Nur der weißhaarige Shawano gab nicht auf und ließ sie hoffen. Er war unbeugsam. Manchmal lachte er – ein klirrendes Lachen, das an die Waffen der Spanier erinnerte. Aber sein Trotz sprach daraus. Und er ließ sie wissen, daß der Tag kommen werde, an dem sie wieder frei sein würden. Vielleicht hatte Shawano eine große Medizin, dachten sie.
Dann allerdings hatte ein anderer Feind zugeschlagen, ein Feind, der unsichtbar blieb, aber noch grausamer und teuflischer als die Spanier war. Merkwürdigerweise blieben aber auch die Spanier von ihm nicht verschont, ja, es schien fast, daß sie härter als die Timucuas betroffen wurden.
Im Dorf der Timucuas und in der Siedlung der Spanier ging das Sumpffieber um, jener unheimliche Feind, der stets auf die gleiche Weise mordet. Denn immer werden seine Opfer von Schüttelfrost befallen, die Haut wird kalt, die Lippen und Nägel färben sich blau, der Kopf schmerzt, und unter der Brust setzen Stiche ein. Danach verliert sich die Kälte, und Hitze folgt, die blasse Haut färbt sich rot, die Schmerzen im Kopf nehmen zu. Erst nach dem Schweißausbruch wird alles wieder besser, nur furchtbaren Durst hat man.
Ja, das war der Anfang, nach dem man sogar schlafen konnte. Aber wen der Feind in den Krallen hatte, den ließ er nicht mehr los. Immer wieder erlitt das Opfer diese Kälte- und Hitzezustände, und es wurde schwächer und matter bis zur völligen Entkräftung, die den Tod im Gefolge hatte. Und alle stöhnten sie unter den Schmerzen, die sie über dem Leib empfanden, wo bestimmte Stellen immer dicker wurden.
Als der unheimliche Feind mit seinen Morden begonnen hatte, da hatte Shawano erklärt, daß es nur einen Weg zur Rettung gäbe, nämlich die Flucht. Das war von den Alten überliefert worden, die gesagt hatten, man müsse beim Auftreten dieses wechselnden Fiebers in eine andere Gegend ziehen. Vor allem müsse man die Sümpfe meiden, denn das sei der Platz, wo der unsichtbare Feind lauere.
Aber sie konnten nicht fliehen, weil sie von den Soldaten Tag und Nacht bewacht wurden.
Shawano biß die Zähne zusammen und sagte, bald würde alles vorbei sein. Man könne das sogar berechnen, denn eins stehe fest: die Zahl der Soldaten würde eher vermindert sein als die Zahl der Timucuas, denn sie erlagen dem Feind schneller als die Timucuas. Zwanzig Tote hatte es auf beiden Seiten bereits gegeben, aber darunter waren zwölf Spanier gegenüber acht Timucuas.
Jetzt waren an die fünfzig Timucuas erkrankt und litten an dem Fieber. Wie viele es bei den Spaniern waren, wußte Shawano nicht, obgleich er Taliwa beauftragt hatte, zu versuchen, das herauszufinden.
Don Angelo Baquillo, der Kommandant, hatte sich zum nächtlichen Zeitvertreib die junge hübsche Taliwa in sein Stabsquartier geholt. Tagsüber erging es ihr nicht besser. Sie hatte die Räume sauber zu halten, seine Kleidung und Stiefel zu putzen, den Fußboden zu scheuern und jeden seiner Wünsche zu erfüllen. Wenn ihm etwas nicht paßte, züchtigte er sie mit einer Lederpeitsche. Ihr Haß auf diesen Mann, der sie entehrt hatte und täglich demütigte, war grenzenlos. Eines Tages würde sie die Quälereien nicht mehr ertragen und ihn umbringen, obwohl Shawano sie vor einem solchen Schritt gewarnt hatte, der unabsehbare Folgen für die Timucuas haben würde – für alle.
Das alles wurde jedoch von einer Stunde zur anderen gegenstandslos, und zwar gegen Mittag des 12. September, als Don Angelo Baquillo seinen Stab zu einem Befehlsempfang in seinem Quartier zusammenrief, darunter auch den Feldscher.
Wie stets bei solchen Anlässen hatten die Señores zu stehen, nebeneinander ausgerichtet natürlich, während er vor ihnen wie vor einer Front auf und ab marschierte, die Hände auf dem Rücken.
Er war ein stämmig gebauter Mann in Kürbishosen, die in langschäftigen Stiefeln steckten. Eine Schärpe verdeckte seinen Bauchansatz. Bestimmend in seinem harten Gesicht waren der schwarze Schnauzbart und die kalten Augen, die er jetzt auf den Feldscher richtete, vor dem er stehen blieb.
„Neue Krankheitsfälle?“ fragte er kurzangebunden.
