Der Wurm steckte im Detail. Hasard hatte das Verschwinden des Beiboots der „Revenge“ zwar bemerkt, aber keine Schlüsse daraus gezogen, als er mit seinen Männern zu dem Flaggschiff gepullt war. Drakes so listenreich aufgebaute Falle war ein Fiasko geworden. Er hatte den verhaßten Gegner demütigen und im Wasser schwimmen sehen wollen. Dort hatte die Jolle ihn und seine Kerle herausfischen sollen. Jetzt waren sie alle entwischt. Dabei wäre der einfachste Weg der gewesen, Philip Hasard Killigrew – wie er es gewünscht hatte – an Bord kommen zu lassen und festzuhalten. Mit dem Kapitän hätte Drake die gesamte Mannschaft gehabt. Aber die Chance war vertan.
Hasard hatte zwar einen Fehler begangen, ihn aber mit viel Glück noch korrigieren können. Und Ben Brighton hatte rechtzeitig die zweite Jolle losgejagt, um den Schwimmern zu helfen.
Jetzt beging der Admiral wiederum einen Fehler – nein, er hatte ihn bereits begangen. Denn er hatte der Hakenprothese des einarmigen Matt Davies keine Beachtung geschenkt – er nicht und kein Mann seiner Besatzung. Dabei hatte jeder sehen können, wie scharfgeschliffen dieses Ding war, das Matt Davies die rechte Hand ersetzte, und zwar voll ersetzte.
Die drei Seewölfe waren nach ihrem Ausbruchsversuch gefesselt worden – Hände auf den Rücken. Dann hatten sie Wiedersehn mit dem Vorpiekloch gefeiert und zunächst einmal verschnauft. Einen Schimmer von Licht hatten sie, da man die Stelle, wo die Ankerflunke durchs Schott gekracht war, noch nicht repariert hatte. Zwar waren zwei Posten vor dem Schott aufgezogen, aber wenn die durch die Bruchstelle vom Hellen ins Dunkle linsten, konnten sie so gut wie gar nichts erkennen.
So vergingen nur zehn Minuten, und die drei Seewölfe hätten erneut randalieren können. Denn in dieser Zeit hatten sie die Fesseln an Matts scharfem Prothesenhaken bereits durchgesäbelt und waren frei. Dazu hatte sich Stenmark nur Rücken an Rücken mit Matt Davies zu setzen und ein bißchen zu fummeln brauchen. Alles weitere war geradezu simpel.
Einmal mehr konnten sie über Matts Prothesenhaken des Lobes voll sein. Auch Jeff Bowie trug ja so ein Ding, allerdings links. Und Jeff hatte von Matt gelernt, wie man mit dem Haken umzugehen hatte. Beide fühlten sich keineswegs den anderen gegenüber, die ihre gesunden Hände hatten, benachteiligt, ganz abgesehen davon, daß sie mit diesen Haken zu gefährlichen Kämpfern geworden waren.
Ferris Tucker, der trick- und geniereiche Schiffszimmermann der „Isabella“, hatte ihnen für diese Prothesen zusammen mit Will Thorne, dem Segelmacher, Ledermanschetten konstruiert, die über die Unterarmstümpfe gezogen wurden und absolut festsaßen – auch bei gestrecktem Arm –, weil sie von Riemen unter der Achsel hindurch und über die Schulter gesichert wurden. Um die Prothese zu verlieren, hätte man den beiden schon die Schulter abreißen müssen.
Die drei Seewölfe wollten, wenn es die Situation erforderte, Handlungsfreiheit haben. Und die hatte man nur, wenn man nicht gefesselt war. Aber um den Gegner irrezuführen, mußte man gefesselt sein.
Also hatten sie sich die Fesseln gegenseitig wieder angelegt, aber so, daß jeder selbst in der Lage war, sie im geeigneten Moment zu sprengen Seeleute, die sie waren, barg das keine Probleme. Sie setzten ein paar Knoten auf Slip, und damit war auch dieser Fall geregelt.
Im übrigen hatten sie, wenn auch karg, gefrühstückt, denn Sam Roscill hatte beim Sturmlauf durchs Mannschaftslogis einige Kanten Brot und sogar Speck mitgehen lassen.
Gegen Mittag hatten sie dann wieder Hasards Stimme gehört und prompt ihren Schlachtruf geschmettert, um zu melden: Wir sind hier! Vor den Musketen der beiden Posten waren sie dann verstummt.
Dann war geschossen worden. Seitdem zergrübelten sie sich die Köpfe, was passiert war. Sie hatten nur Drake toben hören, aber der tobte in der letzten Zeit ja ständig.
Eine Stunde später, da war längst wieder Ruhe eingekehrt, erschien der Admiral persönlich am Schott der Vorpiek, um sich vom Nochvorhandensein seiner drei Gefangenen zu überzeugen.
