela durch immer neue Ansiedlungen ausdehnten, zogen es jetzt vor, jenen Vertrag für Geschichte zu halten. Für sie war es nicht länger ein gültiges Fundament, an das sie sich bei ihren Begegnungen mit deutschen Expeditionen zu halten hatten. Noch bei seiner letzten Venezuela-Reise vor fünf Jahren hatte Gerhard von Echten keine Zusammenstöße mit spanischen Truppen erlebt.
Wie entschlossen die Dons jetzt aber versuchten, das Land unter ihre Kontrolle zu bringen, war von Echten und seinen Gefährten klargeworden, als sie nach zwei Tagesmärschen auf venezolanischem Boden den Schergen des Capitán Gutiérrez in die Hände gefallen waren.
Gutiérrez preßte die Fingerspitzen gegeneinander und blickte den hochgewachsenen Deutschen mitleidig an.
„Die Zeiten haben sich geändert, Señor von Echten. Und ein Vertrag ist nur so lange gut, wie die Voraussetzungen dafür gelten. Aber in diesem Land vollzieht sich mittlerweile ein gewaltiger Umbruch. Wir, die wir im Dienst der spanischen Krone stehen, sorgen hier für einen Aufschwung, wie es ihn nie zuvor gegeben hat. Sollen wir bei dieser aufopfernden Tätigkeit etwa Verständnis dafür aufbringen, daß andere auftauchen, die nichts weiter im Sinn haben, als die Bodenschätze Venezuelas zu plündern und für die Menschen, die hier leben, eine Wüste zurückzulassen? Nein, mein Lieber, da spielen wir nicht länger mit. Denn wir tragen letzten Endes die Verantwortung.“ Gutiérrez räusperte sich. „Falls Sie noch irgendwelche Fragen haben, bin ich gern bereit, sie jetzt zu beantworten. Später wird es keine Gespräche mehr zwischen uns geben.“
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