Der Anblick der leeren Pier war für Don Angelo Baquillo sehr schmerzvoll, viel schmerzvoller als der Anblick seiner toten Soldaten, für die er tatsächlich nicht die Spur eines Schmerzes empfand.
Nein, mit der entschwundenen Galeone entging Don Angelo Baquillo – leider, leider – ein ansehnlicher Batzen zusätzlichen Geldes, weil Spanien ja nicht für etwas bezahlte, was gar nicht existierte.
Die Sache war die, daß er die Kostennachweise für den Bau der Galeonen manipulierte und auf diese Weise Gelder einstrich, die er nie ausgegeben hatte. Er stellte falsche Rechnungen auf, die zum Teil die Entlohnung der eingesetzten Arbeitskräfte betrafen. Dabei verschwieg er, daß er diese Arbeitskräfte – sprich, die Timucuas – gar nicht entlohnte. So einfach war das. Und dennoch baute er billige Schiffe. Das sollte ihm mal einer nachmachen!
Da stand er also an der leeren Pier und starrte auf die Bucht hinaus, hinter der sich die weite See erstreckte. Eine Ratte befand sich dort, deren Nase sich unruhig hochreckte, als wittere sie nach allen Seiten.
Die vier anderen Kerle, die Offiziere seines Stabes, darunter der Adjutant, verhielten hinter ihm und witterten ebenfalls, aber natürlich als untergeordnete Ratten. Dabei sahen sie alle gleich luderig aus, nämlich vom Morast und Sumpf verdreckt, nichts blitzte mehr, heim- und hutlos hing ihnen das verschwitzte und gleichfalls dreckige Haar in Strähnen im Genick oder ins Gesicht, und in diesen Gesichtern spiegelte sich alles mögliche, nur nichts Erfreuliches.
Zwei von ihnen waren geflüchtet, ohne noch in ihre Stiefel steigen zu können. Sie waren unruhiger als die drei anderen, weil ihnen die Sohlen brannten. Und natürlich spürten sie, wie lächerlich sie aussahen – in mit Dreckklumpen behangenen Kürbishosen, aus denen ihre Unterbeinkleider samt weißer, recht unansehnlicher Beine wie Stelzen herausragten. Der würdige, ehrfurchtgebietende Aufzug des Offiziers war ihnen abhanden gekommen. Kleider halten ja einen Menschen zusammen, Uniformen erst recht.
Nun, hier bei diesen beiden und den drei anderen war das anders. Sie waren nackt geworden. Ratten Wirken auch nackt, wenn sie im Wasser gewesen waren. Ihr Fell sieht dann wie angeklatscht aus. Das Fell dieser Ratten war zwar ursprünglich bunt und drapierend gewesen. Jetzt jedoch hatte es Farbe und Form verloren, denn sie hatten sogar bis zum Hals in sumpfigen Wasserlöchern gehockt. Und vor irgendwelchen tanzenden Nebelschwaden hatten sie dann auch noch den Kopf in die morastige Brühe getaucht, um vom „Feind“ nicht gesehen zu werden.
Sie waren zu Zerrbildern geworden.
Und sie waren ratlos, unfähig zu begreifen, daß ihr Herrendasein wie eine Seifenblase zerplatzt war. Dafür waren sie natürlich um so empörter, wie das hatte geschehen können. Gottgleich und für unantastbar hatten sie sich gehalten – und meinten immer noch, daß es so sei. Ein Irrtum mußte das alles sein, ein Hirngespinst, nun ja, ein verrückter Traum, den man in diesem unangenehmen Land schon mal haben konnte, das da und dort oder auch hier von dummen, aber ebenfalls unangenehmen Wilden bewohnt wurde.
Daß es diese Wilden nun auch noch gewagt hatten, zu rebellieren, und zwar mit Erfolg, das paßte nicht in ihr Weltbild, das war ungeheuerlich.
Und natürlich waren sie weit davon entfernt, bei sich selbst die Ursache für die Rebellion der Timucuas zu suchen. Ebenso natürlich war es die Schuld der Truppe, daß es ihr nicht gelungen war, den Aufstand niederzuschlagen. Schlappschwänze waren das, jawohl, da hatte der Kommandant völlig recht. Daß sie selbst sich heimlich abgesetzt hatten, während die Truppe kämpfte, war natürlich eine strategisch-taktische Maßnahme gewesen, weil sie als Stab den denkenden und planenden Kopf der Truppe darstellten. Es war äußerst wichtig, daß dieser Kopf erhalten blieb. Jetzt allerdings fehlte dem Kopf der Rumpf, nämlich die Truppe, also gab’s nichts mehr zu denken und zu planen, weil da niemand mehr war, der die Pläne in die Tat umsetzte, das heißt, Befehle ausführte.
