Don Angelo Baquillo zuckte zurück und wurde weiß im Gesicht.
„Hüten Sie Ihre Zunge, Feldscher!“ zischte er. „Sonst könnte es passieren, daß sie sich als Sträfling und in Ketten auf einer Galeere wiederfinden. Ich bin nicht gewillt, solche frechen Reden zu dulden. Das grenzt bereits an Meuterei.“
„Schon verstanden, Señor Kommandant“, sagte der Feldscher, ohne eine Miene zu verziehen. „Haben Sie Beweise dafür, daß das Fieber von den Indianern auf uns übertragen wird?“
„So etwas weiß man!“ schnarrte Don Angelo Baquillo von oben herab.
„Ah ja! Und dabei nehmen sie das Risiko auf sich, auch sich selbst anzustecken, nicht wahr?“
„Das tun diese Bastarde nur, um sich vor der Arbeit drücken zu können“, wurde er von Don Angelo Baquillo belehrt.
„Was ihnen nichts nutzt“, sagte der Feldscher, „weil sie ja mit der Peitsche wieder angetrieben werden, wenn sie zusammenbrechen.“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, Señor Kommandant, entschuldigen Sie, wenn ich Ihrer These nicht zu folgen vermag. Ich halte sie für unlogisch. Wer sich mit dieser Krankheit ansteckt, um nicht mehr arbeiten zu müssen, der tut es gleichzeitig auch in der Gewißheit, dem Tode entgegenzugehen. Das ist in sich ein Widerspruch, denn er handelt sich damit ja keine Vergünstigung ein, sondern einen recht qualvollen Tod. Kein Mensch, auch kein Indianer, ist so verrückt, das zu tun.“
„Ich habe keine Lust, mit Ihnen darüber zu diskutieren“, sagte Don Angelo Baquillo. „Ich spreche hier auch nicht von Thesen, sondern von Tatsachen, die Sie offenbar nicht verstehen. Zur Sache: Da diese – äh – Epidemie von den indianischen Bastarden angezettelt wurde mit dem Zweck, uns zu vernichten, habe ich beschlossen, entsprechend hart zu reagieren. Hier muß eisern und rücksichtslos durchgegriffen werden, meine Herren – rück-sichts-los! Daher erteile ich folgenden Befehl – der Teniente wird die Einzelheiten und Orders ausarbeiten: Morgen vormittag wird das Dorf dieser roten Köter umstellt, ein Trupp dringt ein und füsiliert jeden dieser stinkenden Bastarde, der vermutlich oder sichtbar an dem Fieber erkrankt ist! Damit, meine Herren, rotten wir die Krankheit an der Wurzel aus. Denn das ist logisch: wer uns vernichten will, den beseitigen wir, bevor er uns anstecken kann! Bin ich verstanden worden?“
Sie nahmen alle Haltung an, das Kinn am Kragen, den Blick soldatisch fest auf den Kommandanten gerichtet, der ihnen soeben einen Mordbefehl erteilt hatte.
Einzig der Feldscher starrte auf den Boden, den Kopf gesenkt. Don Angelo Baquillo musterte ihn verächtlich und zuckte mit den Schultern. Diesem Quacksalber würde er schon beibringen, nach welcher Pfeife er zu tanzen hatte.
„Das paßt Ihnen wohl nicht?“ fragte er höhnisch.
Der Feldscher hob den Kopf.
„Meine Aufgabe ist es, Leben zu erhalten, nicht zu vernichten“, erwiderte er.
„Sie hätten Pfaffe werden sollen“, erklärte Don Angelo Baquillo und stieß ein bellendes Lachen aus.
„Könnte sein“, sagte der Feldscher ruhig, „und es stört mich nicht weiter, daß Sie das offenbar sehr lustig finden. Vermutlich werden Sie gleich nicht mehr lachen, wenn ich Ihnen sage, daß Ihr Plan, die kranken Indianer auszurotten, im Sinne Gottes und seiner Gebote nichts weiter als wahnsinnig ist. Können Sie mir vielleicht erklären, durch wen die Menschen in Italien – in der Alten Welt weit weg von hier – mit dem Sumpffieber angesteckt werden? Etwa auch von Indianern? Ich war in Italien und habe dort viel gelernt. Indianer habe ich dort allerdings nicht gesehen.“
Don Angelo Baquillo schnappte nach Luft. Dann brüllte er: „Wollen Sie meutern, Sie lächerlicher Salbenschmierer?“
„Ein Mann, der Salben verschmiert, ist kaum zum Meutern geeignet, Señor Kommandant“, sagte der Feldscher gelassen. „Ich weise Sie nur nach den Gesetzen der menschlichen Vernunft und Logik darauf hin, daß die Indianer unmöglich die Ursache des hier grassierenden Fiebers sein können. Das ist alles und hat mit Meuterei absolut nichts zu tun. Begreifen Sie das nicht?“
„Ich begreife nur, daß Sie vom Kriegshandwerk nicht die geringste Ahnung haben!“ schrie Don Angelo Baquillo voller Wut. „Scheren Sie sich hinaus, Sie salbadernder Quacksalber! Sie untergraben Disziplin und Manneszucht! Kümmern Sie sich gefälligst um die Kerle, die sich vom Dienst drücken wollen. Alles andere geht Sie einen Dreck an, verstanden?“
„Ich bin nicht schwerhörig“, sagte der Feldscher kühl, nickte knapp und verließ das Stabsquartier.
