Blacky reagierte augenblicklich. Er feuerte seine Pistolen ab, duckte sich und gab auch Al, Sam, Luke, Dan und Matt die, Möglichkeit, auf die Gegner zu schießen. Im Krachen der Waffen sanken die Spanier auf der hölzernen Pier zusammen.
Blacky ließ die fünf Kameraden an sich vorbei und sprang als letzter in die zum Ablegen bereite Schaluppe.
Die Stadtgarde rollte ein leichtes Geschütz heran, als sie Distanz zwischen sich und die Pier legten. Nicht schnell genug schob der Nordostwind die Seewölfe auf ihre „Isabella“ zu, der Schuß der Garde mußte sie vorher erwischen.
Hasard zündete einen der Brandsätze, die er vorsichtshalber mitgenommen hatte. Es zischte, weißes Feuer verließ die Schaluppe und tanzte wie ein Irrwisch auf den Anleger zu. Mitten in die Menge der Widersacher stob das verheerende Feuer, und die Seewölfe entkamen.
Ben Brighton ließ auf die Spanier feuern und manövrierte die „Isabella“ hin und her, aber er hatte die ganze Zeit über Bedenken, die Kameraden in der Schaluppe zu gefährden. Erst als Hasard und die zwölf unter Ausnutzung der Verwirrung, die die Explosion auf der dritten Kriegsgaleone gesät hatte, glücklich zur „Isabella“ zurückgelangten und hastig an Bord aufenterten, konnte Ben sämtliche Register ziehen.
Mit vereinten Kräften heizten die Seewölfe ihrem erklärten Todfeind ein. Der Himmel über Manila färbte sich dunkelrot. Zwei Handelsschiffe sanken, ein Kriegssegler mit hervorragender Armierung brannte lichterloh und ging ebenfalls unter, indem er nach Backbord krängte und flutweise Wasser aufnahm – dann, schließlich, loderte noch eine Kriegsgaleone, weil Shane und Batuti sie mit Brand- und Pulverpfeilen beschossen hatten.
An diesem Punkt des Gefechts wandte sich die „Isabella“ der Ausfahrt der Bucht zu. Hasard wollte in die Nacht fliehen, bevor sein in kurzer Zeit zum zweiten Male gründlich repariertes Schiff lädiert wurde.
Als sie auf die Mole zurauschten, gab es jedoch eine herbe Überraschung. Von See her näherte sich ein großer Schatten, ein schnittiges, gut bestücktes Schiff, dessen Kapitän sich ihnen tollkühn entgegenwarf und versuchte, ihnen den Fluchtweg zu versperren.
Hasard kannte das Schiff nicht, er hatte es nie zuvor gesehen.
Und er ahnte auch nicht, wer sich zum Kapitän dieser Dreimast-Galeone ernannt hatte – Lucio do Velho. Er war bereit, die „Santa Luzia“ und die komplette Mannschaft samt Ignazio, dem Mann aus Porto, zu opfern, wenn er dadurch nur den verhaßten Gegner zur Strecke bringen konnte – Spaniens Feind Nummer eins.
„Drehbassen!“ schrie Hasard.
Smoky und Al Conroy begrüßten den Ankömmling mit zwei gezielten Schüssen. Danach trat Batuti vom Vormars aus in Aktion und sandte Brandpfeile zur „Santa Luzia“ hinüber.
Do Velho, dem das Grollen der Kanonen und der Feuerschein über Manila von weitem bereits gezeigt hatten, daß er zu spät erschien, um die Obrigkeiten zu warnen – do Velho ließ abfallen und präsentierte dem Gegner die Backbordbreitseite.
Seine schlimmsten Befürchtungen hatten sich bewahrheitet – der Seewolf hatte die Festung Spaniens auf den Philippinen angegriffen. Eine bodenlose Dreistigkeit, die dem Portugiesen aber selbstverständlich genau recht war. Jetzt konnte er beweisen, welche Fähigkeiten in ihm steckten, wie er einen Korsaren Englands abservieren würde!
Aber von der „Isabella“ huschte plötzlich etwas Gleißendes, Flirrendes zu der „Santa Luzia“ herüber. Ein Brandsatz aus den geheimen Werkstätten am Hof des Großen Chan, von dessen Werden und Existenz, Beschaffenheit und Funktion do Velho bisher nicht die geringste Ahnung gehabt hatte.
Mitschiffs schlug das Geschoß bei der Galeone „Santa Luzia“ ein, und sofort rasten gefräßige Flammenbündel weiß, grell und heiß über das Oberdeck. Fassungslos begriff do Velho unter dem Schreien seiner Männer, daß er den Seewolf wieder unterschätzt hatte.
