„Ihr seid vielleicht Affenärsche“, sagte er kopfschüttelnd.
Dann marschierten sie los. Allein. Auf die Pier zu, an der die „Santissima Madre“ lag.
Der Bürgermeister hatte Wort gehalten.
Zwölf Stadtgardisten unter der Führung eines Hauptmanns hatten an der Pier längsseits der „Santissima Madre“ Aufstellung genommen. Die Männer in ihren dunkelblauen Uniformen, mit weißem Koppelzeug und topfartigen Hüten, waren in Linie angetreten. Ihre Musketen hielten sie schußbereit in Anschlag, die Mündungen auf das Schanzkleid der spanischen Galeone gerichtet.
Hasard nickte dem Bürgermeister zu, der ein paar Schritte abseits neben seinem Einspänner ausharrte. Die Gesichtszüge des Mannes waren verkrampft vor Anspannung.
Hasard ging an der Front der Stadtgardisten entlang und blieb vor der Stelling stehen. Noch ließ sich oben auf der Kuhl keine Seele blicken.
„De Coria!“ brüllte er und gab sich dabei keine Mühe, seinen Zorn zu unterdrücken.
Der hochwohlgeborene Gesandte Seiner Allerkatholischsten Majestät dachte nicht daran, sich den Läufen von zwölf Musketen auszusetzen. An seiner Stelle erschien Kapitän de Frias in der Pforte des Schanzkleids.
„Wenn Sie bereit sind, Killigrew, dann sollten Sie keine Zeit mehr verschwenden. Alles ist für Ihren Empfang an Bord der ‚Santissima Madre‘ vorbereitet.“
„Ich bin mir der Ehre bewußt“, antwortete Hasard im gleichen höhnischen Tonfall, „aber ich werde mich nicht einen Schritt weiterbewegen, bevor nicht Hasso von Manteuffel freigegeben wird.“
Das Gesicht des spanischen Kapitäns verzerrte sich. Doch statt einer Erwiderung wandte er sich um und verschwand. Minuten vergingen.
Harte Schritte polterten über die Decksplanken der Galeone. Im nächsten Moment schoben sich die Oberkörper von Männern über die Verschanzung. Mehr als zwanzig Decksleute waren es, und sie richteten ihre Musketen auf den Seewolf.
Abermals tauchte Kapitän de Frias in der Pforte auf. Mit einer Kopfbewegung deutete er auf die Decksleute zu beiden Seiten.
„Nur, damit Sie nicht glauben, Sie könnten in einem günstigen Augenblick verschwinden, Killigrew. Die Männer haben Order, Sie als ersten zu töten, falls es zu einem Schußwechsel mit der Stadtgarde kommt.“
„Das wird nicht nötig sein“, entgegnete Hasard mit mühsamer Beherrschung, „geben Sie Hasso von Manteuffel frei, und ich bin gleich darauf bei Ihnen an Bord.“
Kapitän de Frias nickte. Er trat einen Schritt beiseite und winkte mit der linken Hand.
Hasard atmete auf, als er Arnes Vater, seinen Onkel, unversehrt sah. Hasso von Manteuffel war bleich, doch gefaßt. Die Fesseln hatte man ihm abgenommen. Er schritt die Stelling hinunter und wollte vor Hasard stehenbleiben, um ihm etwas zu zeigen.
Der Seewolf schüttelte den Kopf.
„Weitergehen!“ zischte er nur.
Der große weißhaarige Mann begriff und gehorchte.
Unverzüglich setzte sich Hasard in Bewegung. Kaum hatte er die Pferde erreicht, wurde er von zwei Decksleuten gepackt und zum Großmast gezerrt, wo er außerhalb des Blick- und Schußwinkels der Stadtgardisten war.
Rodriguez de Coria und Kapitän de Frias standen vor dem Schott zu den Achterdecksräumen und beobachteten das Geschehen mit wohlgefälligem Grinsen.
Die bewaffneten Decksleute traten vom Schanzkleid zurück und bauten sich beiderseits der verzurrten Jolle auf.
Hasard hob die Arme, um allen zu zeigen, daß er waffenlos sei.
„Durchsucht ihn!“ bellte de Coria dennoch.
Die beiden Decksleute, die den Seewolf zum Großmast gezerrt hatten, befolgten den Befehl. Sorgfältig tasteten sie ihn ab. Hasard hielt den Atem an. Doch dann, als sie beiseite traten, wußte er, daß er Glück gehabt hatte. Die ältesten und einfachsten Tricks waren noch immer die besten.
De Corias Gesicht war zu einer höhnisch grinsenden Fratze geworden.
„Legt ihm Fesseln an, dem verfluchten Piratenhund!“ schrie er. „Ab mit ihm in die Vorpiek!“
Sechs Männer wurden von Kapitän de Frias als Begleitkommando aufgeboten. Zwei, die den Gefangenen auf dem Weg in die unteren Decksräume gepackt hielten. Vier, die mit schußbereiten Pistolen folgten.
