Als die Jollen wieder an Bord gehievt wurden, meldete sich Tamao bei ihm – im Krankenraum unter der Back richteten der Kutscher und Mac Pellew gerade eine Art Quarantänestation ein, denn abgesehen von den Brandwunden litten alle zehn Überlebenden an dem Sumpffieber.
Tamao sagte: „Ich habe erfahren, was sich abgespielt hat. Shawano und seine Krieger haben heute nacht die Siedlung überfallen, mit den gesunden Männern, Frauen und Kindern sowie fünf gefangenen Spaniern eine neue Galeone besetzt und sind nach Westen davongesegelt, um eine neue Heimat zu finden. Die Kranken des Stammes hatten heute von den Spaniern umgebracht werden sollen – das hatte Shawano veranlaßt, den Spaniern zuvorzukommen. Es war seine letzte Möglichkeit, das Leben des Stammes zu erhalten. Heute morgen tauchten ein paar Überlebende der Spanier auf, darunter der Kommandant. Von ihnen wurde das Dorf in Brand gesteckt. Dann segelten diese Spanier mit einem Boot nach Norden.“
Hasard preßte die Lippen zusammen. Wir sind einen Tag zu spät hier eingetroffen, dachte er erbittert, nur einen verdammten Tag!
„Was wirst du jetzt tun?“ fragte Tamao leise.
Hasard hob den Kopf. „Hinter der Galeone hersegeln natürlich. Wenn deine Leute eine neue Heimat suchen, dann wäre Coral Island genau das Richtige für sie.“ Er stutzte und sagte: „Verstehen es denn deine Leute, mit der Galeone umzugehen?“
„Sie haben das Schiff gebaut. Und sie werden die fünf gefangenen Spanier gezwungen haben, ihnen zu helfen.“
„Dein Wort in Gottes Ohr“, murmelte Hasard und befahl, ankerauf zu gehen und die Segel zu setzen – alle Segel, um schnell zu sein und die Galeone der Timucuas einzuholen.
Gegen Mittag dieses ereignisreichen Tages begann einer der vier Offiziere aus dem Stab des Don Angelo Baquillo zu zittern und darüber zu klagen, daß er friere.
Die einmastige Jolle mit Don Angelo Baquillo am Steuer segelte immer noch an der Küste entlang nordwärts. Bisher war zwischen diesen fünf Männern kaum etwas gesprochen worden. Man hatte sich auch nichts zu sagen, es sei denn, man hörte nicht auf, sich über die unerhörte Frechheit der Wilden zu empören, die gewagt hatten, zu rebellieren. Aber auch dieses Thema erschöpfte sich einmal. So hatten sie verdrossen auf den Duchten gehockt, über das Wasser gestiert und im stillen sich bemitleidet.
Jetzt schreckten sie auf, als ihr Compadre zu lamentieren begann und das Boot mit seinem Gezittere zum Wackeln brachte. Und sofort rückten sie von dem Mann ab, getroffen von der Erkenntnis, daß ihn das tückische Fieber gepackt hatte.
„Hören Sie auf zu zittern, Mann!“ blaffte Don Angelo Baquillo.
„Ich friere so!“ klagte der Mann und zitterte weiter.
„Interessiert mich nicht“, sagte Don Angelo Baquillo wütend. „Reißen Sie sich gefälligst zusammen, Sie machen mich ganz nervös mit Ihren Zuckungen. Nehmen Sie sich eine Decke, und rücken Sie ganz nach vorn. Ich habe keine Lust, mich von Ihnen anstecken zu lassen.“
Die drei anderen nickten. Auch sie hatten keine Lust, dem Sumpffieber zu erliegen, dabei war „Lust“ noch verkehrt ausgedrückt, denn es gibt wohl kaum einen Menschen, der Lust darauf verspürt, krank zu werden. Eher gerät er in Panik angesichts einer Krankheit, die in den meisten Fällen mit dem Tode des Betroffenen endet.
So bildete sich sofort eine Front gegen den Kranken, und die Verbannung zum Bugraum der Jolle kam einer Ächtung gleich, die besagte, daß man nichts mehr mit ihm zu tun haben wolle und Wert darauf lege, jegliche Berührung mit ihm zu vermeiden.
Der Kranke nahm sich eine Decke und quälte sich allein über die Duchten nach vorn. Er hüllte sich in die Decke ein und hockte sich nieder. Das Zittern vermochte er nicht zu unterdrücken. Es wurde stärker und schüttelte ihn regelrecht durch.
„Unmöglich, dieser Kerl!“ fauchte Don Angelo Baquillo.
