Irgendwo hinter ihnen im Urwald war die Hölle los.
Musketen und Pistolen knallten. Stimmen schrien durcheinander – spanische Stimmen. Die Dons schienen jemanden zu verfolgen, und dieser Jemand versuchte, sich über denselben Pfad zu retten, den auch Siri-Tongs Piraten und die Seewölfe benutzten.
Seine Schritte näherten sich.
Wie vom Teufel gehetzt jagte er weiter, und so mochte er sich wohl auch fühlen. Ein einzelner Mann, hinter dem die Spanier mindestens im Dutzend herwaren. Der Bursche stolperte, landete offenbar halb im Dickicht, raffte sich wieder auf, und im nächsten Moment erschien er stolpernd und taumelnd hinter der Biegung des Pfades.
Es war ein schlanker, braunhäutiger Mann in zerfetzter Kleidung.
Er trug eine Art Zopf, mit bunten Bändern umwickelt, aber daß er kein Chinese war, ließ sich auf den ersten Blick erkennen. Das dunkle, schweißbedeckte Gesicht verzerrte sich. Er prallte zurück, seine braunen, eigentümlich sanften Augen wurden so weit, daß das Weiße der Augäpfel gespenstisch schimmerte. Ein Maya, durchzuckte es Hasard — und im selben Moment versuchte der Mann, sich herumzuwerfen.
Sein Fuß verhakte sich irgendwo.
Mit einem Aufschrei stolperte er und stürzte.
Als habe die jähe Bewegung den letzten Rest seiner Kraft verbraucht, unternahm er keinen Versuch mehr, wieder aufzuspringen, sondern blieb einfach liegen.
Um dieselbe Zeit hatte auch die „Isabella VIII.“ eine Bucht an der Küste von Chiapas angelaufen.
Dan und Batuti erlebten das Ankermanöver in der Vorpiek. Sie wußten, was jetzt folgte: ein langer Marsch durch den tropischen Urwald, mit einer obskuren Schatzkarte als einzigem Hilfsmittel. Und sie wußten auch, daß sie bei diesem Marsch dabeisein würden, denn Jean Morro und seine Piratenbande hatten sie sicher nicht am Leben gelassen, damit sie sich auf die faule Haut legten.
Tatsächlich sprang ein paar Minuten später das Schott auf.
Pepe le Moco und der einäugige Esmeraldo – wie gehabt. Hinter ihnen waren die Mündungen von schußbereiten Musketen zu sehen, und Dan hörte das typische Schnaufen des bulligen Barbusse. Esmeraldos einziges Auge funkelte böse. Auch Pepe le Moco sah ausgesprochen unzufrieden aus, weil er seine Opfer viel lieber an die Haifische verfüttert hätte.
„Raus!“ knurrte er. „Ganz schnell, bevor ich euch anlüfte!“
Dan verzog das Gesicht, Batuti knurrte etwas Unverständliches. Da nur ihre Hände gefesselt waren, konnten sie dem Befehl folgen. Vor den Musketen, die Barbusse und der Burgunder auf sie richteten, marschierten sie über den Niedergang an Deck, und dort blieben sie stehen und warfen einen raschen Blick in die Runde.
Auf der „Isabella“ herrschte Aufbruchstimmung.
Jacko, Valerio und der fette Tomaso fierten bereits das zweite Boot ab, die Männer hatten sich mit Säcken und Seekisten bewaffnet: Behältnisse, die offenbar dafür bestimmt waren, das legendäre Maya-Gold zu transportieren.
Dan O’Flynn unterdrückte ein abfälliges Grinsen. Für seine Begriffe war es mehr als fraglich, ob die Kerle in der grünen Hölle dort drüben auch nur einen Schimmer von Gold finden würden. Dabei hätten sie nur die Augen zu öffnen und die gute alte „Isabella“ etwas genauer zu untersuchen brauchen, um direkt vor ihren Füßen unzählige Kostbarkeiten zu entdecken.
Sie hatten es nicht getan, und das war auch gut so. Dans Blick wanderte zum Achterkastell hinauf, wo der Bretone die Hände auf die Schmuckbalustrade stützte. Für ein paar Sekunden kreuzten sich ihre Blicke, und Jean Morro zog die Lippen von den Zähnen und lächelte.
„Hört zu“, sagte er hart. „Ich habe darauf verzichtet, euch kielholen zu lassen, weil ich jede Hand brauche. Wir haben einen langen Marsch vor uns, und ihr werdet so bepackt werden, daß euch sämtliche dummen Gedanken vergehen. Wer unterwegs quertreibt, erhält ein paar Kugeln in die Beine und wird zurückgelassen. Und diesmal ist es mir Ernst, darauf könnt ihr euch verlassen. Haben wir uns verstanden?“
„Du kannst mich“, sagte Dan. Er wußte, daß sie so oder so keine Chance mehr kriegen würden, also sah er auch keinen Grund, mit seiner Meinung hinter dem Berg zu halten.
