Heike Gerdes - Sturm im Zollhaus

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An einem frühen Sommermorgen bricht im Zollhaus von Leer ein Feuer aus, das dieses denkmalgeschützte Bauwerk zerstört. In den Trümmern entdecken die Rettungskräfte zwei tote Kinder – und das, obwohl das Gebäude unbewohnt ist. Kriminalkommissar Roman Sturm und seine Kollegin Lükka Tammling finden schnell konkrete Hinweise auf Brandstiftung. Aber wer hat das Feuer gelegt? Haben die Kinder sich in das leere Kulturzentrum geschlichen und gezündelt? War es eine „warme Sanierung“ oder vielleicht doch ein ausländerfeindlicher Anschlag? Alles scheint möglich und nicht nur in den Medien wird wild spekuliert. Es gibt einen einzigen Überlebenden, den kleinen Daud, der seit dem Unglück nicht ansprechbar ist. Die Ermittler hoffen, dass er den Brandstifter gesehen hat – und dass der Täter nichts von dem kleinen Zeugen weiß.

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Heike Gerdes

Sturm im Zollhaus

Ostfriesland-Krimi

Zum Autor Heike Gerdes geboren 1964 lebt in Ostfriesland Nach einem - фото 1

Zum Autor

Heike Gerdes, geboren 1964, lebt in Ostfriesland. Nach einem Redaktionsvolontariat und jahrelangem Redakteursdasein bei verschiedenen Tageszeitungen in Niedersachsen arbeitete sie als freie Mitarbeiterin bei Zeitungen, Zeitschriften und einem Internetmagazin. Sie ist Mitglied im SYNDIKAT. Seit November 2011 ist Heike Gerdes Inhaberin der Krimibuchhandlung „Tatort Taraxacum“ in Leer, mit der sie schon zweimal den Deutschen Buchhandlungspreis gewonnen hat.

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

(Originalausgabe erschienen 2008 im Leda-Verlag)

Herstellung: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: Katrin Lahmer

unter Verwendung eines Fotos von: © Sollermann/pixabay.com

ISBN 978-3-8392-6524-6

Dienstag

1.

Offenbar war er doch eingeschlafen. Eben war da noch das schläfrige Piepsen der halbwüchsigen Blässhühner gewesen, die kleine Falten in das glatt gebügelte Wasser des Hafens plätscherten, und das leise Lachen und lautere Quietschen von der nahen Wiese, auf der eine Handvoll bunthaariger Halbwüchsiger Maumau spielten. Jetzt waberte ein anderer Ton in Romans Ohren, brachte kein angenehmes Auftauchen aus dem Tiefschlaf in den konturlosen Dämmer des Aufwachens, sondern Adrenalinflut und Herzklopfen.

Mit einem Ruck setzte Roman Sturm sich auf und stieß sich schmerzhaft den Ellenbogen. Was war das für ein Klang? Krankenwagen? Polizei? Nein, unverkennbar Feuerwehr. Stöhnend erhob Roman sich, registrierte mit kurzer Verwunderung und langsamem Erinnern, dass er in der Plicht des schmucken Plattbodenschiffchens stand, auf dem er sich vorhin träumend ein bisschen Seglerromantik geborgt hatte und dabei auf der hölzernen Bank eingeschlafen war. Die Nacht war hellblau – noch oder schon wieder? Er suchte den Mond, fand ihn nicht mehr und sah am Bugspriet vorbei eine dunkle Rauchfahne vor dem Blaugrau des Himmels. Ein langer Schritt brachte Roman aus der Illegalität seines Nachtlagers zurück auf die ausgedörrten Planken der Uferpromenade. Er strich sich die langen, schwarzen Haare aus dem Gesicht, die wie seine milchkaffeebraune Haut ein Erbstück seines hawaiianischen Großvaters waren, und denen er haltbare Spitznamen wie Mowgli oder Winnetou verdankte. Manchmal auch weniger nett gemeinte.

Dann grub er mit noch immer kribbelnden Fingern in seiner Hosentasche und fand schließlich den Schlüssel für sein Fahrrad, das er am Geländer der Promenade angeschlossen hatte. Eben gucken, was da brannte.

Der Rauchgeruch wurde intensiver, je mehr Roman sich dem Postamt näherte. Als er um die Ecke bog, sah er das Löschfahrzeug und einen Streifenwagen auf dem Schotterstreifen neben dem massigen Zollhaus stehen. Der alte Backsteinbau trug heute einen rauchgrauen Schleier. Gegen den heller werdenden Himmel zeichneten sich dunklere Wellen ab, malten exakt die Struktur der Dachpfannen nach und zerfaserten leicht an den Kanten zwischen den turmartigen Zinnen. Beinahe ehrfürchtig verharrte Roman, ehe er sein Fahrrad an den Parkscheinautomaten lehnte und durch die Rabatten mit langen Schritten auf das Zollhaus zuging.

