Er wurde wieder sehr rüde und steuerte selbst die Jolle aus der Bucht. Als er sie verlassen hatte, ging er auf Nordkurs.
Hinter ihnen brannte das Dorf.
Tamao, der junge Timucua, wurde immer erregter, je weiter die „Isabella“ an der Küste entlang nordwärts steuerte. Er befand sich auf dem Achterdeck bei Hasard und war ein ausgezeichneter Lotse, zumal sich ihm der Küstenverlauf des ersten Teils seiner Flucht aus der Waccasassa-Bucht fast haarscharf ins Gedächtnis eingebrannt hatte. Damals hatte er den Weg südwärts genommen, jetzt war es umgekehrt. Aber er hatte sich vieles gemerkt – Buchten, Baumgruppen, Strände und die Formationen der Küste. Er hatte ein erstaunliches Gedächtnis, wie Hasard feststellte. Er sagte genau voraus, was an dieser Küste bemerkenswert war.
„Bald!“ sagte Tamao erregt und spähte voraus. „Die Bucht ist nicht mehr weit!“ Und seine Hände verkrampften sich um die Querbalustrade des Achterdecks.
Hasard sah es und klopfte ihm beruhigend auf die Schulter. Natürlich war die „Isabella“ gefechtsklar. Auch die Männer lauerten voraus nach Norden. Tamao hatte berichtet, was sich in der Waccasassa-Bucht abspielte. Er hatte sie genau beschrieben. Sie wußten sogar, wie der Don hieß, der dort die erbarmungslose Peitsche schwang und wie ein Tyrann wütete. Darum waren sie auf die Begegnung mit Don Angelo Baquillo und seiner Truppe vorbereitet. Und aller Wahrscheinlichkeit nach würden die Waffen sprechen müssen, um die versklavten Timucuas zu befreien.
Das befreiende Signal, das sie aus dem Lauern erlöste, war die alarmierende Stimme Bills aus dem Großmars. Er meldete Steuerbord voraus Rauchwolken über dem Land.
Rauchwolken?
Das bedeutete im allgemeinen nichts Gutes, wenn es bereits Rauchwolken waren. Hasard enterte zu Bill auf und spähte durchs Spektiv, genau wie Bill selbst.
„Da scheint auch Feuer zu sein“, sagte Bill gepreßt. „Kein kleines Feuer, Sir, und ganz bestimmt kein Feuer, über dem etwas abgekocht wird.“
Hasard nickte.
„Weiter scharf aufpassen“, sagte er knapp. „Auch nach Westen und Süden.“
„Aye, Sir.“
Hasard enterte wieder ab, wandte sich zum Rudergänger und befahl: „Näher ran an die Küste, Pete!“ Er drehte sich zu Tamao um: „Ist dort mit Sänden zu rechnen?“
„Nein.“
Die Rauchwolken wurden mit bloßem Auge sichtbar. Tamao stöhnte auf.
„Dort ist die Waccasassa-Bucht!“ stieß er hervor. Seine Gesichtsfarbe wirkte fahl.
„Bestimmt?“ fragte Hasard.
„Ja.“ Tamao nickte.
Die Bestätigung erfolgte prompt aus dem Hauptmars.
„Bucht Steuerbord voraus!“ rief Bill. „Dort stehen Hütten in Brand!“
Tamao begann zu zittern. Ein ächzender Laut drang aus seinem Mund. Dann biß er die Zähne zusammen, und sein Gesicht verkrampfte sich.
Asiaga, seine Gefährtin, die vorn auf der Back der „Isabella“ stand, schrie entsetzt auf und deutete voraus. Auch sie hatte erkannt, was dort brannte – das Dorf der Timucuas, die Heimstätte, die sie mit Tamao verlassen hatte, um einem grausamen Schicksal zu entgehen. Aber die Rückkehr schien noch grausamer zu sein.
Das Drama, auf das die Seewölfe zusegelten, steigerte sich, als die „Isabella“ die Bucht erreichte und einlief.
Da sahen sie es alle.
Ein Indianer mit bloßem Oberkörper taumelte bei den Hütten hervor, wankte durch die Rauchschwaden und torkelte hinunter zum Ufer. Wie verzweifelt winkte er zu dem fremden Schiff hinüber, dann brach er zusammen, als sei er von einer Axt gefällt worden.
Aber er versuchte, sich wieder aufzustemmen.
„Fallen Anker!“ gellte Hasards Stimme. „Geit auf die Segel! Setzt beide Jollen aus! Beeilung, Männer!“
Ja, da war höchste Eile geboten. Hasard – sie alle hatten es erkannt. Das Feuer hatte zur Werft und zur Siedlung übergegriffen, ja, es fraß sich bereits in das Schilfdickicht der Sümpfe.
