„Das versteht sich von selbst“, versicherte sie ihm ernst. „Hasard und ich werden diese Gemälde wie Schätze verwahren. Aber du kannst uns nicht verwehren, daß wir dir und dem Häuptling auch etwas hinterlassen – als Andenken.“
Hasard hatte Bill, dem Schiffsjungen, der gerade auf dem Achterdeck erschienen war, einen Wink gegeben. Bill trat heran, nahm die Order seines Kapitäns entgegen und verschwand rasch wieder in Richtung Kuhl.
Siri-Tong hielt wieder ein Bild vor sich hin, es war das vierte, das die Mädchen ihr gereicht hatten.
„Hier hast du dich ja sogar selbst porträtiert, Thomas“, sagte sie begeistert. „Und die jungen Frauen hier, die Kinder, die dich umringen – ist das deine Familie auf Hawaii?“
Jetzt lächelte Federmann verschmitzt. „Wir sind eine einzige, große Familie. Ein Mann hat hier nicht nur eine Frau, mit der er zeitlebens in Partnerschaft lebt.“
„Das mußt du mir unbedingt genauer erklären“, meinte sie.
„Moment“, sagte der Seewolf. Er erhob sich und griff nach dem letzten Bild. „Darf ich das mal sehen? Was ist denn das? Ein Schiff?“
Er betrachtete das Gemälde. Es zeigte die Ankerbucht, in der sie jetzt mit der „Isabella“ und dem schwarzen Segler lagen. Auf dem Bild, das eine Szene in der Abenddämmerung darstellte, erschien das fremde Schiff fast nur als Schattenriß – und doch hatte er es plötzlich einwandfrei identifiziert.
„Das ist ja Drakes ‚Golden Hind‘“, sagte er verblüfft.
Die anderen waren nicht minder überrascht. Sie umringten ihn plötzlich alle und sahen über seine Schulter auf das traumhaft schöne Bild. Es gab den ganzen Zauber von Polynesien wider, und durch die Präsenz des berühmten Dreimasters erlangte es sogar etwas Mystisches.
„Das ist ja nicht zu fassen“, sagte Ben Brighton. „Wann ist Francis Drake denn hier gewesen?“
„Drake?“ Thomas Federmann wiederholte den Namen etwas verwundert.
Shane tippte mit dem Finger auf das Bild. „Drake, der Kapitän dieses Schiffes. Einer der größten und berühmtesten Korsaren Ihrer Majestät, Königin Elizabeth I. von England.“
„Ihr müßt schon entschuldigen, aber ich konnte mich an seinen Namen nicht mehr erinnern“, erwiderte der Deutsche. „Also, ich weiß nicht mehr genau, wann er hier aufgetaucht ist, aber ich schätze, es liegt schon mehr als zwei Jahre zurück. Ich entsinne mich aber noch, wie er aussieht, dieser Drake – nicht besonders groß, kräftig gebaut, mit rundem Kopf, braunem Haar und Spitzbart.“
„Ja, das ist er“, sagte Hasard. „Und er befand sich damals auf Weltumsegelung.“
Thomas nickte. „Er suchte die Manila-Galeone und erklärte mir, was es mit diesem Schiff auf sich hatte. Nun, ihr werdet staunen, ich konnte ihm einen brauchbaren Hinweis liefern. Die ‚Nao de China‘ segelt nämlich jedes Jahr sehr nah an Hawaii vorbei. Es ist jedesmal eine andere Galeone, aber als ich Drake die Namen nannte, die ich an den Bordwänden entziffert hatte, war er überzeugt, daß es sich um die Schatzschiffe handele. Er sagte, wahrscheinlich benutzten die Spanier unsere Inseln als Orientierungshilfe.“
„Aber sie laufen sie nicht direkt an?“ fragte Siri-Tong.
„Nein. Drake sagte, sie haben genügend Proviant und Trinkwasser an Bord und sind für eine Reise ohne Unterbrechung gerüstet, die fast zwei Monate dauert.“
Hasard hatte sich aufgerichtet. Er schaute in die Runde und las in den Mienen seiner Männer, daß sie genau das gleiche dachten wie er.
„Thomas“, sagte er. „Was tat Drake? Wartete er?“
„Ja, denn ich teilte ihm mit, daß die ‚Nao‘ Hawaii in jenem Jahr noch nicht passiert hätte. Eigentlich war ich dagegen, daß er sie überfiel, aber er überzeugte mich. Erstens, weil er behauptete, sich im Kampf absolut fair zu verhalten, zweitens, weil ich damals noch eine ziemlich große Wut gegen die ‚Dons‘ im Bauch hatte.“
„Nun spann uns doch nicht so auf die Folter“, sagte Old O’Flynn. „Konnte unser guter alter Francis Drake die verdammte Manila-Galeone nun aufbringen oder nicht?“
„Er wartete vergebens. Sie erschien nicht. Er setzte seine Reise fort, und erst rund einen Monat später beobachtete ich dann das Schiff, wie es vorüberzog. Ich habe es sogar gemalt.“
„Das Bild schaue ich mir gern mal an“, sagte Hasard.