Rund um den Feuerwehrwagen herrschte zwar geschäftiges Treiben, aber keine besondere Aufregung. Denkmalschutz hin oder her – der alte Kasten war zumindest unbewohnt und außer bei den vielen Veranstaltungen und heftigen Parties am Wochenende war nur tagsüber Betrieb. Dass an so einem lauen Sommermorgen jetzt doch ein Krankenwagen gemächlich die schwarzgelbe Gefahrentonne auf dem Bahnhofskreisel umkurvte und auf den Parkplatz einbog, war reine Routine. Fein. So konnte Roman den Budenzauber zum unverhofft frühen Dienstbeginn wenigstens genießen.

»Roman. So früh schon zu Bein?«

In seiner Verkleidung mit der orange leuchtenden Jacke und dem kränklich hellgrünen Helm hätte er den stämmigen Ahrend Berghaus beinahe nicht erkannt.

»Ja, du. Muss ja.« Warum viele Worte machen. »Wollt ihr nicht langsam mal löschen? Obwohl: Sieht ja auch schön aus.« Berghaus erwiderte Romans Grinsen. »Geht gleich los. Sobald ich den Schlüssel habe. War gestern hier ’ne heiße Fete oder warum kokelt die Bude? – Nu mach ma hinne«, raunzte er in Richtung Auto, in dessen Handschuhfach ein anderer Helmträger kramte. »Wollen das Teil doch nicht zu heiß werden lassen.«

So früh kann es gar nicht sein, dass so ein nettes, kleines Feuer ohne Publikum stattfindet, dachte Roman. Eben war zwischen Bahnhof und Post noch tote Hose, jetzt standen mindestens ein Dutzend Leute je nach Schamgrenze unterschiedlich dicht ums Zollhaus und immer noch kamen Gäste. Bunte Mischung. Ein paar Pendler mit Aktentaschen, ein dicklicher schwarzgelockter Junge mit schwarz-rot geflammtem Hemd über der Jeans, Frau Nachbarin mit Dackel und diverse Motorboottouristen mit Klapprädern und bunten ballonseidenen Jogginganzügen. Die Bahnhofspunks waren mitsamt ihren schwarzen Hunden auch plötzlich aufgetaucht und hielten sich cool im Hintergrund beim Brunnen.

Man sollte ein Kassenhäuschen aufstellen, dachte Roman.

Der Motor des Löschfahrzeugs röhrte lauter, anscheinend war der Schlüssel aufgetaucht und das Löschen konnte losgehen. Berghaus, inzwischen mit Atemschutzmaske noch schlechter zu erkennen, verschwand durch die endlich offene grüne Stahltür im Zollhaus. Die Fenster im zweiten Stock wiesen nach Westen, doch jetzt leuchteten sie orangerot auf, als spiegelte sich die Morgensonne darin.

Roman winkte den uniformierten Kollegen heran, der rauchend an der geöffneten Autotür lehnte.

»Wir sind heute mal wieder interaktiv«, verkündete er. »Lass uns das Publikum ins Theater einbeziehen, ist schließlich ein Kulturzentrum, das hier brennt.«

Der Lange trat die Kippe aus, rückte die Mütze zurecht und steuerte die Gruppe auf dem Parkplatz an. Der Junge im Flammenhemd, der eben noch gebannt auf das brennende Haus gestarrt hatte, wich zurück, löste sich aus der Menge und schwang sich auf ein Fahrrad, das am Parkscheinautomaten lehnte.

Es dauerte die entscheidende Sekunde zu lange, bis Roman reagierte. »Hey! Mein Rad!« Er setzte zum Spurt an.

Der laute Ruf »Einen Arzt!« stoppte ihn, als wäre er gegen eine Wand gelaufen. Aus dem Augenwinkel sah er sein Fahrrad noch über den Bahnhofskreisel verschwinden, als er sich bereits umwandte und zurück über den Schotterplatz rannte.

»Wir brauchen sofort einen Arzt!« Ahrend Berghaus war in der Tür aufgetaucht. Seine Stimme klang verzerrt, was nicht nur an der Sprechmembran der Atemmaske lag. In seinen Armen hielt er ein Bündel. Fassungslos starrte Roman auf das rosige Gesicht und die schweißverklebten dunklen Haare des kleinen Jungen, den Berghaus jetzt behutsam auf eine Trage gleiten ließ.

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