„Alles klar?“ fragte Matt Davies.
„Alles klar, Matt“, erwiderte Stenmark. „Tretet ganz nach vorn zum Vorschiff, damit euch das Ding nicht erwischt, wenn es zurückschwingt. Ich regele das hier allein. Zu dritt sind wir uns nur im Weg.“
„Paß auf, daß dir der Brummer nicht an den Kopf fliegt“, sagte Matt Davies besorgt.
„Keine Bange, ich ducke mich ab. Seid ihr weit genug weg?“
„Aye, aye, Sir“, sagte Sam Roscill. „Es kann losgehen.“
Stenmark packte die eine Flunke des Ankers und tappte rückwärts, bis er spürte, daß er den Anker etwa in Brusthöhe hatte.
„Jetzt!“ sagte er, schwang den Anker an der Flunke mit beiden Händen in Richtung des unsichtbaren Schotts und ging tief in die Hocke.
Die Trosse knarrte, unmittelbar darauf krachte es. Das klang, als sei eine Drehbasse abgefeuert worden.
Stenmark spürte über sich Bewegung und langte zu. Er kriegte einen Ankerarm zu fassen und stoppte den zurückschwingenden Anker.
„Klappt bestens!“ sagte er über die Schulter. „Ich hab ihn wieder. Jetzt folgt der nächste Bums!“
Dieses Mal steckte noch mehr Kraft in dem Schwung. Der Anker donnerte gegen das Schott, daß es durchs ganze Schiff dröhnte. Gleichzeitig hörten sie auch ein Splittern.
„Gib’s ihm!“ zischte Matt Davies erregt. „Da sitzt Musik drin, Junge! Weiter so!“
Stenmark war schon dabei und legte sich noch kräftiger ins Zeug. Der dritte Krach war ohrenbetäubend. Die ganze Vorpiek ächzte, als sei sie dabei, auseinanderzubrechen.
„Ho-ho!“ brüllte Matt Davies.
„Hinein in die Vollen!“ brüllte Sam Roscill. „Gib’s ihnen, Sten! Hau das Schott in Klump! Drauf, immer drauf!“
Auch Stenmark brüllte jetzt. Brüllen war immer gut. Wenn sie enterten, brüllten sie auch, das war nun mal so. Außerdem stachelte es einen an und erhöhte die Kampfeslust.
Jetzt hatte er auch schon Routine, der große, blonde Schwede, in dem eine unbändige Kraft steckte. Er wußte, daß steter Tropfen den Stein höhlt. Also mußte dieses verdammte Schott auch irgendwann zersplittern, wenn es immer wieder an derselben Stelle getroffen wurde. Oder es brach aus seiner Füllung.
Außerdem tat es gut, sich auf diese Weise Luft zu verschaffen und es den Kerlen zu zeigen. Ja, noch waren sie nicht am Boden! Selbst wenn sie eingesperrt waren, konnten sie noch kämpfen.
Rumms!
Und wieder: Rumms!
Und noch einmal!
Das war’s wohl – die Flunke brach durch das Holz und blieb stecken. Durch die Bruchstelle schimmerte trübes Licht.
Die drei Männer brüllten, als hätten sie die Absicht, ein Schiff allein zu stürmen.
Stenmark zerrte die Ankerflunke aus dem Holz, peilte durch die Bruchstelle und zuckte zurück.
„Jetzt geht’s rund, Männer!“ rief er über die Schulter. „Sie sind wachgeworden!“
Er wich mit dem Anker bis zu seiner Ausgangsposition zurück. Als das Schott aufschwang, stieß er den Anker vor und ließ los. Wie ein Keil raste der Anker zwischen die Kerle, die sich vor dem Schott drängten und mit Belegnägeln, Knüppeln und Spaken bewaffnet waren. Sie flogen nach rechts und links weg, als würden sie umgesenst.
„Vorwärts!“ brüllte Stenmark und hechtete in die Lücke.
Wie Tiger sprangen Matt Davies und Sam Roscill vor und folgten Stenmark, der bereits eine Gasse gebrochen hatte.
„Haltet sie!“ schrie eine Stimme hinter ihnen.
In dem Gang zur Vorpiek herrschte ein tolles Durcheinander. Die drei Männer der „Isabella“ hatten genug Zorn drauf, um sich rücksichtslos Platz zu verschaffen – jetzt waren sie nicht mehr betrunken wie in der Nacht.
Stenmark hatte sich eine Spake geschnappt, Matt Davies und Sam Roscill hinter ihm hatten Belegnägel an sich gerissen. Wo sie hinschlugen, sank einer zu Boden. Stenmark voran, der die Spake wie einen Dreschflegel schwang, kämpften sie sich zum Niedergang vor.
Flüche wurden gebrüllt, Männer schrien und ächzten, es klang, als rumore im Bauch der „Revenge“ ein Erdbeben.
