Hasard fühlte einen leisen Schauer auf der Haut.
„Wieso?“ fragte er sachlich.
„Weil der Tempelschatz dem Himmelsgott Itzamná geweiht ist. Das Gold ist tabu, und die Priester werden jeden erbarmungslos töten, der seine Hände danach ausstreckt.“ Er stockte, als er die ungläubigen Gesichter der Seewölfe sah, und lächelte dunkel. „Chiapas ist keine verlassene Wildnis“, sagte er. „Als die Spanier über mein Volk herfielen, hat es sich aus den Hochtälern in den Urwald zurückgezogen, in die alten Städte, in die Ruinen, die noch übriggeblieben waren von unserem ersten Reich. Die Königsstädte sind wieder aufgebaut worden, hier und anderswo. Das Volk der Maya ist mächtig. Mächtiger, als die Spanier ahnen.“
Hasard preßte die Lippen zusammen. „Du willst sagen, daß in der Nähe dieses Tempels ein. Maya-Stamm lebt? Daß es dort Krieger gibt?“
„Ein Reich und ein Heer“, sagte Yuka stolz. „Und wehe denen, die den Frieden meines Volkes stören.“
„Ach, du liebe Zeit“, murmelte Old O’Flynn erschüttert.
„Aber wir haben gar nicht vor, den Frieden der Maya zu stören“, sagte Ben Brighton, der ebenfalls perfekt Spanisch sprach. „Wir wollen unser Schiff wiederhaben und unsere Freunde befreien, das ist alles.“
„Und wenn die Piraten Dan und Batuti mit zu dem verdammten Tempel schleppen?“ Hasard biß die Zähne zusammen und wandte sich dem Maya zu. „Du kennst den Tempel, nicht wahr? Könntest du uns hinführen?“
Yukas Augen wurden weit. Er schüttelte ablehnend den Kopf.
„Tut es nicht“, sagte er tonlos. „Ihr würdet alle sterben. Die Männer, von denen du gesprochen hast, sind schon so gut wie tot. Sie sind verloren, und sie würden euch mit in den Untergang reißen.“
„Wenn wir nichts unternehmen, werden sie unsere Freunde mit in den Untergang reißen. Wir haben keine Wahl, wir müssen sie finden. Aber es ist deine Entscheidung, Yuka. Wir werden dich nicht zwingen.“
Für ein paar Sekunden blickte der Maya prüfend in Hasards Augen, dann neigte er mit einer ruhigen Bewegung den Kopf.
„Du hast mich vor den Spaniern gerettet“, sagte er leise. „Mein Leben gehört dir. Ich werde euch führen.“
„Deck!“ ertönte die Stimme von Matt Davies ein paar Stunden später aus dem Ausguck. „Mastspitzen genau achteraus! Drei Schiffe! Nein, vier! Ein ganzer Verband!“
Philip Hasard Killigrew preßte die Lippen zusammen.
Er hatte es geahnt. Er hatte sich sogar schon mit Siri-Tong und dem Wikinger über ihre Taktik verständigt. Es war sinnlos, zu versuchen, den Gegnern davonzusegeln. Denn die Spanier würden ihnen auf den Fersen bleiben und dann wahrscheinlich in einem Augenblick wieder auftauchen, in dem man sie am wenigsten gebrauchen konnte.
Hasard ließ zu „Eiliger Drache“ hinüber signalisieren, daß ein spanischer Verband von achtern aufsegele. Auf dem Viermaster hatte man verstanden, was sich darin ausdrückte, daß Siri-Tong Segel wegnehmen ließ und die Fahrt verminderte, bis die beiden Schiffe fast nebeneinander lagen. Gefechtsklar waren sie bereits, seit sie die Bucht verlassen hatten. Jetzt senkte sich atemlose, gespannte Stille über die Decks, während Hasard auf dem Achterkastell angestrengt durch das Spektiv spähte.
Die Spanier hatten sich verhältnismäßig rasch genähert, da der schwarze Segler und die „Santa Monica“ langsamer geworden waren.
Fünf Schiffe, in Kiellinie gestaffelt. Der Seewolf konnte zwei dickbäuchige Galeonen und drei Karavellen erkennen. Damit war die Marschroute klar. Gegen einen so massierten Angriff konnten sie sich nicht mit normalen Mitteln wehren, erst recht nicht mit der „Santa Monica“, die alles andere als ein Kriegsschiff war. Dies hier war wieder einmal eine Gelegenheit, bei der sie die Brandsätze einsetzen mußten, die der schwarze Segler an Bord hatte und die, da sie nur begrenzt zur Verfügung standen, im allgemeinen für Notfälle aufgespart wurden.
