Mittlerweile war deutlich zu erkennen, wie Soldaten an den Bugkanonen der Galeere herumhantierten.
Da die schweren Geschütze der „Isabella“, die Siebzehn- und Fünfundzwanzigpfünder, im Hinblick auf das achteraus schräg auflaufende Schiff nicht einsetzbar waren, versuchte sich Al Conroy auf das Geheiß des Seewolfs hin erneut an einer Drehbasse, diesmal jedoch am Heck.
„Sei nicht enttäuscht, Al, wenn du den Kahn nicht gleich wieder mit einem einzigen Schuß versenkst“, sagte Hasard lächelnd. „Wir sind auch zufrieden, wenn du die Kerle von ihren Bugkanonen verjagst.“
„Worauf du dich verlassen kannst“, erwiderte Al Conroy.
Sekunden später krachte die Drehbasse an der Steuerbordseite des Hecks los, und in der Tat, die Gegend um die Bugkanonen der pfeilschnell heranschießenden Galeere war im Nu wie leergefegt. Das Splittern und Bersten von Holz war zu hören, irgendwo im Vorschiff mußte die Galeere einen Treffer empfangen haben. Das bewies auch die Reaktion der Polen, die den Schuß mit lauten Gebrüll quittierten. Wie es aussah, würden sie noch eine Weile auf die Gelegenheit zu ihrem geplanten „Fangschuß“ warten müssen.
Fast gleichzeitig mit Al Conroy traten Big Old Shane und Batuti in Aktion. Seit einer Weile schon hatten sie ihre riesigen Langbogen gespannt, um deren Funktionstüchtigkeit zu überprüfen. Auch die gefürchteten Brand- und Pulverpfeile lagen griffbereit, mit denen sie eine Distanz von 500 Yards und mehr zu überbrücken vermochten. Beide Männer galten als Meister des Bogenschießens. Was das hieß, sollten die Polen gleich erfahren.
„Shane, Batuti!“ rief der Seewolf.
Beide legten die ersten Brandpfeile auf und spannten die Bogen
Dann ein kurzes Nicken Hasards, und die Geschosse pfiffen durch die Luft. Augenblicke später bohrten sich die Pfeilspitzen in das Holz der vordersten Galeere, die sich so zuversichtlich an die „Isabella“ herangewagt hatte.
Kaum hatten die ersten Pfeile ihre Ziele gefunden, waren schon die nächsten unterwegs.
Die Treffer ließen die heranrudernden Polen laut aufbrüllen, zumal ihnen die Pfeile, deren Schäfte mit wohldosierten Pulverladungen gefüllt waren, das Blut in den Adern erstarren ließ. Einige von ihnen glaubten sogar an Teufelsspuk, als die Pfeile nach ihrem Aufprall explodierten und ihr Schiff an allen Ekken in Brand setzten.
Vor allem die Ruderknechte brachen in Panik aus, als sich die brennenden Pfeile in ihrer unmittelbaren Nähe ins Holz bohrten. Genau das hatten Shane und Batuti beabsichtigt.
Batuti strahlte, seine perlweißen Zähne blitzten.
„Den Kerlen wird es warm, wenn Feuerchen unter Ruderbänken brennen!“ rief er in seinem holprigen Englisch. „Wenigstens brauchen Affenärsche nicht wegzufrieren!“ Erneut schnellte ein Pfeil von der Sehne seines Bogens und fuhr zwischen die Ruderknechte.
Was beabsichtigt war, trat ein. Die Männer sprangen laut schreiend und fluchend von den Ruderbänken hoch und versuchten, sich auf das Hauptdeck der Galeere zu retten. Nur wenige taten ihre Arbeit verbissen weiter. Die Folge war, daß prompt mit den Riemen gekrebst wurde und der Gleichtakt augenblicklich zum Teufel ging.
Hinzu kam, daß sich das Feuer in Windeseile ausbreitete, weil die frische Morgenbrise die Flammen hoch auflodern ließ.
Die Wuhling war unbeschreiblich. Nur wenige Soldaten feuerten noch ihre Musketen auf die „Isabella“ ab, aber Treffer erzielten sie nicht bei dem Zustand auf der Galeere. Da das Schiff bereits aus dem Kurs gelaufen war, war auch an einen Einsatz der Bugkanonen nicht mehr zu denken.
Ben Brighton lachte und rieb sich erfreut die Hände.
„Die haben sich im wahrsten Sinne des Wortes die Finger an uns verbrannt!“ rief er.
Die Galeere sackte rauchend und brennend achteraus, an einen Angriff auf die „Isabella“ dachte an Bord dieses Schiffes wohl niemand mehr. Alle Mann hatten vollauf damit zu tun, Wasser an Bord zu hieven, um die Flammen zu löschen. Inwieweit das überhaupt noch gelingen würde, war zur Zeit eine offene Frage.