Als die Tür geschlossen war, reckte Don Angelo Baquillo die Brust heraus, in seinen Augen stand ein kaltes Glitzern, als er seinen Stab musterte, zuletzt den Adjutanten.
„Was halten Sie von diesem Menschen, Teniente?“ fragte er lauernd.
„Ein unmöglicher Mensch, Señor Kommandant“, erwiderte der Teniente, „und sehr gefährlich, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf.“
„Sie haben es erfaßt, mein Lieber.“ Das Glitzern in den Augen Don Angelo Baquillos verschwand, dafür erschien ein berechnender Ausdruck. „Ihr Vorschlag?“
„Liquidieren, Señor Kommandant“, erwiderte der Teniente. „Am besten bei der Aktion morgen vormittag – unauffällig natürlich. Das ließe sich einrichten. Ich schlage vor, ihn morgen mit in das Dorf zu nehmen, und zwar unter dem Vorwand, daß er als Feldscher die Aufgabe habe, uns die kranken Bastarde zu bezeichnen und herauszusuchen. Bei dieser Gelegenheit könnte man einen Vorfall provozieren, in dessen Verlauf er erschossen wird – natürlich ein unglücklicher Schuß, weil er von einem dieser roten Hunde angegriffen wurde.“
„Sehr gut, ausgezeichnet!“ sagte Don Angelo Baquillo akzentuiert. „Sie übernehmen das, Teniente?“
„Es wird mir eine Ehre sein“, sagte der Teniente.
So wurde also noch ein Mord geplant, und keiner der Señoras des Stabes hatte dagegen den geringsten Einwand. Keiner gab zu bedenken, daß man mit diesem Mord auch den einzigen Arzt der spanischen Siedlung beseitigte. Und keinem dieser Offiziere war klargeworden, daß er bereit war, einem völlig sinnlosen – oder wahnsinnigen – Befehl Folge zu leisten. Man tat seine Pflicht, nicht wahr? Man gehorchte. Das Gewissen, so man es hatte, ignorierte man.
Der Stab wurde entlassen, der Adjutant würde die Einzelheiten und Orders für die Aktion des nächsten Tages ausarbeiten, exakt in der Rollenverteilung, präzise, nüchtern und soldatisch klar, wie die Abläufe für kriegerische Handlungen zu sein hatten. Der Feind war ja erkannt – nach Auffassung des Kommandanten. Und der mußte es wissen.
Der verbrecherische Plan des Kommandanten hatte einen Fehler, den er nicht bedacht hatte. Das lag aber daran, daß er die Indianer in seiner maßlosen Überheblichkeit für tierische und daher dumme Wesen hielt, eben für Ungeziefer. Dabei vergaß er auch, daß er sie andererseits für intelligent genug erklärt hatte, die Spanier mittels Ansteckung vernichten zu wollen. Im übrigen hielt er die Timucuas auch für zu dumm, die spanische Sprache zu erlernen.
Aber Taliwa hatte genug von dieser Sprache mitgekriegt, um zu verstehen, welche neuerliche Untat von dem verhaßten Mann geplant wurde. Mit dem Ohr an der Tür hatte sie im Schlafraum des Kommandanten gelauscht. Als die Posten vor dem Stabsquartier abgelenkt waren, weil der Feldscher nach draußen trat, hatte sie die Gelegenheit genutzt, zu entwischen.
Sie hatte insofern Glück, weil der eine der beiden Posten gerade mit klappernden Zähnen und Schüttelfrost zusammengebrochen war. Und daraufhin hatte der Feldscher zusammen mit dem anderen Posten den offenbar kranken Mann hinüber ins Krankenrevier geschleppt.
Das Fenster des Schlafraums lag sowieso nach hinten heraus, und als sich alle Blicke in der Siedlung auf den Vorgang mit dem zusammengebrochenen Soldaten richteten, schlüpfte sie aus dem Fenster und huschte hinter den Hütten zu einem Baum, der unmittelbar an der übermannshohen Palisadenumzäunung der Siedlung stand.
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