Ein bißchen irre mußte er sein, als er höhnisch erklärte, sie seien das Mittel, des verdammten Piraten Killigrew habhaft zu werden.
Dann sagte er: „Aufstehen!“
Sie standen auf, wenn auch recht mühsam mit den auf den Rücken „gefesselten“ Händen.
Er sagte: „Setzen!“
Sie setzten sich wieder.
Er sagte: „Aufstehen!“
Und Matt Davies sagte: „Leck mich doch am Arsch, du Idiot!“ Und für einen kurzen Moment überlegte er, den Admiral anzuspringen und als Geisel zu nehmen. Aber die beiden Posten hatten ihre Musketen schußklar, und das war zu riskant.
„Das wirst du mir büßen, du ‚Isabella‘-Abschaum!“ zischte Drake. „Mit dem Leben!“
„Bitte sehr“, sagte Matt Davies, „wie’s beliebt.“ Nach der Nacht mit den Haien, deren Angriffe er auf einer Planke liegend abgewehrt hatte und in der seine Haare grau geworden waren, konnte ihn kaum noch etwas erschüttern. Er war durch zu viele Höllen gegangen.
Drake, der seine Gefangenen hatte demütigen wollen, begriff, daß alles an diesen Kerlen abprallte. Die waren nicht weichzukriegen. Selbst die Todesdrohung schreckte sie nicht. Furchtlos blickten sie zu ihm hoch, eisige Verachtung in den Gesichtern. Es war läppisch, sie aufstehen und hinsetzen zu lassen. Sie würden nicht mehr reagieren, auch wenn er sie durchpeitschen ließ.
Vielleicht war alles zwecklos.
Abrupt drehte sich der Admiral um und verließ das Vorschiff. Das Schott krachte wieder zu, wurde abgeriegelt und mit den Leckbalken gesichert.
„Der hat eine wüste Sauerei vor“, sagte Stenmark.
„Abwarten“, sagte Matt Davies.
Vier Tage verstrichen, ohne daß seitens der „Revenge“ etwas passierte. Sie beobachteten nur, daß das Flaggschiff mehrere Male ankerauf ging, vor der Mill Bay je nach Wind hin und her kreuzte, daß an den Geschützen exerziert wurde und diverse Segelmanöver gefahren wurden, aber jeweils am Abend ankerte die „Revenge“ wieder vor der St.-Nicholas-Insel.
Und die ganze Zeit grübelte Hasard über eine Lösung nach, wie er seine drei Männer befreien könne. Es gab keine Lösung, es sei denn die des direkten Angriffs. Er schied aber aus, weil er, wie auch ein Überfall, die drei Männer gefährden würde. Die „Revenge“ war unangreifbar für einen Mann, der Gewissensbisse hatte und das Leben seiner Männer nicht aufs Spiel setzen wollte. Aber irgendwann würde er den Stier doch bei den Hörnern packen müssen.
Tag für Tag lauerte Hasard auf die Meldung des jeweiligen Ausgucks, daß sich ein Boot der „Revenge“ der „Isabella“ nähere. Dieses Boot, auch das war beobachtet worden, hatte der Admiral nach alter Piratenmanier einfach von einem auslaufenden Frachtsegler requiriert, nachdem er den mit ein paar Schüssen vor den Bug gestoppt hatte.
Ja, dieses Boot erwartete Hasard, und es würde Drakes Forderung überbringen, er, Hasard, habe sich zu stellen, sonst würden zu einer bestimmten Frist seine drei Männer exekutiert oder an der Rahnock sichtbar aufgebaumelt.
Diese Befürchtung hatte Hasard, aber er würde bereit sein, der Erpressung Drakes nachzugeben.
Aber kein Boot erschien.
Genoß Drake diesen Zustand? Wollte er Kapitän und Mannschaft der „Isabella“ in einem Nervenkrieg zermürben?
Hasard bemerkte bereits, wie seine Männer immer gereizter wurden. Das konnte nicht ausbleiben. Eine Spannung legte sich über die „Isabella“, die nicht gut war.
Da tauchten diese „Wenns“ auf.
Wenn Blackys Fuß nicht gebrochen worden wäre …
Wenn Smoky und die anderen Landgänger nicht in die „Bloody Mary“ gezogen wären …
Wenn sie alle beieinander geblieben wären …
Wenn ihr jetzt zappelig werdet, fuhr Hasard dazwischen, dann hat Drake das Spiel schon halb gewonnen. Nehmt euch zusammen, Kerls! Mir sitzt die Wut genauso in den Knochen wie euch, nichts täte ich lieber, als diese verdammte „Revenge“ mit Admiral und Mann und Maus in die Luft zu sprengen. Aber ich habe mich, verdammt noch mal, zusammenzureißen – und ihr auch!
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