Das fand der Adjutant auch und schlug vor, den Kranken über Bord zu werfen.
„Er gefährdet unser aller Leben!“ rief er, und die Hysterie in seiner Stimme war nicht zu überhören.
Dagegen empfahl ein anderer, den Kranken an Land in den Sumpf zu stoßen, was seiner Meinung nach geeigneter sei, „die Keime der Krankheit“ zu ersticken, wie er sich ausdrückte.
Sie hatten alle vier so viel Gemüt wie ein Eisblock. Jeder dachte nur an sich selbst und das eigene wertvolle Leben, und es interessierte sie einen Dreck, ob der andere Qualen litt und dahinsiechte. Die Geschichte vom barmherzigen Samariter war ihnen unbekannt. War sie ihnen jedoch bekannt, dann sahen sie keine Veranlassung, sich den biblischen Mann zum Vorbild zu nehmen. Einen Samariter stuften sie in die Kategorie der Narren und Idioten ein.
Don Angelo Baquillo bedachte die freundlichen Vorschläge und erwog ihre Nützlichkeit. Er neigte auch zu der Lösung, den Mann in den Sumpf zu stoßen. Auf dem Wasser konnte der Mann vielleicht noch eine Weile treiben, bevor er unterging. Und bis zum Untergang würde er die Luft mit seiner Krankheit verpesten. Da war der Sumpf schon besser. Allerdings wäre man in diesem Falle gezwungen, zu landen, und da lauerten wieder die Gefahren der Sumpfwildnis.
Don Angelo Baquillo war sich unschlüssig und kaute auf seinem Schnauzbart herum. Natürlich verfluchte er diesen dämlichen Kerl, der sich jetzt erdreistete, krank zu werden.
Eine dritte Lösung verhinderte den geplanten Mord. Es war der Zufall, der hier eine unerwartete Rolle spielte.
Die spanische Kriegsgaleone „Galicia“, ein schwer bestücktes Schiff unter dem Kommando des Don Bruno Spadaro, sichtete die Jolle, die da unter Land nordwärts segelte.
Die „Galicia“ befand sich auf einer Patrouillenfahrt, wie sie von den Spaniern unternommen wurden, seit an den Küsten von Florida Piraten und Schnapphähne aufgetaucht waren, die mit Vorliebe die spanischen Siedlungen überfielen und ausplünderten.
Die Galeone, die von Pensacola ausgelaufen war, hatte den Auftrag, ganz Florida zu runden und dann Fort St. Augustine anzusteuern.
Als der Ausguck im Mars der „Galicia“ die Jolle sichtete und meldete, befahl Don Bruno Spadaro, ein recht guter Seemann und Haudegen mit zahlreichen Gefechtserfahrungen, den Kurs zu ändern und das Boot anzusteuern.
Dort hatte man die Galeone inzwischen auch gesichtet und winkte wie verrückt. Don Angelo Baquillo vergaß seine Mordpläne und segelte seinerseits auf die Galeone zu. Mit der für ihn typischen Überheblichkeit erklärte er, er habe doch gewußt, daß sie der „Galicia“ begegnen würden. Er kannte dieses Schiff, das schon mehrere Male die Waccasassa-Bucht angelaufen hatte, um Materialien für den Werftbau und die dort entstehenden Schiffe zu bringen.
Eine halbe Stunde später befanden sich Don Angelo Baquillo und sein Stab an Bord der Galeone. Der Kranke wurde sofort in einer isolierten Kammer untergebracht und von einem Feldscher versorgt.
Don Angelo Baquillo erstattete dem Kommandanten der „Galicia“ Bericht und schilderte die unerhörten Vorgänge der letzten Nacht, wobei er es mit der Wahrheit nicht so genau nahm und herausstrich, daß er und sein Stab bis zum letzten gekämpft hätten, aber angesichts der Übermacht wäre ihnen nichts anderes übriggeblieben, als sich fechtend in die Wildnis zurückzuziehen. Und heute morgen hätten sie noch einmal um die Jolle kämpfen müssen, denn die tückischen Hunde hätten noch Krieger zurückgelassen, die über sie hergefallen wären.
Don Bruno Spadaro war völlig perplex über die Tatsache, daß die Timucuas mit einer Galeone geflohen waren. Und er ging ebenfalls auf westlichen Kurs, um ihnen die „San Donato“ wieder abzujagen.
Im Morgengrauen des 14. September vollzog sich die dramatische Begegnung der drei Schiffe – der „San Donato“, der „Isabella“ und der „Galicia“. Das war über hundert Seemeilen westlich der Cedar Keys und an die achtzig Seemeilen südlich von Kap San Blas.
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