„Vier, Señor Kommandant“, erwiderte der Feldscher.
„Damit erhöht sich die Zahl der Kranken auf wieviel?“ Don Angelo Baquillo wippte auf den Fußballen. Er stellte die Frage, als hake er auf einer Liste irgendwelche Nummern ab, nicht Menschen, nein, Nummern.
„Von sechsundzwanzig auf dreißig, Señor Kommandant.“
„Verfassung derselben?“
„Leichte bis schwere Fälle“, sagte der Feldscher. „Etwa zehn dürften noch bedingt dienstverwendungsfähig sein.“
„Bedingt – bedingt!“ schnarrte Don Angelo Baquillo. „Entweder sind sie verwendungsfähig oder nicht. Ich wünsche klare Antworten. Also?“
„Nicht verwendungsfähig“, sagte der Feldscher verbissen. „Und zwar wegen körperlicher Schwäche.“
„Schlappschwänze“, sagte Don Angelo Baquillo verächtlich. „Sollen sich gefälligst zusammenreißen, die Kerle!“ Seine kalten Augen durchs bohrten den Feldscher. „Mir scheint, Sie verkennen Ihre Aufgabe, mein Lieber. Aber ich will sie Ihnen gern noch einmal erklären. Sie besteht schlicht und einfach darin, die sogenannte körperliche Schwäche dieser Kerle zu ignorieren. Soldaten haben hart zu sein, verstanden? Infolgedessen werden die zehn Kerle wieder zum Dienst eingeteilt, auch wenn sie mit den Zähnen klappern. Wahrscheinlich wird da nur ein Anfall vorgetäuscht. Die Kerle wollen sich im Krankenrevier auf die faule Haut legen, das ist alles.“
„Damit sind die zehn Männer zum Tode verurteilt“, sagte der Feldscher gepreßt.
„Na und? Wir müssen alle mal sterben. Ende der Debatte. Verbitte mir solche rührseligen Bemerkungen.“ Der Kommandant nahm seine Wanderung wieder auf und kaute auf seinem Schnauzbart herum. Nach einer Weile blieb er vor dem Adjutanten stehen.
„Wie viele Krankheitsfälle bei den Timucua-Bastarden?“
„An die fünfzig, Señor Kommandant“, erwiderte der Adjutant, ein Teniente, und fügte beflissen hinzu: „Die fünfzehn männlichen Subjekte, die darunter sind, arbeiten natürlich gemäß Ihrer Order wie bisher weiter – bis sie umkippen. Wenn sie die Peitsche spüren, werden sie wieder munter.“
„Sehr gut. Vielleicht sollten wir diese Methode auch bei unseren Kerlen einführen.“ Sein kalter Blick wanderte zu dem Feldscher.
„Da werden sich die Timucuas aber freuen“, sagte der Feldscher ungerührt, „ganz abgesehen von der Wirkung auf unsere Leute. Im übrigen möchte ich darauf hinweisen, daß keiner unserer kranken Soldaten simuliert. Sie haben alle die typischen Anzeichen des Wechselfiebers. Ich kenne keinen Menschen, der kraft des eigenen Willens plötzlich in der Lage wäre, seinen Lippen und Nägeln eine blaue Farbe zu verleihen und die eigene Haut blaß und kalt werden zu lassen.“
Der Kommandant kniff die Augen zusammen. „Wollen Sie mich belehren, Mann?“
„Als Arzt habe ich die Pflicht, Ihnen meinen Standpunkt über den Zustand Ihrer Soldaten mitzuteilen.“
„An!“ Der Kommandant begann wieder auf den Fußballen zu wippen. „Dann haben Sie doch mal die Güte, mir mitzuteilen, woher dieses Fieber stammt.“
„Das ist noch nicht geklärt“, sagte der Feldscher. „Die Italiener nennen es ‚mala aria‘, also ‚schlechte Luft‘. Es tritt bei ihnen in den Sumpfgegenden auf, daher spricht man auch von Sumpffieber. Da wir hier ebenfalls Sümpfe haben, vermute ich, daß die Krankheitsfälle darauf zurückzuführen sind.“
„Alles Quatsch“, erklärte Don Angelo Baquillo. „Ich werde Ihnen sagen, wer oder was diese Krankheit hervorruft, und zwar nicht Ihre Sümpfe – das ist reine Faselei –, sondern diese stinkenden Timucua-Hunde, die haben den Teufel im Leib und stecken uns an! Da verschlägt’s Ihnen die Sprache, wie?“
„Kann man wohl sagen“, erwiderte der Feldscher trocken. „Wenn dem so ist, dann sollten Sie sich schleunigst von Ihrer Geliebten trennen, die hat Ihnen den Teufel im Leib vielleicht schon angehext. Wollen Sie dann auch mit der Peitsche zum Dienst angetrieben werden?“
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