Dieses Mal geruhte der sehr ehrenwerte Admiral nicht mehr zu schlafen. Hasard wußte ja nicht, was inzwischen vorgefallen war, ja, er wußte nicht einmal, ob sich seine drei Männer tatsächlich an Bord der „Revenge“ befanden.
Jedenfalls stand Admiral Drake, die Hände auf dem Rücken, am Steuerbordschanzkleid des Achterdecks und blickte der Jolle mit satter Genugtuung entgegen.
Eine Jacobsleiter war auf der Steuerbordseite nicht ausgebracht, was bereits darauf deutete, daß Drake wohl nicht die Absicht hatte, Hasard an Bord zu empfangen.
Das waren schlechte Vorzeichen, aber Hasard war sich selbst gegenüber ehrlich genug, um sich einzugestehen, daß der Admiral weiß Gott keinen Grund hatte, ihn mit einem Ehrensalut zu empfangen. Schließlich hatte ihn Hasard ja ziemlich ruppig von Bord der „Isabella“ befördert.
Mehr als zuvor zweifelte Hasard am Erfolg dieser Mission. Aber es ging um seine drei Männer, und da hatte er nach jedem Strohhalm zu greifen, der sich ihm bot. Da hatte er seinen Stolz herunterzuschlucken und sein Temperament zu zügeln, auch wenn ihm maßlose Unverschämtheiten geboten wurden – wie es Parsons am Morgen bereits exerziert hatte.
Wieder steuerte Hasard die Jolle auf Rufweite an die „Revenge“ heran.
Er grüßte zu dem Admiral hoch und rief: „Hätten Sie die Güte, mich an Bord zu empfangen, Sir?“
Drakes Miene war voller Hohn. „Warum sollte ich? Bastarde haben auf meinem Schiff nichts zu suchen!“
Es ging also schon wieder los.
„Dieser Lumpenhund“, murmelte Big Old Shane, „ich könnte ihm den Hals umdrehen.“
Hasard rief: „Zu gütig, Sir! Das war eine klare Antwort. Würden Sie dann so freundlich sein, mir eine andere Frage zu beantworten? Ich vermisse drei meiner Männer, von denen zwei bereits früher bei Ihnen gefahren sind – auf der ‚Marygold‘. Es handelt sich um Matt Davies und Stenmark. Der andere Mann ist Sam Roscill. Sind diese drei Männer bei Ihnen an Bord?“
„Ich beherberge kein Piratengesindel!“ schrie Drake. „Da suchen Sie besser in den Hurenhäusern und Kaschemmen von Plymouth, wo sich der Abschaum herumtreibt und Sie und Ihresgleichen hingehören!“
Hasard knirschte mit den Zähnen und beherrschte sich mühsam.
„Sir!“ rief er zu Drake hoch. „Ich habe Sie höflich um eine Auskunft gebeten und darf wohl erwarten, daß Sie mir auch höflich antworten. Ich frage Sie noch einmal, ob sich diese drei Männer bei ihnen an Bord befinden?“
„Nein, nein, nein!“ brüllte der Admiral. „Sind Sie schwerhörig? Ich sagte doch, wo die sich herumtreiben. Die Gosse habe ich noch vergessen, dort suhlen sich doch immer Ihre Kerle, wenn sie …“
Er gelangte nicht weiter.
Aus dem Vorschiff drang abgehackter Kampfgesang. Die Männer in der Jolle zuckten herum und starrten zum Vorschiff der „Revenge“.
Es klang dumpf, war aber deutlich zu hören.
„Ar-we-nack! Ar-we-nack! Ar-we-nack!“
Das Kampfgeschrei der Seewölfe.
Hasard hätte die „Revenge“ mit der blanken Faust angreifen können, so schüttelte ihn die Wut. Seinen Männern erging es nicht anders.
Der Admiral tanzte hohnlachend auf dem Achterdeck herum. Er wirkte wie ein verrücktgewordener Giftzwerg.
Hasards Stimme donnerte gegen das Flaggschiff: „Männer der ‚Revenge‘! Ihr habt gehört, was zwischen dem Admiral und mir gesagt wurde. Dieser Offizier der Royal Navy im Range eines Admirals scheut sich in Gegenwart seiner Besatzung nicht, einen englischen Kapitän, der von Ihrer Majestät der Königin zum Ritter geschlagen wurde, anzulügen und tapfere Männer, die für England gekämpft und geblutet haben, in einer Weise zu verhöhnen und zu beschimpfen, als stamme er selbst aus der Gosse. Wer von euch noch einen Funken Ehre und Anstand im Leibe hat, der möge mir helfen, meine drei Männer herauszuholen, die auf Befehl dieses Wahnsinnigen …“
„Feuer frei!“ brüllte der Admiral. „Auf die Jolle! Ich will diese Kerle lebend, vor allem den Bastard Killigrew!“
Sie hatten geduckt hinter dem Schanzkleid gelauert. Jetzt standen sie plötzlich da – zwölf Seesoldaten, mit Musketen bewaffnet.
