Unter dem schützenden Dunkel der Nacht fanden sie einen Platz am Ufer der Halbinsel, der recht üppig mit Büschen und Bäumen bewachsen war. Außerdem hatte dieser Ort den unschätzbaren Vorteil, daß sich niemand Ungebetenes an ihm herumtrieb.
Rasch hatten Hasard und seine Begleiter die bewußtlosen Spanier an Land geschafft. Ebenso flink hatten sie sie gefesselt und geknebelt. Danach kehrten sie zu der Schaluppe zurück und segelten weiter.
Ihr Ziel war die größte, dickste und tiefliegendste aller Handelsgaleonen im Hafen von Manila.
Sie enterten die Galeone unter dem offiziellen Siegel eines Kontrollbesuchs. Die Besatzung der Galeone nahm ihnen dies unbesehen ab, sie hielt die Seewölfe auch dann noch für Abgeordnete des Hafenkapitäns, als sie gemächlich auf die Kuhl kletterten.
Ben Brighton und die anderen an Bord der „Isabella“ standen unterdessen an den Geschützen bereit, um jederzeit eingreifen zu können. Ihre Anspannung wuchs fast ins Grenzenlose, sie mußten die größte Selbstkontrolle aufbringen und sich immer wieder beherrschen – was nicht einfach war, weil sie ja nicht wußten, wie es Hasard und den sechs anderen erging.
„Santa Elena“ hieß die stolze, prächtige Galeone mit dem erstaunlichen Tiefgang. Hasard schritt auf die Spanier zu, die mit gemischten Gefühlen zu ihm blickten. Nur ein Teil der Mannschaft befand sich an Bord, der Rest hatte Landgang, stellte der Seewolf fest. Ein junger, nach allem Dafürhalten noch unerfahrener Offizier der unteren Rangklasse stelzte gewichtig auf Hasard zu.
„Wer sind Sie, und was wünschen Sie?“ begann er. „Ich kenne Sie nicht. Was will der Hafenkapitän zu dieser Stunde von uns? Die Formalitäten sind doch erledigt.“
Hasard tat schnell zwei Schritte auf ihn zu und drückte ihm die Mündung seiner doppelläufigen Reiterpistole gegen den Bauch.
„Nur eine kleine Aufmerksamkeit verlangen wir“, sagte er leise und drohend. „Das kostet Sie nichts, mein Freund. Es sei denn, Sie wollen heute, am Silvesterabend, den Helden spielen.“
„Ich – nein …“
„Rufen Sie die Wachen. Alle. Sie sollen herkommen. Wird’s bald?“
Der junge Offizier tat, wie ihm befohlen wurde. Er fuhr auf einem Handelsschiff, nicht auf einem Kriegssegler. Sein Schneid war knapp bemessen. Außerdem stand er dem drohenden Tod zum erstenmal auf du und du gegenüber, und das war keine angenehme Sache für ihn.
Ferris, Carberry und die anderen traten in Aktion, als die komplette Decksmannschaft versammelt war. Urplötzlich gingen sie auf die Spanier los und streckten sie nieder. Nein, Gewissensbisse hatten sie dabei nicht, denn sie wandten ja immer Schläge und Griffe an, die einem Menschen nur Besinnungslosigkeit, nicht den Tod bescherten.
Hasard schickte den jungen Offizier mit einem der bewährten Handkantenschläge ins Reich der Träume. Er gab Smoky durch eine Gebärde zu verstehen, er solle die Ohnmächtigen bewachen, dann schlich er mit Ferris, Ed, Gary, Jeff und Bob durch das Schiff.
Kurze Zeit darauf hatten sie den Frachtraum entdeckt, in dem das Gesuchte lagerte. Hasard zündete ganz ungeniert zwei Öllampen an. Sie begutachteten die Ladung und öffneten immer neue Kisten, Truhen, Säcke.
„Gold- und Silberschmuck, mit Diamanten besetzt“, flüsterte Ferris Tucker. „Reines Gold und Silber in Barren. Mann o Mann, das Zeug kann doch wohl nur aus der Neuen Welt stammen. Vielleicht ist es vorgestern oder erst gestern eingetroffen und wartet darauf, gelöscht zu werden.“
Hasard schloß eine der größten Truhen wieder zu. „Zweifellos haben wir eine zweite Manila-Galeone vor uns. Sie ist aus Acapulco oder aus Panama eingetroffen und bringt die Bezahlung für die Güter, die von hier aus nach Neu-Spanien hinübergeschafft worden sind.“
Carberry rieb sich die schwieligen Pranken. „Das ist einfach zu schön, um wahr zu sein. Fangen wir an?“
„Ja“, sagte Hasard und grinste.