Der „Isabella“ gelang der Durchbruch, obwohl einige beherzte Portugiesen trotz des himmelan fauchenden Feuers noch an die Geschütze zurückstürzten und sie zündeten.
Keine Kugel traf die „Isabella.“
Sie verließ die Bahia de Manila endgültig, ging an den Wind und verschwand in südlicher Richtung in der Nacht.
Hasards Schiff konnte alle Verfolger abhängen. Ein langer Törn begann. Er führte die Seewölfe über Palawan, die südwestlichste Philippinen-Insel, bis hinunter nach Borneo, nach Tandjung Datu Hier mußten Trinkwasser und Proviant an Bord gemannt werden, hier gönnte der Seewolf sich und seinen Männern endlich wieder eine Ruhepause. Verspätet holten sie jetzt, im Januar 1585, die Silvester- und Neujahrsfeier nach, vergaßen Manila und dachten an daheim, unter anderem auch an Plymouth, die „Bloody Mary“ und den spekkigen Nathaniel Plymson.
In Manila hatte ein zorniger Lucio do Velho den Obrigkeiten berichtet, was sich seit Formosa zugetragen hatte. Er, der geborene Mime, brachte dies alles so überzeugend vor, daß man ihm eine Sondervollmacht aushändigte, die ihn fortan als Seewolf-Jäger Nummer eins auswies.
Er erhielt ein großes, neues Schiff, eine hervorragend ausgerüstete Galeone. Zum Kommandanten wurde er befördert, und auch Ignazio, der Mann aus Porto, stieg ein paar Sprossen auf der Leiter der Hierarchie auf.
Do Velhos Auftrag lautete, den Seewolf weiterhin zu jagen, zu stellen und dem Oberkommando der Armada zu überführen – tot oder lebendig.
Do Velho wußte, daß er diese Aufgabe mit Ehrgeiz und Eifer weiterverfolgen würde. Einmal hatte er dem Seewolf bereits eine tödliche Falle gestellt, die dem Mann und seiner Crew fast den Tod gebracht hatte. Vielleicht gelang es beim zweiten Male besser.
Philip Hasard Killigrew wußte von dieser Entwicklung nichts, gleichwohl war ihm aber klar, daß er immer mehr Feinde im Nacken sitzen haben würde. Die Dinge spitzten sich zu, der Feind war bis zur Weißglut gereizt – wie auch im fernen Europa der Konflikt zwischen England und Spanien immer rascher seinem explosiven Höhepunkt entgegenstrebte.
Nach dreitägiger Irrfahrt erreichten sie nachts die Insel. Daß es eine Insel war, wußte keiner der beiden, sie waren so benommen, ausgehungert und halb verdurstet, daß sie kaum merkten, wie ihr kleines Boot auf den Sand stieß, wie eine Welle es hochhob und schließlich ganz auf den flachen Strand trieb.
Sie taumelten auf festes Land zu, warfen sich in den feinkörnigen Sand und blieben liegen. Mehr als zehn Stunden schliefen sie ununterbrochen. Dann wurde Virgil Romero von der Sonne gekitzelt und fuhr mit einem leisen Schrei hoch.
Seine Lippen waren aufgeplatzt, die Haut gedunsen und seine Vorderzähne so locker, daß er sie ohne Mühe mit den Fingern hätte herausziehen können.
Sein Schrei weckte Antonio, den Steuermann, und dieser Schrei wirkte so ansteckend, daß Antonio ebenfalls aufsprang und in wilder Panik davonlaufen wollte.
Virgil hielt ihn fest und starrte in das vertraute Gesicht, das jetzt so fremd wirkte.
Ein vier Tage alter Bart aus schwärzlichen Stoppeln bedeckte das Gesicht des Steuermanns. Seine Wangen waren eingefallen, seine Augen lagen tief in den Höhlen, und Salzwasser und heiße Sonne hatten sein Gesicht verbrannt. Virgil sah die Haut in Fetzen von diesem Gesicht herunterhängen.
„Wir sind – in Sicherheit“, sagte er mühsam lallend. Seine Stimme war ein heiseres Krächzen, sein Hals brannte bis hinunter in den Magen.
„Ich habe entsetzlichen Durst“, klagte Antonio und sah sich wieder gehetzt um.
Niemand war zu sehen. Anscheinend waren sie allein. Man hatte sie auch nicht mehr verfolgt, seit ihrer überstürzten Flucht.
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