Fast taten Hasard die Spanier leid, die da im Vollgefühl ihrer Überlegenheit heransegelten.
Bisher waren sie in Kiellinie gesegelt, jetzt fächerten sie auseinander. Die Absicht war klar: sie wollten von achtern aufsegeln und ihre Opfer in die Zange nehmen. Die beiden dickbäuchigen und vermutlich schwerbewaffneten Galeonen würden das Gefecht eröffnen. Und die Karavellen sollten dann wohl vorbeiziehen, bevor die Gegner wieder feuerbereit waren, und ihnen den Fangschuß verpassen. Von den Spaniern aus betrachtet mußte das geradezu simpel sein. Daß sie in eine tödliche Falle liefen, konnten sie nicht ahnen.
Als sie auf etwa eine halbe Meile heranwaren, gingen im Achterschiff des schwarzen Seglers zwei Luken auf, und die beiden Bronzegestelle zum Abschießen der Brandsätze wurden sichtbar.
„Achtere Raketen Feuer!“ schrie Siri-Tong.
Zischend lösten sich die beiden Geschosse von den Bronze-Gestellen, flogen im Bogen durch die Luft, senkten sich über den beiden spanischen Galeonen – und zerplatzten fast im selben Sekundenbruchteil.
Feuer regnete auf die Schiffe nieder.
Ein vielstimmiger Entsetzensschrei gellte über das Wasser. Segel fingen Feuer, Dutzende von Brandnestern flackerten an allen Ecken und Enden auf. Beide Galeonen liefen jäh aus dem Kurs. Eine wandte der „Santa Monica“ die Breitseite zu, als Hasard anluven ließ und an den Wind ging.
Auf dem Schiff herrschte ein unbeschreibliches Durcheinander.
Männer rannten über die Decks, fierten Segeltuchpützen außenbords und versuchten verzweifelt, das immer mehr um sich greifende Feuer zu löschen. Daß es ihnen nicht gelang und nicht gelingen konnte, drang erst allmählich in ihr Bewußtsein. Das chinesische Feuer war nicht zu löschen.
Aber vorerst hatte der Capitan der Galeone noch nicht begriffen, daß sein Untergang besiegelt war. Er hielt mit dem letzten Rest von Fahrt auf die „Santa Monica“ zu und versuchte, das kleinere, wesentlich schwächer armierte Schiff mit einer vollen Breitseite zu erwischen.
„Klar zum Anbrassen!“ rief Hasard über das Deck. „Klar bei Bugserpentinen und Backbordgeschützen! Al, Luke – schießt ihm das Ruder weg!“
„Aya, aye!“ tönte es zurück.
„Herum mit dem Kahn!“ dröhnte Ed Carberrys Donnerstimme. „Bewegt euch, ihr kalfaterten Schlafmützen! Hopp-hopp, bevor ich euch mit den Ankerklüsen die Ohrläppchen verziere, was, wie?“
Die „Santa Monica“ ging über Stag.
Die beiden Serpentinen in ihren drehbaren Gabellafetten hämmerten in der Sekunde los, in der die Karavelle der brennenden Galeone den schmalen Bug zuwandte.
Fast gleichzeitig dröhnte die Breitseite der Spanier: zwölf Siebzehnpfünder-Culverinen, die Tod und Verderben spuckten. Flammenzungen leckten, Pulverrauch wölkte auf, und der Bug der „Santa Monica“ hob sich leicht, als der ganze Segen unmittelbar vor der Karavelle ins Wasser klatschte.
Der Ruderkopf der Galeone existierte nicht mehr.
Al Conroy und Luke Morgan grinsten sich an, während sie in fliegender Eile begannen, die Serpentinen nachzuladen. Die „Santa Monica“ schwang nach Steuerbord herum, und jetzt war sie es, die dem Spanier die Breitseite zeigte.
„Backbordgeschütze Feuer!“ schrie der Seewolf.
Die drei Kanönchen mit ihren Bronzerohren wummerten.
Es war, weiß der Himmel, nicht viel, was die „Santa Monica“ zu bieten hatte. Aber alle drei Kugeln lagen genau im Ziel, jede einzelne riß ein beachtliches
Loch in die Wasserlinie der Galeone – und es dauerte nur Sekunden, bis sich die Wirkung zeigte.
Die brennende, steuerlos treibende Galeone sackte schwer achteraus.
Sie würde auf Tiefe gehen, daran gab es keinen Zweifel. Noch drückten Wind und Strömung sie nach Westen, und Hasard mußte zusehen, aus dem Bereich des brennenden Schiffes zu verschwinden.
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