Ben Brighton, bedächtig wie eh und je, ließ den Blick über die Kuhl wandern und nickte.
„Hat sich ’ne ganze Menge angesammelt, was an Land geschafft werden muß“, sagte er sachlich. „Da geht’s schneller, wenn wir beide Jollen nehmen.“
„In Ordnung, Ben. Verrückte Geschichte, wie?“
„Total verrückt“, brummte Ben Brighton und nickte mit dem Kopf zu der Lady Isabella hin, die zwischen den anderen Ladys bei den beiden Booten stand. „Ein feines Frauenzimmer, Sir. Richtig knackig überall – und unschuldiger als die anderen.“
„Ben!“ sagte Hasard mahnend und drohte mit dem Finger.
„Ich mein ja nur“, murmelte Ben Brighton und sagte noch leiser: „Wär was für die Schlangen-Insel.“
Hasard horchte auf. „Für dich, wie?“
„Aye, Sir.“ Ben seufzte ein zweites Mal. „Aber ich weiß schon, daß ein solcher Wunsch unmöglich ist. Entweder übernehmen wir alle – oder keine. Wenn einer von uns dieses Recht für sich in Anspruch nimmt, dann gilt das auch für die anderen. Nur ist das ein unlösbares Problem, weil wir Männer in der Überzahl sind. Aber irgendwann werden wir dieses Problem lösen müssen – auf der Schlangen-Insel. Da sind zu wenige Frauen für zu viele Männer. Und um die wenigen Frauen – könnte ich mir vorstellen – gibt’s irgendwann Krach zwischen den Männern. Hast du das schon mal bedacht, Sir?“
„Ja“, sagte Hasard verbissen.
„Und?“ fragte Ben Brighton.
„Nichts ‚und‘.“ Hasard blickte dem Mann, der ihm in all den Jahren zum Freund geworden war, fast hilflos in die Augen. „Was soll ich tun, Ben? Nach England segeln und an die fünfzig oder hundert Jungfrauen fragen, ob sie bereit wären, in die Neue Welt zu segeln, wo entsprechende Männer, die für sie unbekannt sind, nur auf sie warteten? Wie stellst du dir das vor?“
„Etwa so, wie du sagtest“, erwiderte Ben Brighton in seiner ruhigen Art. „Warum nicht?“ Er lächelte ein bißchen. „Wir können Falmouth anlaufen und Umschau halten. Oder Plymouth! Da würde uns sicher unser guter alter Nathaniel Plymson weiterhelfen können …“
„Mit Jungfrauen, wie?“ unterbrach ihn Hasard.
Ben Brighton schüttelte den Kopf und blickte wieder zu der Lady Isabella. „Das muß nicht sein. Wir sind ja auch keine Jungmänner mehr, nicht? Ich würde das nicht so eng sehen. Vielleicht wäre mir eine Frau, die kein Blümchen-rühr-mich-nicht-an mehr ist, sogar lieber, kein Flittchen, bewahre! Aber ein Frauenzimmer, das die Männer kennengelernt hat und auch zu unterscheiden weiß, ob ihr jetzt ein richtiger Kerl begegnet ist – oder ein Hallodri. Ja, so ungefähr stelle ich mir das vor.“
Hasard nickte nachdenklich. „Fragt sich, wieviel Zeit uns dafür noch bleibt.“ Er hob den Kopf. „Die Zeit, Ben! Sie läuft uns unter den Fingern weg! Schau dir meine beiden Jungen an! Und wenn wir die Ladys an Land gesetzt haben, karren wir weiter, um nach dem Stamm Tamaos zu suchen, der sich vielleicht – vielleicht! – dazu überreden läßt, bei der Schlangen-Insel eine andere Insel zu besiedeln, urbar zu machen und zu beackern, damit wir alle davon leben können – in Freiheit! Aber die Zeit läuft uns dabei weg.“
„Da sind deine Söhne, die das fortsetzen können“, sagte Ben Brighton gelassen. „Und vielleicht die Söhne und Töchter der Arwenacks. Da spielt Zeit keine Rolle. Nur müssen wir’s schaffen, unsere Aufgabe an unsere Kinder weiterzugeben – sonst ist unser Haus auf Sand gebaut.“
„Danke, Ben.“ Hasard hatte sich aufgereckt, und sein Gesicht war kantiger geworden. Er wandte sich zur Kuhl um, und seine Stimme schnitt scharf zwischen das Gemurmel dort: „Ed, laß die beiden Jollen aussetzen! Willig-willig! Wir haben noch eine andere Aufgabe, wenn ich daran erinnern darf. Bitte die Ladys in die kleine Jolle. Alles andere in die große!“
„Aye, Sir!“
Und der Profos zeigte mal wieder, aus welcher Ecke bei ihm der Wind wehte – nämlich von allen Seiten.
