»Hübsch«, sagte Lükka.
Thedinghausen nickte, wirkte aber nicht geschmeichelt.
»Ja, hübsch. Mehr aber auch nicht.« Er lächelte entschuldigend. »Die Kunst geht nach Brot, wie man so sagt. Diese Auftragsarbeiten bringen die Butter aufs Brot, aber das Eigentliche, das, was wirklich zählt, ist das hier.« Er deutete auf den Schreibtisch. »Sie sehen, ich schwelge in Erinnerungen.« Er nahm einen Packen Fotos und breitete sie vor Lükka und Roman auf dem Tisch aus. »Das ist alles, was mir von meinem Lebenswerk geblieben ist.« In allen Farbschattierungen zwischen Nachtblau, Violett und strahlendem Rosa schillerten auf den Fotografien Sternenhaufen und Galaxien, schwarzbunte Kühe grasten am Rande der Milchstraße, grotesk verdrehte Mühlenflügel verwirbelten Spiralnebel, das Schweinepärchen vergnügte sich im Schwarzblau eines fernen Sonnensystems. Lükka Tammling erbleichte.
Auch wenn er die Bilder schauderhaft fand, war Roman doch fasziniert von der skrupellosen Verbindung, die Thedinghausen zwischen dem unendlichen Weltall und seiner ostfriesischen Umgebung geschaffen hatte.
»Ja, Sie spüren es, das merke ich sofort«, stellte der Künstler befriedigt fest. »Wir alle sind ein Teil des großen Ganzen, des allumfassenden Kosmos, der sich ständig selbst neu erschafft.« Versonnen betrachtete er eine Gruppe von Staphylokokken, die gemeinsam mit dem großen Bären um den Polarstern kreisten.
»Womit malen Sie eigentlich?«, fragte Roman, teils aus Mitleid mit Lükka Tammling, deren Blässe jetzt eine leicht grünliche Note angenommen hatte, teils aus echtem Interesse. Er war schon in einigen Künstlerateliers gewesen, und in jedem hatte es intensiv nach Leinöl und Terpentin gerochen. Warum roch es hier einfach nach frisch gestrichener Wohnung?
»Ach, das ist ganz verschieden«, erklärte Thedinghausen. »Für das Zeug da drüben«, er zeigte mit einer weit ausholenden Handbewegung auf die Staffelei und die anderen Bilder, »nehme ich oft Pastellkreide, manchmal wollen die Leute auch lieber ein Aquarell haben. Aber am liebsten male ich mit Acryl, das ergibt einfach das schönste Leuchten.«
»Kein Öl?«, fragte Roman überrascht.
Thedinghausen schüttelte indigniert den Kopf. »Manche mögen das ja. Aber das nimmt einem Künstler jegliche Spontaneität. Ewig muss man die Farben und Malmittel anmischen, dann wochenlang warten, bis eine Schicht durchgetrocknet ist, ehe man weitermalen kann. Ganz zu schweigen von der Sauerei, bis man alles wieder saubergemacht hat.« Er lachte. »Und meine liebe Frau würde sich bedanken, wenn ihr ganzes Haus nach Terpentin und Verdünnung stinken würde!«
Lükka hatte ihren Blick inzwischen an einem Aquarell festgehakt, das ganz diesseitig zwei Windmühlen vor strahlend blauem Sommerhimmel zeigte, und sich dabei genug erholt, um Thedinghausen zu fragen, ob er sich vorstellen könnte, wie es zu dem Feuer gekommen war.
Erwartungsgemäß schüttelte der Maler den Kopf. »Nicht jeder mag meine Bilder.« Er sah Lükka etwas vorwurfsvoll an. »Aber sie zu verbrennen – wer sollte so weit gehen?«
Die Kommissarin sah aus, als fielen ihr dazu eine Menge Leute ein, aber sie sagte nur: »Vielleicht ging es ja gar nicht um Ihre Ausstellung. Wer kann etwas gegen das Zollhaus selbst gehabt haben?«
»Ach so.« Thedinghausen überlegte. Offenbar war er noch nicht auf die Idee gekommen, der Brandanschlag könnte etwas weniger Wichtigem als seiner Kunst gegolten haben. »Nun ja, Künstler haben immer Gegner. Und Erfolg lockt die Neider an wie ein Misthaufen die Fliegen. Und Frau Reifschneider hat Erfolg mit ihrem Projekt. Auf das Gebäude waren ja damals auch andere Leute scharf. Fragen Sie die doch mal, wo sie vorletzte Nacht waren.«
Roman nickte. Er erinnerte sich an das lange Tauziehen um die Zukunft des Zollhauses. Manches war einfach nur noch ein Stück aus dem Tollhaus gewesen. Der hartnäckigste Konkurrent hatte während der Renovierung den Dachdeckern die Schieferplatten quasi unter dem Hintern weggeklaut, um sie für später einzulagern. Wann immer es Zoff ums Zollhaus gab, sprang Ferdinand Bungeroth unweigerlich aus der Deckung, um sein Interesse am Kauf des Hauses anzumelden.