Der Bretone grinste nur.
„Wir werden sehen“, sagte er trokken. „Schneidet ihnen die Fesseln durch! Und dann ab in die Boote!“
Ein paar Sekunden später hatten Batuti und Dan die Hände frei.
Allerdings zielten immer noch zwei Musketen auf sie. Sie wußten, daß es völlig sinnlos war, jetzt loszulegen. Vielleicht ergab sich später eine Möglichkeit, wenn sie durch den Urwald marschierten. Die grüne Hölle war dicht und undurchdringlich, und wenn in dieser Wildnis erst einmal jemand verschwand, würde es verdammt schwer sein, ihn wiederzufinden.
Der blonde Mann und der hünenhafte Neger wechselten einen Blick.
Dan drehte fast unmerklich den Kopf in Richtung Küste. Batuti nickte, genauso unmerklich. Sie hatten sich verstanden, und sie wehrten sich nicht, als sie jetzt zum Schanzkleid hinübergestoßen wurden, wo die Piraten eine Jakobsleiter belegt hatten.
Nur drei Männer blieben zurück: Valerio, Tomaso und ein spindeldürrer Bursche, der sich den Fuß verstaucht hatte und nicht laufen konnte.
Die beiden Boote legten ab. Batuti hockte im vordersten, Dan in dem zweiten Fahrzeug, das von dem Bretonen geführt wurde. Eine ganze Menge an Ausrüstung war zusammengekommen, und Dan fluchte lautlos, weil er bereits ahnte, daß sich Jean Morros Piratenbande nicht überanstrengen würde.
Er sollte recht behalten.
Er und Batuti wurden wie Maultiere bepackt. Jean Morro stand mit gezogener Pistole dabei, ein dünnes Lächeln auf den Lippen. Dan grinste ihn so unverschämt an, als habe er sein ganzes Leben lang nichts arideres getan, als Lasten durch den Urwald zu schleppen.
„Viel zu schwer für kleines O’Flynn“, murmelte Batuti grollend.
„Quatsch mit Soße!“ fauchte Dan. „Die lahmarschigen Kakerlaken werden sich umschauen, wenn sie glauben, daß einer von uns schlappmacht. Schau dir die Idioten doch an! In einem Urwald ist von denen noch keiner gewesen.“
Er hatte recht: Jean Morros Piraten hatten keine Ahnung von den Tükken des tropischen Regenwaldes. Der feuchten Hitze suchten sie dadurch zu begegnen, daß sie Jacken und Hemden ablegten. Ein paar von den Männern schienen sogar die Absicht zu haben, ihre Stiefel bei den Booten zurückzulassen, aber Jacahiro, der Maya, schüttelte den Kopf.
„Sitegel gegen Schlangen“, sagte er mit seiner dunklen, kehligen Stimme. „Und Kleider gegen Stechmükken.“
„Quatsch“, brummte Pepe le Moco. „Ein paar Mückenstiche werden uns ja wohl nicht schaden.“
„Mückenstiche nicht. Aber Insekten legen Eier in Wunden. Maden fressen Haut. Viel Eiter, viel Schmerzen.“ Der Maya wies mit dem Kopf auf Dan und Batuti, die sich so weit wie möglich vermummt hatten. „Sie kennen Urwald. Sie wissen.“
Pepe le Moco schnitt ein ziemlich zweifelndes Gesicht. Dan und Batuti schwiegen, ihnen war es völlig gleichgültig, ob sich ihre Gegner mit entzündeten Wunden würden herumschlagen müssen. Jean Morro traf die Entscheidung. Der Maya kenne das Land, meinte er, also habe man sich gefälligst nach seinen Ratschlägen zu richten.
Eine Viertelstunde später war die Kolonne abmarschbereit – dreizehn Männer, die in den dichten Dschungel von Chiapas eindrangen. Jacahiro übernahm die Führung und richtete sich nach der Karte, die der alte Valerio dem Bretonen überlassen hatte. Der Maya kannte das Land, er kannte auch die Legende von dem sagenhaften „Schatz der Götter“. Ohne ihn hätten sich die Piraten wahrscheinlich niemals auf die Suche begeben, sondern Valerios Karte und sein Geschwätz über das Maya-Gold als Humbug abgetan.
Dan O’Flynn erschien es zumindest sehr zweifelhaft, daß Valerios Schatzkarte echt war.
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