Hasard reckte sich auf.
„Wir sind unbewaffnet!“ brüllte er zu den Seesoldaten hoch. „Seit wann schießen Engländer auf unbewaffnete Engländer? Seid ihr wahnsinnig? Wollt ihr zu Mördern werden?“
„Feuer!“ schrie Drake mit überkippender Stimme.
„Ruder an!“ fauchte Hasard. „Pullt, wie ihr noch nie gepullt habt! Es ist unsere einzige Chance, diesem Verrückten noch zu entwischen! Hool weg – hool weg – hool weg!“
Die Jolle schoß vorwärts, von peitschenden Riemenschlägen getrieben. Vor ihrem Bug schäumte das Wasser, Gischt flog von den Riemenblättern, wenn sie nach dem Durchholen aus dem Wasser gerissen wurden.
Hasard spähte über die Schulter zurück. Die Seesoldaten hatten die Musketen angehoben. Hasard legte Ruder und steuerte die Jolle hart nach Backbord und kurz darauf wieder nach Steuerbord.
Genau dazwischen krachte die Salve von Bord der „Revenge“. Hasard biß die Zähne zusammen.
Die Kugeln klatschten ins Wasser, zwei aber durchbrachen die Bordwand Backbord achtern. Zwei Wasserstrahlen zischten ins Boot unterhalb der Gräting.
Big Old Shane fluchte, riß sich das Hemd vom Oberkörper, fetzte zwei Stükke ab, lüftete die Gräting an, warf sie außenbords und rammte die beiden Stoffe wie Pfropfen in die Löcher. Fürs erste reichte das, wenn auch das Wasser nachsickerte.
Hasard steuerte im Zickzack. Die Männer brauchten keine Anfeuerung. Sie wußten, um was es ging. Hier zählte jeder Yard, den sie sich von der „Revenge“ entfernten. Ihre Mienen waren verbissen. Es war das erste Mal, daß Arwenacks die Flucht ergriffen, aber in der Flucht lag ihre einzige Rettung. Waffen hatten sie nicht, also blieb nur der Rückzug.
Aber sie würden es Drake und den Männern der „Revenge“ heimzahlen. Das Maß war voll. Blieb nur die Frage, ob sie noch jemals die Chance haben würden, die Waffen sprechen zu lassen.
Die zweite Salve krachte – sie traf besser.
Sechs neue Löcher sprangen auf, wie gestanzt, jetzt auf der Steuerbordseite. Big Old Shane rammte sie mit Stoffetzen dicht. Wasser schwappte im Boot. Hasard begann mit der Holzkelle zu schöpfen.
Auf dem Achterdeck der „Revenge“ tobte der Admiral. Noch mehr Seesoldaten tauchten am Steuerbordschanzkleid auf.
Die dritte Salve zerhieb den Spiegel der Jolle. Es war ein Wunder, daß Hasards und Big Old Shanes Beine unverletzt blieben. Das Boot sackte achtern tiefer. Das Wasser schoß nur so herein.
Es war zwecklos. Sie schafften es nicht mit dem Boot. Es würde ihnen binnen zwei Minuten regelrecht unter dem Hintern wegsacken.
Hasard grinste schief.
„Auf Riemen“, sagte er. „Alle Mann von Bord, wie es so schön heißt! Wir müssen schwimmen, aber auch das ist zu schaffen.“ Er blickte zur „Revenge“ zurück und zuckte zusammen.
Das Beiboot!
Es mußte auf der Backbordseite der „Revenge“ gelauert haben. Jetzt wurde es hinter dem Heck vorbeigepullt. Parsons stand achtern und brüllte seine Rudergasten an. Das Boot nahm Kurs auf die absaufende Jolle.
„Los – rein ins Wasser!“ schrie Hasard. „Nicht zusammenbleiben – auseinander! Und tauchen, wenn das Boot an einem dran ist! Haltet durch, ihr schafft es! Viel Glück!“
Sie hechteten ins Wasser, weg von der sinkenden Jolle.
Vom Achterdeck der „Revenge“ her ertönte Drakes Wutgebrüll. Es lief wohl nicht so, wie er sich das gedacht hatte. Er hämmerte die Fäuste auf das Schanzkleid und pöbelte Parsons und dessen Bootsgäste an.
Die Seewölfe schwammen wie Fische – dahin, dorthin, tauchend über lange Strecken, wiederauftauchend, um Luft zu schnappen – und weg waren sie.
Drake schrie sich die Kehle heiser.
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