„Gute Idee – Ed, sei friedlich …“
„Mö-möchte Bel-bella Isa k-k-küssen“, erklärte der Profos und zerrte an Hasard mit der Kraft eines Ackergauls, der bereits den heimischen Futtertrog in den Nüstern hat. Außerdem wurde er störrisch.
Hasard verfluchte sich. Da hatte er seinem Profos was schönes eingebrockt. Jawohl, es war seine Schuld, daß Ed jetzt voll wie eine Haubitze war und „Bella Isa“ küssen wollte.
„Ben!“ rief Hasard. „Sag dem Gnom, daß wir seinen Schnaps verdünnt trinken möchten. Er soll uns nicht böse sein, aber er sieht ja bei Ed die Wirkung, und der kann weiß Gott was vertragen.“
„Aye, Sir!“
„Wi-will zu Isa!“ krakeelte der Profos. „L-laß mi-mich los, du-du Fu-fuzzy-wuzzi!“ Offenbar erkannte er seinen Kapitän nicht mehr.
„Ja doch, gleich, Ed“, sagte Hasard hastig, „aber erst mußt du baden!“
„Wie-wieso?“
„Vorm Küssen ist das besser, Ed!“
„W-will nicht baden!“ brüllte der Profos. „W-will Bella kü-küssen …“
Big Old Shane und Ferris Tucker sprangen Hasard zu Hilfe, und zu dritt bugsierten sie den bezechten Profos ins Wasser, wo sich eine Art Schlacht entwickelte, weil Carberry partout nicht einsah, warum er baden sollte. Natürlich wurden Hasard, Old Shane und Ferris Tucker selbst klatschnaß. Außerdem empfing Ferris Tucker die Faust Carberrys aufs linke Auge, das sich sofort verfärbte und zuschwoll.
Als sie den Profos zum fünften Male untertauchten, wurde der plötzlich friedlich und zappelte nicht mehr. Als sie ihn schleunigst hochrissen, schnarchte er.
„Mann, Mann!“ Ferris Tucker stöhnte und betastete sein linkes Auge. „Dieser Affenarsch. Hätte der nicht früher einschlafen können?“
Old Shane grinste, warf sich den Profos über die Schulter und stampfte an Land. Ferris und Hasard wateten hinterher. Die Meute an Land war am Feixen.
Isabella, von Carberry „Bella Isa“ genannt, eilte herbei und legte Carberry, den Old Shane im Sand gebettet hatte, einen feuchten Umschlag um den Kopf. Carberry bedankte sich mit einem noch lauteren Schnarchen. Den feuchten Umschlag hatte der Kutscher angeordnet. Sonst fliegt ihm, wenn er aufwacht, der Schädel davon, hatte er erklärt.
Inzwischen war der Schnaps gewaltig verdünnt worden, zumal ihn Ben Brighton in größere und höhere Becher hatte umfüllen lassen, zusammen mit einer Flüssigkeit, die Joseph Jelly als Limonensaft bezeichnete und den Seewölfen vom Mittelmeer her bekannt war.
Der Kutscher hatte sich verwundert erkundigt, ob diese Citrusbäume denn hier anzutreffen seien. Er habe jedenfalls an der Küste von Florida noch keine gesehen. Daraufhin hatte der Gnom gekichert und erklärt, normalerweise gäbe es diese Bäume hier nicht. Aber er habe vor vielen Jahren von einem französischen Handelssegler Stecklinge erhalten und hier angepflanzt. Und siehe da – sie gediehen prächtig.
Wie dem auch sei – die Mannen und die Ladys fanden den gemischten Trunk herrlich erfrischend, und Hasard bedankte sich mit blumigen Worten für den vorzüglichen „Schnick“.
Little Ross empfahl er für künftige Gäste – mit Hinweis auf den schnarchenden Carberry –, denen diesen Mischtrank anzubieten.
„Ihr kriegt sonst garantiert Ärger“, sagte er warnend.
„Aber Joseph Jelly hat seinen Schnaps ohne sichtbare Wirkung heruntergekippt“, meinte Little Ross.
„Der ist ihn gewohnt“, sagte Hasard. „So was soll’s ja geben.“
Inzwischen hatte Joseph Jelly den Ladys seine Hütte gezeigt und großzügig erklärt, sie könnten dort einziehen und sich häuslich niederlassen. Natürlich werde er nicht bei ihnen schlafen, denn er sei ein Mann von Ehre, der die Formen zu wahren wisse.