Unsanft stießen sie ihn in die düstere Enge der Vorpiek. Eine Laterne wurde hereingehalten, sie fesselten ihn an Hand- und Fußgelenken. Dann zogen sie sich eilig zurück. Krachend fiel das Schott zu. Schritte entfernten sich mit hohlem Klang.
Hasard blieb allein mit seinen Gedanken. Er war überzeugt davon, daß de Coria ihn zunächst einmal schmoren lassen würde. Keiner würde sich um ihn kümmern, vielleicht würden sie ihn sogar hungern lassen. Doch mit der Zermürbungstaktik konnten sie nicht viel bei ihm erreichen. Er hatte schlimmere Qualen überstanden. Gemeinsam mit seiner Crew war er mehr als einmal mitten in die Hölle gesegelt. Und selbst dem Gehörnten war es nicht gelungen, auch nur einen von ihnen kleinzukriegen.
Einem Rodriguez de Coria sollte dies erst recht nicht gelingen.
Da sie ihm die Hände auf den Rücken gebunden hatten, war Hasard gezwungen, sich zur Seite zu lehnen, um es einigermaßen erträglich zu haben. Die Planken in der Vorpiek waren glitschig und strömten einen modrigen Geruch aus. Die „Santissima Madre“ mußte ein altes Schiff sein, vielleicht sogar noch aus der Zeit vor dem Untergang der Armada.
Trotz der völligen Dunkelheit, die ihn umgab, gelang es dem Seewolf, sein Zeitgefühl zu bewahren.
Etwa eine halbe Stunde war vergangen, als die Galeone ablegte. Die vorangegangenen Geräusche waren für einen Mann wie Philip Hasard Killigrew unverkennbar. Hastiges Trappeln von Schritten, barsche Kommandos, die gedämpft zu hören waren, und das Ächzen der Verbände, das sich bis tief in den Rumpf des Schiffes fortpflanzte. Dann das Rauschen der Fluten, die von dem halbrunden Bug geteilt wurden.
Kurz darauf zeigte sich, daß sich Hasard geirrt hatte. Sie ließen ihn nicht allein. Noch nicht.
Schritte näherten sich dem Schott der Vorpiek. Der Riegelbalken bewegte sich knirschend, dann fiel blakendes Laternenlicht herein.
Rodriguez de Corias höhnische Fratze schob sich in den Lichtkreis. Dichtauf folgte Kapitän de Frias. Er hielt die Laterne in der Linken und in der Rechten eine Pistole mit gespanntem Hahn.
Hasard konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Trotz seiner Fesseln hielt ihn der ehrenwerte Gesandte offenbar noch für so gefährlich, daß er sich nicht schutzlos in seine Nähe begeben mochte.
De Coria blickte verächtlich auf ihn hinunter.
„Dir wird das Feixen noch vergehen, Freundchen, darauf kannst du Gift nehmen.“
„Freut mich, daß Sie endlich Ihr wahres Gesicht zeigen, hochverehrtes Onkelchen“, sagte Hasard ungerührt.
De Corias Überheblichkeit schwand, wich blanker Wut.
„Dir werde ich noch das Maul stopfen“, schrie er, „verdammter Bastard! Was nimmst du dir heraus?“ Er hob die rechte Hand und ballte die dürren Spinnenfinger zur Faust.
„Nur zu“, forderte der Seewolf gelassen, „es paßt zu einem de Coria, sich an Wehrlosen das Mütchen zu kühlen. Genauso, wie es zu einem de Coria paßt, Urkunden zu fälschen, anständige Menschen zu betrügen und sich vor einem ehrlichen Duell zu drücken, nachdem man den Hals zu weit aufgerissen hat.“
De Coria schien platzen zu wollen. Er war im Begriff, sich auf den Gefesselten zu stürzen.
„Nehmen Sie sich zusammen, Don Rodriguez“, mahnte de Frias, „merken Sie nicht, daß er Sie nur herausfordern will?“
„Wahrscheinlich haben Sie recht.“ De Coria ließ die Faust sinken. Einen Moment betrachtete er seinen Gefangenen sinnierend. Dann glitt ein erneutes höhnisches Grinsen über seine verlebten Züge. „Nein, ich werde mich nicht an so einem vergreifen. Dazu ist er mir viel zu einfältig. Aber ich weiß jetzt wenigstens, woher er das hat. Von seinen lieben Verwandten! Solche dämlichen Einfaltspinsel wie diese Deutschen habe ich noch nicht erlebt. Der alte von Manteuffel hätte mir die Sache mit der Schuldurkunde glatt abgekauft. Alles hätte hervorragend geklappt, wenn nicht dieser verfluchte Bastard dazwischengekommen wäre.“ Er versetzte dem Seewolf einen Tritt gegen die gefesselten Beine.
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