Während Batuti dem Schluß der Kolonne zugeteilt worden war, marschierte Dan O’Flynn, bewacht von Pepe le Moco und Esmeraldo, direkt hinter dem Bretonen. Noch war der Wald ziemlich licht, da es in der Nähe der Küste Felsen gab, die ein allzu üppiges Wuchern der Vegetation verhinderten. Aber weiter im Landesinneren schlossen sich Baumriesen, Unterholz und ein Gewirr von Schlingpflanzen zu dichten Wänden zusammen. Trotz aller Tükken und
Gefahren hatte diese Wildnis auch eine Ausstrahlung von dunkler, unwiderstehlicher Lokkung.
Das Land der Maya!
Es war genauso geheimnisvoll wie das legendäre El Dorado, das Goldland der Inkas, das die Seewölfe entdeckt hatten. Bei aller Wut auf Jean Morros Halsabschneider mußte Dan sich eingestehen, daß ihm das Abenteuer dieser Schatzsuche beinahe Spaß zu bereiten begann.
Daß der Maya auf dem schmalen Urwaldpfad nicht bewußtlos war, wurde Hasard erst klar, als er ihn an der Schulter packte und umdrehte.
Der Mann versteifte sich. Aus aufgerissenen Augen starrte er den Seewolf an, dann die anderen, dann wieder den schwarzhaarigen Riesen mit den eisblauen Augen. Der Indianer schien damit zu rechnen, in der nächsten Sekunde umgebracht zu werden.
Hasard hob rasch beide Handflächen zu der uralten, in jeder Sprache verständlichen Geste des Friedens.
„Wir sind Engländer“, sagte er auf Spanisch. „Ingles! Kannst du mich verstehen?“
Der Maya nickte stumm. Hasard reichte ihm die Hand und half ihm auf die Beine. Dabei lauschte er auf das Geschrei und die Geräusche von brechenden Ästen und trampelnden Schritten, die sich näherten.
„Spanier?“ fragte er knapp.
„Spanier.“ Die Stimme des Maya klang dunkel und kehlig, der Blick seiner eigentümlich sanften braunen Augen bohrte sich in die eisblauen des Seewolfs.
„Ich heiße Yuka“, sagte er überraschend flüssig. „Sie wollen mich hängen, weil ich einen Spanier getötet habe. Ich mußte ihn töten. Er wollte ein Mädchen schänden, das fast noch ein Kind war.“
„Und du konntest fliehen?“
„Sie sind hinter mir her. Sie werden mich töten, aber ich werde viele von ihnen mitnehmen.
Mit einer stolzen Geste warf der Maya den Kopf zurück. Daß er unbewaffnet war, schien er im Moment völlig vergessen zu haben. Hasard lächelte.
„Ich habe eine bessere Idee“, sagte er. „Wir schlagen die Spanier in die Flucht und bringen dich in Sicherheit, Yuka. Unsere Schiffe liegen dort drüben in der Bucht. Willst du mit an Bord gehen?“
In dem bronzenen Gesicht zuckte kein Muskel.
„Ja“, sagte Yuka einfach – und dann kam niemand mehr dazu, die Unterhaltung fortzusetzen.
Die ersten Spanier erschienen auf dem Pfad.
Nichtsahnend, ohne die leiseste Spur von Vorsicht stürmten sie um die Biegung. Messer und Degen blitzten in ihren Fäusten, ihre grimmigen Gesichter verrieten, daß sie mit ihrem Opfer kurzen Prozeß zu machen gedachten. Daß etwas nicht stimmte, begriffen sie erst, als sie schon fast mit den Seewölfen zusammenstießen.
Mit einem wilden Schrei fuhr der Anführer der Meute zurück.
Der nächste Mann prallte gegen ihn und trat ihm in die Hacken. Er schwankte und ruderte mit den Armen, um sein Gleichgewicht wiederzufinden. Vielleicht hätte er es geschafft, aber da war Hasard schon heran, nahm Maß und knallte dem ersten Spanier so wuchtig die Faust unter das Kinn, daß dem der Kopf in den Nacken flog und treffsicher auf der Nase seines Hintermannes landete.
Der Bursche stieß ein Geheul aus, das mühelos das schrille Konzert der Affen ringsum übertönte.
Hasard grinste, als er die beiden Kerle zur Seite fegte und sich den nächsten vornahm. Der Bursche schwang einen Degen, aber er schwang ihn nur solange, bis der Seewolf seine eigene Waffe freihatte und den ersten Hieb führte. Der Degen des Spaniers lag plötzlich am Boden. Über den Handrücken des Besitzers zog sich ein blutiger Schnitt. Voller Entsetzen begann er, zurückzuweichen.