Carberry brüllte nicht, wie das sonst seine Art bei Alle-Mann-Manövern war. Er hatte im übrigen seinen Rausch ausgeschlafen und den Brummschädel, mit dem er erwacht war, ignoriert. Jetzt packte er beim Aussetzen der beiden Jollen selbst mit an. Sie arbeiteten alle schnell und verbissen, aber mit der Sicherheit ihrer langjährigen Praxis.
Bill enterte aus dem Großmars ab und raste zum Achterdeck hoch.
„Sir!“ meldete er erregt. „In der spanischen Siedlung liegen tote Krieger und die Leichen von Soldaten. Offenbar haben die Timucuas die Siedlung überfallen.“
„Und dann haben sie ihr eigenes Dorf angesteckt?“ fragte Hasard skeptisch. Er schüttelte den Kopf. „Irgend etwas paßt da nicht zusammen. Ist dir an dem Indianer, der an den Strand getaumelt ist, etwas aufgefallen? War er verwundet?“
„Eine Wunde habe ich bei ihm nicht gesehen“, erwiderte Bill. Er zögerte und sagte dann: „Der Mann wirkte, als sei er betrunken.“
„Könnte man annehmen“, sagte Hasard nachdenklich. „Aber ich glaube eher, daß er krank ist. Der Kutscher und Mac sollen mit in die Jollen. Gib ihnen Bescheid.“
„Aye, Sir. Soll ich dann wieder in den Mars?“
„Nein. Geh mit in die Jollen. Wir müssen das Dorf und die Siedlung durchsuchen, solange uns das Feuer noch die Zeit dazu läßt.“
Bill sauste zur Kuhl hinunter. Eine Jolle war bereits abgefiert. Hasard gab seine Befehle: zuerst das Dorf nach Timucuas zu durchsuchen, sich um den Indianer am Strand zu kümmern, aufzupassen, ob sich Spanier zeigten, das heißt, nach allen Seiten zu sichern, aber auch, in der spanischen Siedlung nachzuforschen, was dort passiert war.
Die erste Jolle legte ab und wurde mit hastigem Ruderschlag zum Ufer gepullt, wo der Indianer lag. Immer wieder versuchte dieser Mann, sich aufzurichten. Dan O’Flynn führte diese Jolle, Tamao war bei ihm, der Kutscher ebenfalls.
Minuten später, als sie gelandet waren und sich um den Timucua kümmerten, sagte der Kutscher lakonisch: „Sumpffieber!“
„Wir bringen ihn an Bord“, entschied Dan O’Flynn.
Tamao sprach auf den kranken Mann ein, der jetzt plötzlich schweißüberströmt war. Der Mann flüsterte etwas in der Sprache der Timucuas.
Tamao fuhr hoch und blickte Dan O’Flynn an.
„In den Hütten sind noch Kranke!“ stieß er hervor.
„Vorwärts! Wir holen sie raus“, sagte Dan O’Flynn knapp. „Kutscher, du bleibst bei dem Mann. Sag den anderen Bescheid, was hier los ist. Jede Sekunde zählt.“ Und schon stürmte er mit seinen Männern und Tamao über den Strand auf das Dorf zu.
Die zweite Jolle landete, die Hasard übernommen hatte. Der Kutscher informierte ihn hastig. Hasard befahl, den Kranken in die Jolle zu übernehmen. Zwei Mann blieben beim Kutscher. Mit den anderen raste Hasard ebenfalls zum Dorf.
Das Feuer war nicht mehr zu löschen. Aber mit rücksichtsloser Tollkühnheit brachen die Seewölfe in die Hütten ein, kämpften sich durch Rauch und Flammen und suchten nach weiteren Timucuas. Es gelang ihnen elf Männer und Frauen zu bergen und zum Strand zu transportieren.
Der Kutscher und Mac Pellew kümmerten sich sofort um diese bedauernswerten Menschen. Zwei Frauen starben ihnen unter den Händen weg. Es blieben zehn Kranke – sechs Männer und vier Frauen, unter den Männern der Krieger, der zum Strand gewankt war –, die an Bord der „Isabella“ gebracht wurden.
Dann mußten die Seewölfe ihre Hilfsaktion abbrechen, die Hitze wurde unerträglich. Es war auch unmöglich, noch zur Siedlung der Spanier vorzudringen. Eine Flammenwoge fauchte über die Küste weg. Jetzt war nur noch auf dem Wasser Sicherheit.
Hasard befahl schweren Herzens den Rückzug. Sie hatten getan, was sie konnten. Dennoch war ihm schleierhaft, wo die Timucuas geblieben waren. Er konnte sich nicht vorstellen, daß Tamaos Stamm nur noch aus einem Dutzend Kranker bestanden haben sollte.
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