„Ich sagte ‚fast alles‘, junger Herr. Aber Wunderlampen und fliegende Teppiche hat selbst Ibrahim nicht anzubieten. Aber ihr könnt Messer, reichverzierte Dolche, Pistolen, Lampenöl, Tonkrüge, und was der Dinge mehr sind, sehr billig erwerben.“
Der Sarazene blieb hartnäckig. Er wollte den Seewölfen mit aller Gewalt etwas verkaufen.
Was, fragte sich Hasard, wenn der Kerl nun wirklich ein ganz harmloser Händler war, der sein Dasein durch den Verkauf von Waren an Seeleute fristete? Mußte man deshalb immer gleich das allerschlimmste annehmen?
Ja, verdammt, das mußte man, die Erfahrung hatte das überreichlich gelehrt und immer wieder bewiesen, und er ärgerte sich insgeheim, daß er diesen Ali Baba, diesen Gaukler Aladin, oder wie immer der Kerl heißen mochte, schon als harmlos einzustufen begann.
Ungerührt und mit orientalischer Hartnäckigkeit pries er seine Waren weiter an. Dann ließ er die Feluke so drehen, daß der Blick auf einen achteren Raum fiel, der kostbar ausgestattet war. Hasards Kapitänskammer nahm sich dagegen fast schäbig aus.
Boden und Wände waren mit Teppichen belegt und behängt. Von der Decke baumelten Öllampen, über den Teppichen waren Krummschwerter und Dolche angebracht. Da gab es Wasserpfeifen, Tonkrüge, kostbare Stoffe, Silberwaren und arabische Teetische aus gehämmertem Messing.
Einer der Kerle, der die türkischen Bundhosen trug, zauberte ein paar winzige Tassen herbei, schnappte sich einen Kupferkessel voll dampfenden Wassers und goß das Zeug aus Kopfhöhe bis zu den Knien hinunter zielsicher in die Tassen, ohne einen einzigen Tropfen zu verschütten oder sich die Hand zu verbrühen.
„Pfefferminztee mit Rosenöl, Tee mit Orangenwasser, oder darf ich euch kühlen Tamarindensaft zur Begrüßung anbieten?“ fragte der vermeintliche Händler eifrig.
„Wir wünschen keine Getränke“, sagte Hasard schroff und dachte daran, daß der Herrscher von Tortuga mit einem ähnlichen Trick auch schon einmal versucht hatte, die „Isabella“ in seine Gewalt zu bringen. Damals war es vergiftetes Trinkwasser gewesen, hier konnte es vergifteter Tee sein. Der Trick war zwar nicht neu, aber immer noch wirksam.
„Was wir brauchen, sind Eisenkugeln und Pulver, und damit werdet ihr ganz sicher nicht handeln.“
„Ihr tut mir unrecht, Herr“, jammerte Ibrahim. „Ihr stoßt die Hand eines Freundes zurück, der es gut mit euch meint. Ibrahim will euch helfen, Herr. Ihr habt Siebzehnpfünder, wie ich sehe. Wie viele Kugeln braucht ihr?“
„Etwa hundert“, sagte der Seewolf lässig und grinste den Händler herausfordernd an, der ein unglückliches Gesicht zog.
„Sieh nach, ob wir noch hundert haben, Moshe!“ befahl Ibrahim einem seiner grinsenden Kerle. Dann wandte er sich wieder an den total verblüfften Seewolf. „Würden euch zehn Faß Pulver genügen, Herr?“
Hasard sah den Profos an, der blickte ungläubig zurück, und auch die anderen zogen ratlose und verblüffte Gesichter.
„Ihr habt Siebzehnpfünder an Bord?“ fragte Al Conroy fassungslos.
„Ja, Herr“, klang es unglücklich zurück, „aber vielleicht sind es nur noch neunzig oder ein paar weniger.“
„Das ist ja nicht zu fassen“, sagte Ben Brighton. „Diese Feluke ist wohl ein schwimmender Bazar, was? Der Kerl hat einfach alles. Wenn er vernünftige Preise hat, könnten wir ihm vielleicht doch einiges abkaufen.“
„Ich kann ja jetzt schlecht nein sagen, wenn ich die Kugeln und das Pulver geordert habe.“ Hasards Stimme klang leicht gereizt.
Und sein Blick wurde fast böse, als dieser Hundesohn von einem Händler voller Stolz verkündete, sie hätten doch noch zufällig, wie Allah es fügte, genau hundert Kugeln an Bord.
„Nimm dich in acht, Sir“, raunte der alte O’Flynn. „Dieser Kerl ist ein Zauberer, ein Gaukler, der steht mit dem Satan im Bund und hat einen Pakt mit ihm geschlossen.“
„Diesmal muß ich dir fast recht geben, Donegal. So etwas Ähnliches dachte ich auch schon.“
Hasard unternahm aber noch einen letzten Versuch, um diesen merkwürdigen Händler loszuwerden.