Sie mannten die Kisten und Truhen, die ihnen am ertragreichsten erschienen, an Oberdeck und hievten sie von dort aus in die Schaluppe hinab. Nur das Beste vom Besten, nur das Lohnendste nahmen sie sich und pullten es zur „Isabella“ hinüber. Nach ihrer letzten Überfahrt blieb die Besatzung der „Santa Elena“ als jammervoller, gefesselter und geknebelter Haufen in einem der Beiboote des stolzen Dreimasters zurück. Das Boot dümpelte von der „Santa Elena“ fort, irgendwohin, zur Halbinsel hinüber, vielleicht aberwitzigerweise zu den rechtmäßigen Inhabern der Schaluppe hin. Die dickbäuchige Manila-Galeone aber füllte sich allmählich mit Wasser, weil Ferris Tucker sie von innen angebohrt hatte.
„Weiter“, sagte der Seewolf. Er hielt die Ruderpinne der Schaluppe und hatte sich bereits die nächste Galeone ausgesucht. Sie trug den frommen Namen „Asunción“, aber das konnte den Seewolf nicht abschrecken.
An Bord der „Asunción“ wurde schon kräftig gefeiert, und auch hier hatten sie nur einen Teil der eigentlichen Mannschaft vor sich. Prallvoll mußten die Kneipen in der Stadt sein, hoch mußte es in den Hurenhäusern zugehen, denn ein starker, vergnügungssüchtiger Trupp spanischer Seeleute und Soldaten bewegte sich da, um auf jeden Fall sturzbetrunken und befriedigt das neue Jahr zu beginnen.
Der zweite Überfall lief fast nach dem Muster des ersten ab. In den Frachträumen der Galeone entdeckten die sieben Männer der „Isabella“ diesmal aber kein Gold und Silber, keine Edelsteine – sie stießen auf Gewürze, Seide und Brokat, wie Hasard befürchtet hatte. Allerdings stöberte er schließlich auch noch Kunstgegenstände aus dem Reich der Mitte auf – Statuetten, Ringe, Armreife, mit größter Akribie gemalte Miniaturen und Gemälde auf Reispapier – sowie eine kleine Truhe voller Perlenketten.
Auch diese Beute konnten sie in der Schaluppe verstauen. Und Ferris brachte es auch diesmal fertig, den Boden der Galeone anzubohren, damit die „Asunción“ auf Nimmerwiedersehen auf dem Grund der Reede von Manila verschwand. Die gut verpackte Wachmannschaft schaukelte in ihrem Beiboot davon – und dann, ja, dann gellte ein Schrei über den Hafen.
„Ab durch die Mitte“, sagte Hasard. „Jemand hat spitzgekriegt, daß die ‚Santa Elena‘ absäuft.“
Sie enterten in aller Hast in die Schaluppe ab, stießen sich von der Bordwand der „Asunción“ ab und begannen zu pullen. Sie näherten sich der nächsten Handelsgaleone, und als sie am Bug der „Asunción“ vorbei waren, gewahrten sie die Segelpinasse, die sich geradezu bedrohlich nahe auf die „Santa Elena“ zugeschoben hatte. Jemand hatte sich im Bug der Pinasse aufgerichtet, schrie nach der Deckswache, die sich nicht melden konnte, und stimmte einen immer größeren Radau an.
„Der Bastard schreit Zeter und Mordio“, stieß Carberry finster hervor. „Ich hätte Lust, ihm den Hals umzudrehen. Wer ist das bloß?“
„Vielleicht gehört die Pinasse auch dem Hafenkapitän“, sagte Gary Andrews grinsend.
Carberry fixierte ihn. „Ja, lach du bloß. Aber wir kriegen hier gleich ein Feuerwerk, das sich sehen lassen kann. Dagegen ist der ganze Feuerzauber der Zopfmänner reiner Humbug.“
„Übertreib doch nicht so“, sagte Ferris Tucker.
Bob Grey hatte sich umgewandt. Der Mann im Bug der Pinasse brüllte Alarm, immer wieder Alarm, und plötzlich war überall hektisches Leben – auf den Kriegsschiffen, auf den Piers, am Kai, in der Stadt.
„Ich glaube, der Profos hat recht“, sagte Bob. Er konnte nicht verhindern, daß seine Stimme in diesem Augenblick belegt klang.
„Wir dürfen keine Zeit verlieren“, raunte der Seewolf. „Los, zum nächsten Schiff, bevor man uns entdeckt. Nein, die Galeone dort nehmen wir uns nicht vor. Ich will zu dem Kriegsschiff, das gleich dahinter ankert.“
„Verwirrung stiften?“ fragte Carberry.
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