„Es liegt in meiner Hütte.“
„Gut. Später also.“ Der Seewolf blickte zu Bill, der in diesem Augenblick auf das Achterdeck zurückkehrte, sprach dabei aber weiter. „Seit wir Engländer auch in diese Gefilde vorgedrungen sind, sind die Spanier vorsichtiger geworden. Sie scheinen den Terminplan für die Manila-Galeone tatsächlich jedes Jahr neu festzulegen. Ob sie auch die Route geändert haben?“
„Das kann ich dir nicht sagen“, erwiderte Federmann. „In diesem Jahr ist das Schiff hier jedenfalls noch nicht aufgekreuzt.“
„Das würde sich mit dem decken, was wir durch die Sabreras-Dokumente wissen.“ Hasard nahm die Schatulle in die Hand, die Bill auf seine Anordnung hin aus der Kapitänskammer geholt hatte. Er öffnete sie. „Aber jetzt zurück zu unseren Freundschaftsgaben.“ Langsam zog er eine goldene Kette, die über und über mit Smaragden besetzt war, aus dem Behältnis hervor. „Diesen Schmuck haben die Chibchas, die Ureinwohner von Neu-Granada, angefertigt. Sie schenkten ihn uns, weil wir sie aus der spanischen Gefangenschaft und Sklaverei befreiten.“
„Esmeraldas“, sagte Thomas Federmann überwältigt. „Die grünen Steine, deren Wert sich nur schätzen läßt …“
In der mit Samt ausgeschlagenen Schatulle lagen noch mehr Schmuckstükke – Ketten, Reifen und Diademe. Hasard händigte sie Zegú aus, und wieder spielte sich das gleiche Zeremoniell ab. Der Häuptling weigerte sich, die Kleinodien anzunehmen. Aber dank Siri-Tongs Lächeln und überzeugender Worte willigte er schließlich doch ein.
Die Feier dauerte bis zum Morgengrauen an. Die tanzenden Mädchen hatten inzwischen allen, auch Arwenack, Blumenkränze umgehängt, nur bei Sir John war es ihnen nicht gelungen. Jedesmal, wenn sie es wieder versuchten, flatterte er empört ein Stück in den Wanten hoch.
Die Heiterkeit hatte um sich gegriffen, sie war ansteckend. Matt Davies und ein paar andere sangen schräge Lieder, aber die Texte waren von der harmlosen Sorte. Überhaupt, Carberry und Thorfin Njal als Disziplinhüter paßten auf, daß keiner der Männer aus der Rolle fiel.
Am Morgen war der Seewolf als erster wieder auf den Beinen. Er saß an seinem Pult in der Kapitänskammer und hatte die Tür zur Heckgalerie weit geöffnet. Die Sonnenstrahlen drangen ungebrochen ein und wärmten seinen Rücken. Eine frische Brise strich über die Bucht. Der Wind hatte etwas mehr nach Norden gedreht. Die sanfte Dünung wiegte die „Isabella“.
Er untersuchte die Mappe aus gefettetem Schweinsleder, die er Ciro de Galantes abgenommen hatte. Sie barg ein ziemlich zerfleddertes Bündel Papier, das von irgend jemandem sehr unfachmännisch mit Seemannsgarn zusammengeheftet worden war.
Hasard blätterte darin und war plötzlich so sehr in seine Gedanken verstrickt und in die Lektüre vertieft, daß er Siri-Tong kaum bemerkte.
Sie trat durch die Tür ein, die auf den Gang des Achterkastells führte. Langsam schob sie sich näher an Hasard heran.
„Was ist denn das für ein merkwürdiges Buch?“ fragte sie dann leise.
„Das Tagebuch von Ciro de Galantes“, antwortete er, ohne aufzuschauen. „Du wirst es kaum für möglich halten, aber hier ist auch von der sagenhaften ‚Nao de China‘ die Rede. Das spanische Schiff, auf dem de Galantes Bootsmann und seine meuternden Komplicen Decksleute waren, hatte unter anderem Geheimdokumente für den Gouverneur von Panama an Bord, und die befaßten sich mit dem Zeitplan und der Route der Manila-Galeone. De Galantes hat sie einsehen und abschreiben können. Ich hoffe wirklich, sein damaliger Kapitän hat davon nichts gemerkt.“
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