„Wir werden noch mehr Hütten bauen“, sagte Joseph Jelly und gurgelte einen aus seiner Schnapsflasche, „feine Hütten mit Blick auf die Bucht. Auch eine Badestelle werden wir einrichten, damit sich die Damen erfrischen können.“ Er deutete mit seinem Krückstock zu einem Trampelpfad hinter der Hütte, der in das Schilfdickicht führte. „Dort seid ihr in drei Minuten an einem kleinen Süßwassersee, der von einer Quelle gespeist wird. Ich werde euch das alles zeigen – Joseph Jellys Reich, das ihr erben werdet, wenn mein letztes Stündlein geschlagen hat.“
„Nicht doch, Joseph“, sagte Ilaria warmherzig. „Dieses Stündlein ist noch viele Jahre entfernt. Weißt du denn, wie alt du bist?“
Joseph Jelly kicherte. „Bei fünfzig habe ich aufgehört zu zählen. Man vergißt die Zeit, wenn man hier lebt. Sie wird unwichtig. Na ja, manchmal fühle ich mich etwas allein. Aber jetzt seid ihr ja da.“
Hasard war zu ihnen getreten und fragte: „Sind hier nie Indianer aufgetaucht, Monsieur Jelly?“
Der Gnom schüttelte den Kopf. „Selten. Sie meiden das Große Wasser, wie sie es nennen. Vielleicht haben sie auch eine Scheu vor den Stürmen, von denen die See aufgepeitscht wird. Nein, sie sind keine Seefahrer und daher auch keine Menschen, die an der Küste leben wollen. Dafür kennen sie sich um so besser drinnen im Land in den sumpfigen Urwäldern aus. Ich habe nie Ärger mit ihnen gehabt.“ Er kicherte wieder. „Sie denken, ich sei selbst einer. Aber ich bin keiner! Ich bin Franzose reinsten Geblüts, jawohl! Mein Vater war der Graf de Jelly, das kannst du mir glauben, Sir. Kennst du ihn zufällig?“
Hasard bedauerte, den Grafen de Jelly leider nicht zu kennen, und fügte artig hinzu, daß es ihn aber ganz besonders freue, wenigstens den Sohn des Grafen kennengelernt zu haben. Dabei war allzu deutlich, daß Joseph Jelly ein Kreole war, der aber eben ein „Franzose reinsten Geblüts“ sein wollte. Da schien er einen kleinen Tick zu haben. Immerhin bemühte er sich mit einem geradezu fanatischen Eifer, den Kavalier mit den vollendeten Formen zu spielen. Der Teufel mochte wissen, von wem er den Handkuß, den Kratzfuß oder das Ziehen des Hutes gelernt hatte. Zusätzlich war das, was er über die unwichtige Zeit gesagt hatte, fast philosophisch.
Vorsichtig fragte Hasard: „Segeln viele Spanier hier vorbei, Monsieur de Jelly?“ Er setzte das „de“ bewußt vor den Namen.
Der Gnom erstrahlte. Er hatte es registriert. Dann zog er Hasard von der Hütte weg. „Die Damen brauchen das nicht zu hören“, wisperte er.
Als sie außer Hörweite der Hütte waren, die jetzt von den Ladys mit Gekicher und Gegacker in Besitz genommen wurde, sagte Joseph Jelly: „Es werden immer mehr Spanier, die hier vorbeisegeln, Sir. Leider, denn sie nehmen keine Rücksicht auf die Indianer. Seit der Bastard de Soto hier vorbeizog und mordete und niederbrannte, hat sich nichts geändert. Ich hasse diese Hundesöhne, muß mich aber mit ihnen arrangieren. Manchmal fahre ich mit meinem Boot nach Tampa hinauf, um dort einzukaufen, was ich so brauche. Es ist ja nicht viel. Ich bin jedesmal froh, wieder hierher zurückzukehren. Die Erde ist groß genug, Sir, und wir alle haben Platz auf ihr. Aber sie spielen sich auf, als gehöre ihnen alles. Und wo andere vor ihnen waren, da werden sie vertrieben oder ausgerottet.“ Die dunklen, alten Augen starrten zu Hasard hoch. „Du weißt das, Sir?“
„Ja, ich weiß es“, erwiderte Hasard, „und ich weiß, daß das alles den Keim des künftigen Unfriedens birgt.“ Und erbittert sagte er: „Sie sind alle verrückt nach den Schätzen, die in der Neuen Welt gefunden wurden. Ich bin Engländer. Auch in meinem Land sind Menschen, die an diesen Schätzen teilhaben wollen, aus rein egoistischen Gründen. Sie wollen sich die eigenen Taschen vollstopfen. An die Armen, an das Volk, denken sie nicht. Ja, ich weiß das alles“, er spuckte in den Sand, „als Freibeuter Ihrer Majestät der Königin von England, ausgestattet mit einem Kaperbrief, der mich ermächtigt, die Dons auszuplündern, wo und wann ich sie treffe. Ich, Philip Hasard Killigrew, von Ihrer Majestät zum Ritter geschlagen, plündere die Spanier aus, die wiederum ihrerseits kräftig dabei sind, in der Neuen Welt zu plündern und ihre Beute nach Spanien zu bringen. Und dort? Dort wird nicht das Volk glücklicher, sondern da werden gewisse Hände einiger weniger immer schmutziger, aber ihre Privatkassen füllen sich dabei. Ich bezweifele heute sogar, daß der König seinen Beuteanteil erhält. Dieser Mann hat längst nicht mehr die Macht, seine Beamten zu kontrollieren. Ich bin überzeugt, daß sie ihn betrügen. Bereits der Kapitän, der mit der Schatzfracht in seiner Galeone von hier nach Spanien zurücksegelt, betrügt seinen König und zweigt von der Beute etwas für sich ab. Aber bleiben wir bei mir, der ich ja auch plündere.“ Hasard fluchte vor sich hin. „Soll ich meine Beute vielleicht an irgendeine Küste der Neuen Welt zurückbringen, dort deponieren und den Eingeborenen sagen – irgendwelchen Eingeborenen –, das gehöre von Rechts wegen ihnen? Ein Unding! Mann, ich weiß auch bald nicht mehr, für was ich meine Haut zu Markte trage – nein, ich bin unwichtig: meine Männer riskieren jedes Mal ihr Leben, wenn wir an die Spanier geraten – oder an die Schnapphähne, die sich in der Karibik wie Aasfresser versammelt haben. Da frage ich mich wirklich: wozu das alles?“
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