„Himmel, Archibald und Kabelgarn!“ brüllte Ed Carberry erbittert, weil er auf dem schmalen Pfad nicht richtig loslegen konnte.
Während die Spanier nicht wußten, ob sie vor oder zurück sollten, brach der Profos mit funkelnden Augen und entschlossen vorgerecktem Rammkinn durch das Dickicht. Ferris Tucker folgte ihm, mit seiner mächtigen Axt schon mal probeweise auf die armdicken Schlinggewächse einschlagend. Hinter ihm stürmten Big Old Shane mit einer Eisenstange, Thorfin Njal, der in seinen zottigen Fellen an einen Vorzeit-Riesen erinnerte, Jeff Bowie mit dem scharfgeschliffenen Eisenhaken anstelle der linken Hand – und für die Dons war dieser Anblick mehr, als sie verkraften konnten.
Sie ergriffen kampflos die Flucht.
Eine sich überschlagende Stimme kreischte etwas von „Satan“ und „Höllenteufel“, die Männer warfen sich verzweifelt herum und rannten. Auch die beiden Kerle, die zu Boden gegangen waren, hatten sich wieder aufgerappelt und schlugen sich blindlings in die Büsche. Binnen Sekunden war der ganze Trupp wie ein Spuk verschwunden.
Edwin Carberry spuckte auf den Boden und knurrte unzufrieden.
„Diese feigen Ratten! Nicht den kleinsten Spaß gönnen sie einem. Sollen wir sie verfolgen und zu Haferbrei verarbeiten?“
„Du spinnst wohl“, sagte Hasard trocken. „Wir können uns nicht damit aufhalten, eine spanische Siedlung anzugreifen. Daß die Kerle nicht von den Bäumen gefallen sind, dürfte dir jawohl klar sein, oder?“
Der Profos zuckte mit den Schultern. „Na schön! Radieren wir die Siedlung eben auf dem Rückweg aus. Was heißt überhaupt Siedlung? Muß doch eigentlich ein ziemlich trauriges Kaff sein, was, wie?“
Hasard fragte den Maya.
Während sie zurückmarschierten, langsam wegen der schweren Wasserfässer, berichtete Yuka, was er über die spanischen Stützpunkte in dieser Gegend wußte. Und das ergab ein Bild, das ganz und gar nicht geeignet war, die Seewölfe und Siri-Tongs Crew zu beruhigen.
Die Siedlung, aus der die Verfolger stammten, war tatsächlich nur ein ziemlich trauriges Nest.
Aber es gab einen Verbindungsweg nach Managua – und dort, so wußte Yuka zu berichten, lag eine mittlere Flotte vor Anker.
Uninteressant, solange sie dort liegenblieb.
Genau das jedoch bezweifelte Hasard. Wenn die Spanier in Managua erfuhren, was geschen war, würden sie sich brennend dafür interessieren, wer da dreist vor ihren Küsten aufkreuzte. Und der Gedanke, mit den paar Kanönchen der „Santa Monica“ in ein Seegefecht zu gehen, war alles andere als erfreulich.
Eine halbe Stunde später verließen der schwarze Segler und die „Santa Monica“ die Bucht, um weiter an der Küste entlangzusegeln.
Sie hatten beschlossen, möglichst dicht zusammenzubleiben, da sie damit rechnen mußten, daß die Spanier ihren Aufbruch beobachtet hatten und etwas unternehmen würden. Matt Davies übernahm die Wache im Großmars.
Als sie die „Santa Monica“ kaperten, hatte er sich ausgerechnet seine gesunde Hand verstaucht, und zwar am eisernen Helm eines Spaniers. Jetzt konnte er für eine Weile nicht viel tun, vor allem keine Rumbuddel halten, und seine Laune war entsprechend miserabel.
Auf dem Achterkastell standen Hasard, Ben Brighton, Carberry und Old O’Flynn mit Yuka, dem Maya, zusammen.
Der Mann sprach ein ausgezeichnetes Spanisch und konnte sich mühelos verständigen. Hasard hatte ihm berichtet, was sie, die Engländer, in den Regenwäldern von Chiapas suchten. Er hatte ihm auch von der Vermutung erzählt, daß die Piratenbande des Bretonen hinter irgendwelchen Schätzen hersei, vielleicht eine Art neues El Dorado suchte, und der Maya nickte bedächtig.
„Der Schatz des Himmelsgottes“, sagte er mit seiner dunklen Stimme. „Mag sein, daß sie Itzamnás Tempel suchen, das Gold der Götter. Sie werden sterben. Alle …“
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