Die zweite Galeere verhielt sich etwas vorsichtiger als die erste. Ihr Kapitän war offensichtlich entschlossen, die Sache etwas schlauer anzupacken als sein Vorgänger. Er ließ sein Schiff genau ins Kielwasser der „Isabella“ steuern, dann brachte er die Ruderknechte auf Vordermann. Er schien den Seewölfen unbedingt zuvorkommen zu wollen, denn auf der ersten Galeere hatte man es nicht einmal geschafft, einen einzigen Kanonenschuß abzufeuern.
Sobald sich der polnische Kapitän einigen Erfolg davon versprach, gab er den Feuerbefehl, und zwar mit der Absicht, der englischen Galeone ein hartes Ding ins Heck zu schmettern.
Aber sein Handeln sollte sich ebenfalls als voreilig erweisen. Eine Schußweite, die Treffer zuließ, war noch nicht erreicht, und die Kanonenkugel, die eins der beiden Buggeschütze ausgespien hatte, klatschte ein Stück von der „Isabella“ entfernt ins Wasser.
Für den polnischen Kapitän war das Grund genug, die Ruderknechte zu noch größerer Eile anzutreiben. Mit wilder Hast vorangejagt, hielt die Galeere nach wie vor auf das Heck der „Isabella“ zu. Diesmal wollte man sich Zeit lassen mit einem Schuß, denn der nächste sollte, ja mußte unbedingt den erhofften Erfolg bringen.
Die Polen ließen sich jedoch etwas zulange Zeit.
„Ich bin feuerbereit, Sir“, erinnerte Ferris Tucker und deutete vielsagend auf sein katapultartiges Abschußgerät für die selbstgefertigten Flaschenbomben.
„Dafür ist es zu früh, Ferris“, erwiderte der Seewolf. „Die Erfolgschancen sind sehr gering.“
Doch Ferris Tucker war vom Ehrgeiz gepackt worden.
„Ich werde es trotzdem versuchen“, sagte er mit grimmigem Gesicht. Er wußte zwar, daß die Galeere noch zu weit von der „Isabella“ entfernt war, aber er wollte es dennoch mit genau berechneten Zündschnüren probieren. Schließlich hatte er auf diesem Gebiet bereits eine Menge Erfahrung.
„Meinetwegen“, sagte Hasard. „Probieren geht über Studieren.“
Die Heckdrehbassen der „Isabella“ konnten noch nicht eingesetzt werden, weil sich die Galeere außerhalb ihrer Schußweite befand.
Big Old Shane und Batuti schickten inzwischen weitere Brandpfeile auf die Reise.
Ferris legte die erste Höllenflasche auf die Abschußrampe. Das Ding war mit Pulver, gehacktem Eisen und Blei gefüllt und hatte eine Zündschnur, die genau den Berechnungen des rothaarigen Schiffszimmermanns entsprach.
Während Hasard nickte, stieß er einen Knurrlaut aus und löste die Schleudervorrichtung aus. Die erste Flaschenbombe segelte in hohem Bogen durch die Luft und klatschte ein ganzes Stück von der „Isabella“ entfernt in das Kielwasser.
Ferris hatte, bedingt durch die Entfernung, von vornherein nicht damit gerechnet, die Galeere zu treffen. Aber auch im Wasser treibend und sogar unter Wasser konnten die Dinger noch losgehen, wenn man es richtig anstellte. Und genau darauf hatte er spekuliert.
Die zweite Flasche folgte der ersten, eine dritte und vierte flogen hinterher – immer hinein in das schäumende Kielwasser, das die Galeere wenig später passieren würde.
Die Seewölfe hielten einen Augenblick den Atem an, und Ferris Tukker wollte schon einen ellenlangen Fluch vom Stapel lassen, weil sich anscheinend nichts tat. Da krepierte plötzlich eine der Höllenflaschen. Und gleich darauf noch eine. Sie explodierten genau zu dem Zeitpunkt, in dem die Galeere über sie hinweglief und sie untermangelte. Die übrigen Flaschenbomben buddelten ab, ohne zu zünden. Aber immerhin – die Detonationen unter Wasser schienen nicht ohne Wirkung zu bleiben.
Durch den Rumpf der Galeere ging ein heftiges Rütteln, gleich darauf tönten erneut laute Schreie über die Decks. Unterhalb der Wasserlinie schienen einige Planken eingedrückt worden zu sein. Es entstand Wuhling, die Riemen gerieten durcheinander, und die Galeere sackte deutlich tiefer.
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