„Killigrew!“ brüllte der Admiral zur „Isabella“ hinüber. „Ich bin bereit, Ihre drei Dreckskerle auszutauschen – gegen Ihre werte Person, ha-ha-ha!“
„Und wenn ich mich weigere?“ rief Hasard zurück.
„Dann erleben Sie eine schöne Exekution – und anschließend sind Sie mit Ihrem Piratengesindel dran! Von Ihrem stinkenden Schiff wird keine Planke übrigbleiben. Sie haben eine Minute Bedenkzeit, Sie Bastard, Sie mieser Emporkömmling, Sie Gossendreck …“
Noch waren die Musketen der Seesoldaten nach unten gerichtet.
„Matt, Sten, Sam – springt!“ schrie Hasard. „Wir fischen euch raus!“
Drei kräftige Rucke, die Fesseln platzten, und schon hechteten die drei Seewölfe elegant über das Schanzkleid, stießen hinunter ins Wasser und waren verschwunden.
„Feuer frei!“ schrie Hasard. „Gebt’s ihnen, Arwenacks!“
Die Backbordstücke brüllten auf und hieben ihre volle Breitseite in die „Revenge“. Es war, als klaffe dort die gesamte Steuerbordseite mit einem einzigen Ruck auf. Das Batteriedeck war ein totales Chaos. Da war nicht eine Kanone, die zurückfeuerte. Dicker Pulverqualm waberte zwischen den beiden Schiffen.
„Back die Segel!“ schrie Hasard. „Ruder Steuerbord, Pete!“
„Aye, aye, Ruder Steuerbord“, wiederholte Pete Ballie ruhig.
Die „Isabella“ drehte in den Wind und verlangsamte ihre Fahrt.
„Ed!“ schrie Hasard. „Außenbords die Jacobsleiter, klar bei Wurfleinen! Seht ihr sie?“
„Aye, aye, Sten ist bereits dran!“ Carberry beugte sich über das Schanzkleid. „Komm, mein Junge, enter auf, oder soll dich der alte Carberry holen? Recht so! Hierher, Matt, du Hundesohn, oder willst du noch ’ne Ehrenrunde schwimmen, was, wie?“
Eine Wurfleine flog nach unten, eine halbe Minute später zerrten vier Mann Sam Roscill hoch. Stenmark und Matt Davies enterten über die Jacobsleiter auf und sprangen auf die Kuhl, triefend naß, aber mit glühenden Gesichtern.
Die Seewölfe brüllten wie die Irren.
Eine Stunde später trieb die „Revenge“ entmastet ostwärts auf die Batten-Bucht zu und blieb im Schlick hängen. Auch ihr Ruder war zerschossen – zum zweiten Male. Müde legte sich das Flaggschiff auf die Steuerbordseite, als habe es endgültig genug von den Rachegelüsten seines Kommandanten.
Der stand gebückt wie ein alter Mann auf dem Achterdeck. Sein Gesicht war grau, seine Hände zitterten, seine Augen waren wie erloschen.
Revanche vor Plymouth?
Nein, Niederlage vor Plymouth. Totale Niederlage. Der bessere Kapitän, die bessere Crew und das bessere Schiff hatten gesiegt. Und nicht einen Kratzer hatte dieses Schiff erhalten.
Noch einmal zuckte der Admiral zusammen.
Das war, als die „Isabella“ nach Süden abdrehte und ein letztes donnerndes „Ar-we-nack!“ zur „Revenge“ herüberdröhnte.
Ja, sie waren ungebrochen, diese Arwenacks. Unbesiegbar. Vielleicht waren sie sogar unsterblich.
Bereute der Admiral? Sah er seine Schuld ein?
Es wurde nichts darüber bekannt. Bekannt wurde nur, daß seine Mannschaft das todwunde Schiff verließ und durch den Schlick an Land watete. Die Verwundeten nahmen sie mit. Der Admiral blieb an Bord, eine stumme, gebückte Gestalt. Einen Tag später holte ihn eine Pinasse des Stadtkommandanten vom Achterdeck.
Die Männer der Pinasse sagten später, der Admiral sei wie versteinert gewesen …
Die Schmach, die der Admiral über das Schiff namens „Revenge“ gebracht hatte, löschte drei Jahre später Sir Robert Greynville.
Er deckte mit der „Revenge“ die Flucht eines kleinen englischen Geschwaders gegen eine spanische Übermacht und kämpfte von über fünfzig spanischen Schiffen umgeben von drei Uhr nachmittags bis drei Uhr morgens, bis das letzte Pulver verschossen war. Über achthundert Treffer hatte die „Revenge“ hingenommen, und sechs Fuß hoch stand das Wasser im Schiff. Kein Mann war unverwundet geblieben. Die Überlebenden erhielten eine ehrenvolle Übergabe.