„Vorher müssen wir uns über den Preis einigen!“ rief er. „Wenn die Kugeln und das Pulver zu teuer sind, kaufe ich sie an Land.“
„O Herr, ihr wißt die wahre Freundschaft nicht zu schätzen“, klagte Ibrahim. „Ich habe die Kugeln und das Pulver von einem gestrandeten Schiff genommen. Ihr seht, ich bin ein ehrlicher Mann. Sie haben mich also nur die Arbeit gekostet und sonst nichts. Aber ich muß meine Leute bezahlen und habe die Unkosten. Würdet ihr es als unverschämt empfinden, Herr, wenn ich zwei englische Pfund nehme?“
„Für jedes Faß Schießpulver?“ fragte Hasard.
„Für alles zusammen, Herrn. Für die Kugeln, das Schießpulver und die dazugehörenden Fässer.“
Einen Augenblick lang hatte Hasard das Gefühl, als flögen ihm die Pulverfässer um die Ohren. Der Kerl kann doch nicht mehr ganz richtig im Kopf sein, dachte er entgeistert.
„Zwei englische Pfund?“ schrie er zurück.
„Ibrahim will euch nicht schädigen, Herr“, jammerte der Händler. „Gut, ich gebe mich mit eineinhalb zufrieden.“
Die ersten Kugeln und Fässer wurden bereits aus dem Bauch der Feluke an Deck geschleppt.
Hasard wandte sich an Ferris Tukker, der mit verblüfftem Gesicht neben ihm stand.
„Was hältst du davon, Ferris?“
Ferris kratzte seine roten Haarborsten und hob die Schultern.
„Mehr als geschenkt“, meinte er. „ein geradezu idiotisch geringer Preis. Entweder will er uns zu weiterem Kauf animieren, oder er führt etwas im Schilde. Aber ich habe mir den Kahn genau angesehen, Sir. Für Verstecke ist er nicht geeignet, und wenn er wirklich hundert Kugeln und viel Schießpulver an Bord hat, dann wundert mich auch sein Tiefgang nicht. Das ist ganz normal.“
„Das stimmt. Was könnte er, deiner Meinung nach, vorhaben?“
„Da bin ich überfragt, vielleicht täuschen wir uns wirklich in dem Schlitzohr, ganz geheuer ist er mir jedenfalls nicht.“
Während weiterhin Kugeln an Deck der Feluke gebracht wurden, verschwand Ibrahim in seiner Schatzhöhle, kehrte aber gleich darauf mit einem kleinen trommelähnlichen Instrument zurück.
Er hielt es an drei Fäden und ließ es langsam auf die Wasseroberfläche gleiten.
„Ibrahim wird euch ein Kunststück zeigen“, verkündete er, um seine neuen Kunden restlos zu verblüffen. „Mit dieser Trommel zaubere ich einen Delphin aus dem Meer!“
Hasard lachte schallend, und auch die anderen stimmten in das Gelächter ein.
Der gewiefte Kerl hatte den Delphin natürlich auch gesehen. Wahrscheinlich hing unten an der Trommel ein Fisch, der den Meeresbewohner anlockte, der sich hier in der Nähe herumtrieb.
Ging das Experiment schief, hatte Ibrahim nicht viel verloren, klappte es aber, dann würden natürlich alle staunen, und so köderte er seine Kunden wieder einmal.
Hasard und seine Männer nahmen es als einen kleinen Scherz, aber wenn sie den Ernst der Lage gekannt hätten, dann hätten sich ihnen allen die Haare gesträubt, denn Ibrahim konnte viel mehr, als einen Delphin aus dem Wasser zu locken. Er spielte schon jetzt mit den Seewölfen Katz und Maus, ohne daß es einer merkte.
An den Fäden ließ er die Trommel auf dem Wasser tanzen. Seine schlanken Finger zuckten in einem ganz bestimmten Rhythmus, dann wurden sie ruhig, und der schlitzohrige Händler schaute mit starrem Gesicht auf die ruhige Wasserfläche.
Hasard ließ sich jedoch nicht ablenken. Immer wieder blickte er in die Runde, beobachtete die Kerle auf der Feluke und konnte nichts Ungewöhnliches feststellen.
Doch dann wurde sein Gesicht sehr nachdenklich, und über seiner Nasenwurzel stand eine steile Falte.
Plötzlich war da ein Schatten unter der Feluke. Er wurde größer und schnellte sich dann mit einem gewaltigen Satz aus dem Wasser. Der schlanke Leib eines Delphins wurde in der Luft sichtbar, ein merkwürdiger Keckerlaut ertönte von dem Tier, dann fiel es wieder ins Wasser zurück und umschwamm die Feluke.
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