Stenmark raste den Niedergang hoch, wich zwei Kerlen aus, die ihm von oben entgegenkamen, drehte sich blitzschnell, stieß dem letzten das Knie ins Kreuz und enterte weiter. Mit einem Blick hatte er gesehen, daß auch Matt Davies und Sam Roscill hinter ihm ausgewichen waren.
Die beiden Kerle sausten wie Lawinen den Niedergang hinunter und rissen unten die Nachdrängenden um. Dort bildete sich im Nu ein zappelnder, brüllender Menschenknäuel. Und damit war der Niedergang nach oben zunächst versperrt und blockiert.
Stenmark, Matt Davies und Sam Roscill tobten durch das Mannschaftslogis, wo die Backschafter gerade die Klappbänke und Backstische für das Frühstück der Freiwache aufgebaut hatten, als der Krach unten in der Vorpiek losgegangen war.
Wenn Backschafter und Freiwache gemeint hatten, die fünfzehn Männer, die hinunter zur Vorpiek gestürmt waren, hätten ausgereicht, um die drei Kerle von der „Isabella“ zur Räson zu bringen, dann sahen sie sich jetzt getäuscht. Einige saßen schon, andere standen noch. Sie waren viel zu verblüfft, um sofort zu reagieren.
Und als sie reagierten, flogen ihnen bereits Teile ihres Backsgeschirrs um die Ohren, Backstische krachten zusammen, Bänke kippten um. Einer taumelte umeinander, weil ihm Stenmark eine große Barkasse mit heißer Hafergrütze über den Kopf gestülpt hatte. Matt Davies stemmte blitzschnell die Kopfseite einer Bank hoch, auf der fünf der „Revenge“-Leute saßen. Die rutschten vereint nach unten, prallten aufeinander und boxten sich gegenseitig die Ellenbogen zwischen die Rippen.
Ein Wirbelsturm hätte nicht schlimmer im Vordeck wüten können.
Nur auf der Kuhl wurde der Sturmlauf der drei Seewölfe gestoppt – von Seesoldaten mit schußbereiten Musketen.
„Waffen fallen lassen!“ brüllte Parsons, der erste Offizier.
Waffen! Matt Davies, Sam Roscill und Stenmark grinsten sich an und warfen Spake und die beiden Belegnägel nachlässig Parsons vor die Füße.
„Was geht hier vor?“ brüllte Parsons.
Die drei Seewölfe bestaunten den Himmel und grinsten weiter. Was sollte man auf eine so dämliche Frage auch antworten!
Hinter ihnen taumelten Männer mit Beulen an den Köpfen und blutenden Nasen aus dem Schott zur Kuhl. Jemand schrie nach dem Feldscher. Der Kerl mit der Barkasse über dem Schädel schoß aus dem Schott, brüllte wie am Spieß, stolperte über Sam Roscills blitzschnell vorgestellten Fuß und schlitterte dem ersten Offizier vor die Stiefel.
Fast wäre der Krawall auf der Kuhl weitergegangen.
Die Barkasse rollte allein weiter und verteilte die restliche Hafergrütze über die gerade geschrubbten Planken. Parsons quollen die Augen aus dem Kopf.
Hinter ihm auf dem Achterdeck tauchte die kurzbeinige Figur des sehr ehrenwerten Admirals auf. Auf dessen Gesicht wechselten die Empfindungen wie zuckende Blitze. Zuletzt blieb nur der Ausdruck von berstender Wut.
Was sein erster Offizier zu hören kriegte, reichte, um Selbstmord zu begehen.
Matt Davies, Stenmark und Sam Roscill landeten wieder in der Vorpiek – gefesselt. Und die Vorpiek wurde ausgeräumt. Das Schott wurde mit Leckbalken doppelt und dreifach abgesichert.
Die drei Seewölfe hatten die „Revenge“ mit ihrer 250köpfigen Besatzung ganz schön auf Trab gebracht …
Als von der St.-Andrewskirche zwölf Glockenschläge über Plymouth hallten, steuerte Hasard die Jolle mit derselben Bootscrew wie am Morgen in den Plymouth Sound hinaus. Auch dieses Mal verzichtete er darauf, das Segel zu setzen, es lohnte nicht bei der kurzen Entfernung zur St.-Nicholas-Insel, vor der die „Revenge“ immer noch vor Anker lag.
Merkwürdigerweise war das Beiboot achtern am Heck der „Revenge“ verschwunden. Aber vielleicht lag es auf der Backbordseite, die Hasard nicht einsehen konnte. Er schenkte dem nicht weiter Beachtung. Warum auch? Eine halbe Stunde später dachte er anders darüber. Manchmal sind es eben doch die Details, die wichtig sein können.
Читать дальше