»Nicht, dass ich irgendjemandem die Schuld in die Schuhe schieben will«, beteuerte der Maler. »Aber wenn Sie sagen, dass es Brandstiftung war, muss es ja einer gewesen sein, oder?«
Er sah Roman Sturm an, von dem er sich sichtlich mehr Verständnis erhoffte als von seiner Kollegin, die dekorativen Kommerzkitsch der wahren Kunst vorzog.
»Sicher, wenn es Brandstiftung war, hat jemand das Feuer gelegt«, bestätigte Roman. »Aber meine Kollegin hat nichts davon gesagt. Sie wollte nur wissen, ob Sie sich erklären können, wie das Feuer entstanden ist, mehr nicht.« Mit leiser Genugtuung registrierte er Thedinghausens verblüffte Miene. Er ließ ihm keine Zeit, sich davon zu erholen, sondern setzte nach: »Wo waren Sie eigentlich vorletzte Nacht?«
»Vorletzte Nacht? Sie meinen: Von Montag auf Dienstag? Da war ich oben an der Küste, auf Motivsuche. Montagvormittag habe ich noch die letzten Arbeiten an der Ausstellung erledigt. Anschließend habe ich dann zu Hause das Wohnmobil abgeholt und bin nach Norddeich gefahren. Fragen Sie meine Frau. Gestern Mittag hatte ich dann noch einen Termin in Greetsiel.«
»Mit wem?« Lükka hatte mitgeschrieben und notierte jetzt die Adresse eines Greetsieler Fischers, der vielleicht seinen Kutter porträtieren lassen wollte.
»Aber nur, wenn die Granatpreise wieder steigen, hat er gesagt«, ergänzte Thedinghausen wenig zuversichtlich.
Roman fand die Granatpreise eigentlich hoch genug, aber das hing wahrscheinlich davon ab, ob man ein Krabbenbrötchen kaufen wollte oder mit dem Fang seine Familie ernähren musste.
»Was hältst du davon?«, fragte Roman, während sie die Sielstraße hinunter in Richtung Hafen schlenderten, wo sie den Wagen abgestellt hatten. Die Sonne schien immer noch heiß und sie hielten sich im schmalen Schattenband der eng stehenden Häuser, bis sie die Hafenmauer erreichten. Mit der Nase zur Kaimauer lag der rot-weiße Kutter von Thedinghausens Staffelei.
»Meinst du den weinerlichen Maler oder seine schauderhaften Bilder?« Lükka blieb stehen, um sich eine Zigarette anzuzünden. »Ich weiß nicht, was schlimmer war!«
Unten am Anleger hatte gerade die Fähre aus Petkum festgemacht. Die beiden warteten oben auf der Mauer über dem Sieltor, um den Schwarm bunter Fahrradurlauber abfließen zu lassen, die nach der aufregenden Reise über die Ems erst einmal die Ditzumer Hafenrestaurants ansteuerten, aus denen fettiger Fischgeruch durchs Dorf schwappte.
Roman hatte trotzdem Hunger. »Lass uns eben was essen«, schlug er vor, aber Lükka winkte ab. »Du kannst dir gerne einen toten Fisch holen. Aber mir ist von diesen Bildern übel genug.«
Roman lachte. »Du bist ganz schön hart. Der Kerl kann einem doch wirklich leid tun. Seine ganzen Bilder, einfach futsch. Für ihn war das echte Kunst, bestimmt mit viel Herzblut gemalt …«
»Dunkelblau und rosa.« Lükkas Gesicht war todernst, nur ihre grauen Augen funkelten.
»Ach, Mensch, du weißt doch, was ich meine«, sagte Roman. »Da hat er jahrelang dran rumgepinselt, ein Vermögen an Farbe auf die Leinwand getüncht, offenbar ohne dass ein Aas ihm was abgekauft hat. Verkaufen kann er nur das Zeug, von dem er selber nichts hält, und dann auch nur, wenn die Krabben nicht zu billig sind. Sein Geld verdient er also nicht mit dem, was er mag, sondern mit etwas, das ihn sichtlich ankotzt.«
»Mir kommen gleich die Tränen. Na und? Wem geht’s denn besser? Frag doch mal den Bandarbeiter bei VW, ob er den Job so liebt, der ihm Kohle bringt. Oder die Frauen, die in der Hähnchenschlachterei die Kadaver ausnehmen.« Lükka hatte sich in Rage geredet. »Die haben vielleicht ein Recht, sich zu beschweren, aber doch nicht dieser Thedinghausen mit seinem Häuschen in Ditzum, dem schnieken Atelier und dem großen Campingwagen!« Sie hob grüßend die Hand, als vom Fähranleger her ein großer, kräftiger Mann heftig herüberwinkte. »Der da drüben kann dir schon eher leid tun, wenn du so auf erfolglose Künstler stehst. Paule malt auch, aber das Geld für seine Tuschfarben verdient er sich, indem er hier den Dreck vom Deich sammelt oder für ein paar Kröten auf Baustellen oder bei der Werft Hilfsarbeiten erledigt. Aber ihn habe ich noch nie über einen frustrierenden Job jammern gehört.«
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