Sir Robert Greynville, schwerverwundet, starb zwei Tage später an Bord des spanischen Flaggschiffs.
Fünf Tage danach sank die zerschossene „Revenge“ in einem Sturm.
Ihr Name verklärte sich in England zum Symbol heldenhaften Widerstandes.
Die Unehre war getilgt …
Florinda Martinez Barrero konnte nicht schlafen. Sie kauerte in dem niedrigen, fensterlosen Schiffsraum – er wurde, wie sie sich immer wieder ins Gedächtnis zurückrief, das Kabelgatt genannt – und hielt ihre Beine, die sie dicht an den Leib herangezogen hatte, mit den Armen umschlungen. Sie kaute auf ihrer Unterlippe und überlegte bedrückt, daß zwischen einem stickigen, düsteren Versteck wie diesem und einem richtigen Verlies tief unten im Kellergewölbe eines Gemäuers kein großer Unterschied bestehen konnte.
Tagsüber vermochte sie es hier unten einigermaßen auszuhalten. Dann drang etwas Licht durch die Ritzen des Schotts und an Oberdeck hantierten und lachten die Männer. Manchmal konnte sie die Stimme von Andrés heraushören. Allein ihr Klang erfüllte sie mit Freude und Zuversicht.
Die Nacht kündigte sich indessen, wie jetzt, mit dem Abebben der Geräusche an Deck an. Wenn die Finsternis wie eine große schwarze Spinne durch das Schiff kroch, fühlte sich Florinda von Schwermut, ja, von Verzweiflung befallen.
So stellten sich die dumpfen, drohenden Gedanken ein, alle jene seltsamen und bedenklichen Fragen, wie sie nur die Dunkelheit und das Alleinsein hervorrufen können. Florinda kämpfte gegen die deprimierenden Gefühle an und versuchte, sich zu bezwingen, unterlag aber immer wieder. Es war, als wollten die Geister der Nacht und der schier endlosen See sich an ihr rächen für das, was sie getan hatte.
So hatte sie nur selten geschlafen, seit sie Cadiz verlassen hatten. Entsprechend war es um ihren Gemütszustand bestellt. Sie erzählte Andrés, der jede unbeobachtete Minute wahrnahm, um sie zu besuchen, jedoch kaum etwas davon, denn sie wollte ihm die Sache nicht noch schwerer machen, als sie ohnehin schon war.
Andrés – seinetwegen hatte sie es getan. Aus Liebe zu ihm hatte sie den elterlichen Hof heimlich verlassen und war durchgebrannt, wie man sagte. Was sie für ihn empfand, mußte echte Liebe sein, denn sonst hätte sie es niemals auch nur bis hierher durchgehalten, soviel war ihr klar.
Ein neunzehnjähriges Mädchen an Bord eines Schiffes, als „blinder Passagier“ unter einer Meute von rauhen Männern – das war ungeheuerlich und verwegen zugleich. Aber es war auch weitaus weniger abenteuerlich und romantisch, als Florinda es sich daheim ausgemalt hatte. Mittlerweile hatte sie Furcht vor ihrer eigenen Courage bekommen.
Sie preßte die Lippen zusammen.
Durchhalten, sagte sie sich, du mußt durchhalten, um jeden Preis! Nur jetzt nicht verrückt spielen!
Das Knarren und Knacken im Schiffsleib war allgegenwärtig, das Rauschen des Wassers nahm sich bei Nacht überlaut aus. Irgendwo raschelte und knirschte es, und Florinda fragte sich voll Entsetzen, ob das wieder eine Ratte sei – wie jene, die gestern oder vorgestern durch das Kabelgatt gehuscht war.
Ratten greifen auch erwachsene Menschen an, dachte sie.
Du bist albern, sagte sie sich dann.
Sie versuchte, an etwas anderes zu denken. Die wievielte Nacht war dies nun? Sie hatte aufgehört, die Tage zu zählen und konnte sie nur noch schätzen. Eine Woche mochte seit dem Auslaufen aus dem Hafen von Cadiz vergangen sein, vielleicht waren es auch anderthalb Wochen – oder gar schon zwei?
Wie viele Wochen noch, um die Neue Welt, diesen rätselhaften, faszinierenden Kontinent, zu erreichen? Viele Wochen. Zwei oder drei Monate. Manchmal konnten auch vier daraus werden, je nach Wetterlage. Andrés hatte es ihr gesagt, damit sie sich mit entsprechender Geduld für die Reise wappnete.
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