Ein empörender Zustand!
Was erdreisteten sich diese Soldaten, sich einfach totschlagen zu lassen!
Solche und ähnliche abstruse Gedanken gingen in den Köpfen des Stabes um, und das war alles bezeichnend für ihren desolaten Zustand.
Indessen hatte Don Angelo Baquillo unter einem kleineren Anlegesteg eine Jolle entdeckt, und seine trüben Gedanken wurden in neue Bahnen gelenkt. Diese Jolle, das wurde ihm blitzartig klar, würde ihnen dazu dienen, die Fieberhölle zu verlassen. Entlang der Küste auf dem Wasserweg gelangte man schneller voran als zu Fuß durch die unwegsame Sumpfwildnis, in der noch dazu alle möglichen Gefahren drohten. Im übrigen: was sollte man hier auch noch! An den Bau von Schiffen für die spanische Flotte war vorerst nicht mehr zu denken. Lebensentscheidend war jetzt, einen der spanischen Stützpunkte weiter im Norden zu erreichen.
So fand Don Angelo Baquillo sehr schnell zurück in die gewohnte Rollenverteilung, das heißt, er gab seine Befehle, und die anderen hatten zu gehorchen. Das stand ihm ja auch rangmäßig zu.
Er fuhr nach der Entdeckung der Jolle zu seiner Stabs-Gruppe herum und schrie sie an, man möge das Boot unter dem Steg hervorziehen. Oder ob man vielleicht erwarte, daß er das tue?
Die Señores stürzten eilfertig herbei, um dem Befehl des Kommandanten Folge zu leisten – Hauptsache, es wurde überhaupt etwas befohlen. Mit der Ausführung des Befehls war’s dann wieder etwas schwieriger, weil sie nicht gewohnt waren, die Arbeiten von Bootsgasten zu leisten. Es war dies ja eine untergeordnete Tätigkeit, die üblicherweise vom Schiffsvolk ausgeübt wurde.
Die Jolle hatte sich aus unerfindlichen Gründen unter dem Steg verklemmt, und ihnen stand sehr bald der Schweiß auf der Stirn, während sie am Zerren und Rucken waren und dabei bäuchlings auf dem Steg lagen.
Barsch jagte Don Angelo Baquillo zwei Mann ins Wasser, als die ganze Zerrerei nichts nutzte, und jetzt klappte es. Die Jolle schwamm längsseits des Stegs, die beiden Männer planschten an Land – sie hatten sich zu sehr verausgabt und schafften es nicht mehr, sich auf den Steg zu ziehen.
Don Angelo Baquillo registrierte mit Ingrimm, daß die Herren bei dem guten Leben in der Siedlung ziemlich faul und fett geworden waren. Für ihn galt dieser Maßstab natürlich nicht.
Er besichtigte die Jolle vom Steg aus und stellte fest, daß sie mit sechs Riemen und einem Steckmast ausgerüstet war. Das Segel befand sich in einem Segeltuchsack unter der Heckducht.
Don Angelo Baquillo nickte befriedigt und befahl zweien seiner Trabanten, den Mast und das Segel zu setzen. Die beiden anderen, denen das Wasser aus den Kürbishosen lief, scheuchte er in die Siedlung mit dem Auftrag, Waffen, Proviant, Trinkwasser und Decken zu besorgen und herzubringen und sich gefälligst zu beeilen.
„Ich habe keine Lust, hier lange zu warten“, beschied er den beiden triefenden Gestalten.
Sie trollten sich davon. Er wandte sich wieder der Jolle zu und setzte seine Meckerei fort, weil diese beiden Herren, darunter wieder sein Adjutant, erhebliche Schwierigkeiten mit dem Setzen des Mastes hatten. Sie wußten tatsächlich nicht, was bei dem Mast oben und unten war, obwohl sich diese Spiere nach oben verjüngte und unten Vierkant geschnitten und mit einem Zapfen versehen war.
Für solche Details hatten sie sich nie interessiert, und jetzt kriegten sie das Zittern, als sie von ihrem Kommandanten entsprechend abgekanzelt wurden. Don Angelo Baquillo wurde ausgesprochen rüde und ausfallend. Die Zeit brannte ihm unter den Nägeln. Dabei hatte er eine erbärmliche Angst, von dem Fieber gepackt zu werden.
Dank seiner fluchenden Hinweise gelang es den beiden schließlich, den Mast zu setzen und zu verstagen. Dann war das Segel dran, und auch dabei stellte sich heraus, daß die beiden schwitzenden Männer in der Jolle entweder zwei linke Hände hatten oder von jeder Sachkenntnis ungetrübt waren. Wahrscheinlich traf beides zu.
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