Dieser Joseph Jelly war ein schrulliger, aber liebenswerter alter Kauz, und er stimmte sofort begeistert zu, als ihm Little Ross seinen verrückten Plan mit der Schenke auseinandersetzte. Noch mehr geriet er aus dem Häuschen, als er sah, welche Schätze aus der großen Jolle entladen wurden. Die Krone waren dann die drei Fässer mit dem erlesenen spanischen Rotwein. Daß diese drei Fässer von den Arwenacks nicht gerollt, sondern vorsichtig getragen wurden, verriet dem entzückten Gnom, daß hier Kenner am Werk waren, die darauf achteten, daß ein so edler Wein nicht durcheinandergeschüttelt wurde.
„Süperb, süperb!“ rief er ein ums andere Mal. „Kavaliere von Lebensart! Küß die Hand, Madame! Hatten Sie eine gute Reise?“ Er ging dazu über, die Ladys mit Handküssen zu beglücken und ihnen Komplimente zu sagen.
Es wurde wieder recht heiter. Die ergötzliche Freude des Gnoms übertrug sich auf die sechs Ladys und ihre drei Begleiter, und Hasard gewann den Eindruck, daß hier doch gute Ansätze für eine harmonische Gemeinschaft vorhanden waren, auch wenn es sich um Personen handelte, wie sie extremer nicht sein konnten: sechs ursprünglich sehr leichtfertige Frauenzimmer, zwei Neger, die Sklaven gewesen waren, ein Witzbold von Bootsmann und ein origineller Gnom. Bis auf Little Ross waren sie eigentlich alle irgendwie Außenseiter. Jetzt brauchten sie das nicht mehr zu sein. Sie konnten sich auf sich selbst besinnen und einen eigenen Lebensstil entwickeln, ohne jemandem untertan sein zu müssen.
Und dann kredenzte der Gnom seinen Begrüßungsschluck, den er im ersten Eifer über die Neuigkeiten und Pläne Little Ross’ völlig vergessen hatte. Er goß das Zeug, das wie Dünnmilch aussah, in kleine Bambusbecher, die er selbst hergestellt hatte.
Als die Becher verteilt waren, hob er seinen, krähte: „Willkommen bei Joseph Jelly!“ und kippte sich den Schnaps hinter die Binde.
Carberry, von Hasard an Bord bereits informiert, zog sofort grinsend nach, und als der Schnaps weg war, da war auch sein Grinsen weg. Er stand sekundenlang still und stumm und wie gelähmt und schien nach innen zu starren. Dann quollen seine Augen hervor, sein Gesicht färbte sich dunkelrot, er hob das Kinn, das die Arwenacks schon oft mit einem Hauklotz verglichen hatten – jetzt zitterte es bedrohlich –, und ein langes „Uaahhh!“ entrang sich seiner Kehle. Als nächstes wurde er von einem Husten erschüttert, wobei er sich zusammenkrümmte.
Hasard sprang ihm sofort bei und klopfte ihm den Rücken ab, denn jetzt litt der arme Carberry unter Atemschwierigkeiten und mußte mit Armbewegungen wiederbelebt werden. Natürlich nutzte Hasard die Gunst des Augenblicks und kippte seinen Schnaps unauffällig in den Sand.
„Hölle!“ ächzte Carberry, als die Explosion in seinem Inneren abebbte. „Ist der Kerl denn wahnsinnig?“ Er schüttelte sich, begann aber plötzlich zu grinsen – und sein Blick wurde etwas schielend.
„Fehlt dir was, Ed?“ fragte Hasard besorgt.
„Mir? W-was soll mir f-f-fehlen, S-sir?“ Carberry rülpste ungeniert. „N-noch n-n-nie so w-wohl ge-ge-fühlt, S-sir – hupps! Ha-hab nur ei-einen ge-ge-ge … hupps – … zwitschert.“ Er schielte noch beachtlicher, grinste noch dämlicher und schwankte, als stehe er im Sturm an Deck der „Isabella“. „Mä-mächtiger S-seegang b-bei die-diesem N-ne-bel“, murmelte er kopfschüttelnd.
„Sir, er ist volltrunken“, sagte der Kutscher indigniert. „Dieses Zeug muß die Wirkung eines ganzen Schnapsfasses haben. Ich rate dringend ab, daß wir davon trinken.“
„Verdammt, Kutscher“, knurrte Hasard und hielt seinen Profos fest, der jetzt unbedingt zu den Ladys wollte. „Wir können diesen Gnom doch nicht beleidigen und seinen Begrüßungsschluck ablehnen!“
„Brauchen wir auch nicht, Sir“, sagte der Kutscher. „Wir können das Zeug ja verdünnen – mit Saft oder Wasser. Wir sagen ihm einfach, daß wir so starken Schnaps nicht mehr gewohnt seien.“
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